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Julia Stange (Die Linke): Kinderkrankenschwester

„Der Schichtdienst hat mich auf das Mandat vorbereitet!“

Jasmin Nimmrich

Julia Stange (Die Linke) hat die Neugeborenenstation gegen den Plenarsaal eingetauscht und setzt sich nun von Berlin aus für eine Reform des Gesundheitswesens ein. Von ihrem Weg in die Politik hat sie uns im Interview erzählt.

Eine Frau mit schulterlangen braunen Haaren in gelber Warnweste während eines Interviews auf einer Demonstration.

Julia Stange (Die Linke) im Presseinterview als Vertreterin der Pflegebewegung in Rheinland-Pfalz © privat

Was haben Sie vor Ihrem Bundestagsmandat gemacht?

Ich bin gelernte Fachkinderkrankenschwester, habe somit eine dreijährige Ausbildung abgeschlossen und für zwei Jahre in der Praxis gearbeitet, also auf Station im Krankenhaus. Nach dieser praktischen Grunderfahrung kann man sich für Weiterbildungen bewerben und so habe ich mich im Bereich Intensivmedizin und Anästhesie weiterbilden lassen. Des Weiteren bin ich spezialisiert auf die Früh- und Neugeborenen-Intensivstation. Zuletzt war ich an der Uniklinik in Mainz tätig, arbeitete vor meinem Einzug in den Deutschen Bundestag als freigestellte Personalrätin. Im kommenden Oktober hätte ich mein zehnjähriges Jubiläum bei meinem Arbeitgeber feiern können, darüber bin ich schon etwas traurig, dass diese Sause jetzt nicht stattfinden wird! (lacht)

Wie sah Ihr Weg in die Politik aus?

Politisch aktiv geworden bin ich vor allem durch meine ehrenamtliche Arbeit, die ich in der Gewerkschaft sowie einigen gesundheitspolitischen sowie feministischen Bündnissen geleistet habe. So habe ich das Bündnis Pflege.Auf.Stand in Rheinland-Pfalz mitgegründet und viele tolle Aktionen mit auf die Beine gestellt. All das, woran ich mitgewirkt habe, soll an die Strukturen unseres Gesundheitssystems gehen, für strukturelle Änderungen und mehr Mitbestimmung des Kranken- und Pflegepersonals sorgen. Auf der Straße, während der Proteste und Arbeitskämpfe, habe ich dann die Partei Die Linke kennengelernt, die sehr präsent war und uns Pflegekräften und Gewerkschaftsaktiven einen hohen Stellenwert auf ihrer politischen Agenda gewidmet hat. Letztlich habe ich sehr schnell in die Parteistrukturen reingefunden und bin in der Arbeit mit Gleichgesinnten zusammengewachsen.

Und wie passierte der Sprung in das Bundestagsmandat?

Man ist direkt auf mich zugegangen und hat mich gefragt, ob ich für die Landesliste der Bundestagswahl kandidieren möchte. Erstmal habe ich Nein gesagt, denn ich bin ja alleinerziehende Mama und Pflegekraft. Da passte die Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete für mich so gar nicht ins Bild, geschweige denn in den Zeitplan. Nach vielen Gesprächen, für die ich jetzt sehr dankbar bin, war ich dann aber überzeugt davon, dass ich dazu beitragen kann, das Thema Gesundheit von der Landes- auf die Bundesebene zu heben. Das, was wir hier jetzt als Team aus der Opposition heraus angehen, ist, dass wir den Finger in die Wunde legen und sagen: Wir sind aus dem Betrieb, wir sind unmittelbar Betroffene auch von den Auswirkungen der Pandemie und dem anhaltenden Personalnotstand in der Fessel der Ökonomisierung. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir nur etwas ändern können, wenn wir die Hebel selbst in die Hand nehmen!

Wie hat Ihr Umfeld auf Ihren Einzug in den Bundestag reagiert?

Die Reaktionen waren wirklich wahnsinnig unterschiedlich, von Ungläubigkeit bis Distanz war wirklich alles dabei. Aber meine Kolleginnen und Kollegen in den Kliniken, die haben gesagt: Wenn Menschen wie du in der Politik sind, dann gucken wir wieder Nachrichten, dann glauben wir wieder daran, dass sich was ändern wird. Für mich ist das ein klares Zeichen der wahnsinnigen Belastung, die wir als System schon zu lange tragen. Mir ist es enorm wichtig, auch während meiner Arbeit hier in Berlin den Kontakt zu den Kolleg*innen aufrechtzuerhalten und sie auch immer wieder zu besuchen – es ist ja auch enorm spannend, was weiterhin in den Kliniken passiert.

Gibt es Ähnlichkeiten zwischen den beiden Arbeitsplätzen Krankenhaus und Bundestag?

Auf jeden Fall hat mich der Schichtdienst auf das Mandat vorbereitet! In der Anfangszeit habe ich sehr gelacht, denn nach mehr als 20 Jahren Schichtdienst fühlte ich mich richtig gut gewappnet für die doch sehr hohe Schlagzahl an Arbeitsstunden, die man hier in Berlin und vor Ort im Wahlkreis leistet. Neben der vielen Arbeit habe in dieser erst kurzen Zeit hier schon so viele tolle Menschen kennengelernt. Und bei so vielen Gleichgesinnten weiß ich, wofür sich die Anstrengungen lohnen! Allgemein zehrt meine Arbeit als Abgeordnete sehr von meinen vorherigen Tätigkeiten, auch innerhalb der Gewerkschaften. Tatsächlich haben wir als Fraktion Die Linke es geschafft, dass mehr als 60 Prozent unserer Mitglieder unmittelbar aus Betrieben kommen, und das merkt man schon auch in der Innen- und Außenkommunikation und wie wir an politische Entscheidungen herantreten, da wir ja einschätzen können, wie sie sich auf die Welt der Arbeit auswirken werden.

Können Sie sich vorstellen, wieder in Ihren vorherigen Beruf zurückzukehren?

Ich liebe meinen Beruf weiterhin sehr und kann nur Werbung dafür machen. Aber jetzt konzentriere ich mich erstmal auf mein Mandat! Aber auf lange Sicht spricht nichts dagegen. Ich hoffe nur, mit dem ständigen Wandel mitgehen zu können und nicht von der Technik eingeholt zu werden, denn in der Profession muss man sich ständig fort- und weiterbilden. Daher würde ich wohl etwas Einarbeitungszeit benötigen.

Wie sah die Einarbeitung in den Arbeitsort Bundestag aus?

Für die Struktur, die uns hier mit dem Einzug erwartet hat, habe ich enormen Respekt! Die Linke, die vorher eine Gruppe war und jetzt wieder eine Fraktion ist, hat uns ganz toll empfangen. Wir haben viele digitale Schulungen zu parlamentarischen Themen erhalten, weil man diese ganzen parlamentarischen Regeln ja erst kennenlernen und leben muss. Da war also ein ganz schönes Programm angesagt und ich habe viel darüber gestaunt, was Die Linke hier alles aufgebaut hat.


Zur Person

Julia Stange

…sitzt seit 2025 im Deutschen Bundestag und ist Obfrau im Ausschuss für Gesundheit.

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