Zum Inhalt springen

Stefan Seidler (SSW) „In Berlin auf den Tisch hauen"

„Make Schleswig-Holstein great again“ ist nicht sein Plan, sagt Stefan Seidler augenzwinkernd. Doch der Abgeordnete des Südschleswigschen Wählerverbands will sich im Bundestag für nationale Minderheiten einsetzen. Warum, erklärt er am Beispiel zweier Fußball-Jungs.

„Wir sind schließlich keine Klamauk-Partei“, sagt der fraktionslose Abgeordnete Stefan Seidler im Interview, „ich denke, ich kann einiges bewirken“. © Deutscher Bundestag / Werner Schüring

Sie sitzen für den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) im Bundestag. Was ist das für eine Partei?

Das ist die Partei der dänischen Minderheit und der Friesen. Uns gibt es nur in Schleswig-Holstein, also im allernördlichsten Teil Deutschlands. Dort sind diese beiden Minderheiten beheimatet, das hängt damit zusammen, dass dieser allernördlichste Teil Deutschlands früher mal dänisch war. Dort leben also noch Dänen, die ihre eigenen Schulen und Zeitungen, dänisch sprechende Ärzte, ihre eigenen Altenheime und ihre eigenen Kulturorganisationen haben – und eben auch ihre eigene Partei und das ist der SSW.

Mit den Friesen, die an der Westküste leben, arbeiten wir auch zusammen und vertreten beide Minderheiten. Das ist der eine Schwerpunkt der Partei.

Und der andere?

Außerdem sind wir vor allem eine Regionalpartei. Und wir möchten, dass die Verhältnisse in unserer Heimat gut sind, deshalb machen wir uns für unsere Heimat stark. Ohne dass wir sagen „Schleswig-Holstein first“ oder „Make Schleswig-Holstein great again“.

… ha, ha, ha, wie der Ex-US-Präsident Donald Trump einmal für die USA formuliert hat. Zurück zu Deutschland: Seit 1953 gab es keinen Abgeordneten des SSW mehr im Bundestag. Wie kam es dazu, dass Sie sich entschieden, zur Bundestagswahl 2021 anzutreten?

Wir möchten für Schleswig-Holstein und die Menschen, die hier leben, Dinge verändern, die auf Landesebene nicht zu erreichen sind. Dazu gehört, dass wir ein gerechteres Stück vom bundesdeutschen Kuchen abbekommen möchten. Deshalb haben wir für die Bundestagswahl kandidiert. Dort sind wir dann mit einem Mandat eingezogen. Das Außergewöhnliche bei uns ist, dass wir von der Fünf-Prozent-Hürde befreit sind.

Warum das?

Das geht zurück auf ein altes Abkommen zwischen Dänemark und Deutschland und gilt seit 1955. Damals hat man vereinbart, dass man den Minderheiten besondere Rechte gibt, damit sie die Möglichkeiten haben, die Gesellschaft mitzugestalten.

Wir saßen bereits im ersten Deutschen Bundestag und haben bis 1961 kandidiert, dann waren die Zahlen nicht mehr so toll und wir haben uns auf unsere Region konzentriert.

Aber jetzt haben wir in den letzten Jahren festgestellt, dass wir da oben ein bisschen zu kurz kommen. Also haben wir gesagt: Gut, dann kandidieren wir eben wieder für den Bundestag und versuchen, in Berlin auf den Tisch zu hauen.

Warum wollen Sie auf den Tisch hauen?

Zum einen sind die Friesen in den letzten Jahren leider oft viel zu kurz gekommen, dadurch, dass sie keinen Heimatstaat hier haben. Die dänische Minderheit hat den dänischen Staat und der unterstützt uns hier und da. Insbesondere die Friesen müssen aber immer wieder als Bittsteller in Berlin fragen, ob es Projektgelder hierfür oder dafür gibt, meistens geht es dabei um Bildung und Kulturarbeit.

Zum anderem haben wir festgestellt, dass wir im Norden generell etwas hinter dem Deich leben und abgehängt werden. Stichwort Digitalisierung: Da geht’s besonders langsam bei uns, obwohl es in Deutschland ohnehin schon langsam voran geht. Und es gibt noch mehr Beispiele.

Welche denn?

Wenn wir auf den Bundesverkehrswegeplan gucken, wo die Straßennetze für 2030 bundesweit verteilt werden sollen, dann hat Bayern 325 Initiativen und wir haben nur 25. Und auch wenn wir uns die Strompreise anschauen, dann zahlen wir in Schleswig-Holstein im Bundesvergleich die höchsten Strompreise. Wir haben unser komplettes Netz umgestellt, sodass wir sauberen grünen Strom, beispielsweise aus Windenergie, produzieren. Den verkaufen wir dann billig in den Rest der Republik und die Verbraucher bei uns sitzen auf den höheren Preisen. Und wenn wir uns die Zuschüsse pro Krankenhausbett anschauen, kriegen wir im Bundesvergleich am wenigsten.

Sie sind der einzige Vertreter des SSW im Bundestag. Fühlen Sie sich bei Ihrer Arbeit als Einzelkämpfer?

Ich glaube, es gibt Politiker, die ganz weit oben sitzen und sich einsamer fühlen als ich es tue. Also nein, ich fühle mich keineswegs einsam. Alle sind sehr entgegenkommend und ich pflege auch einen sehr guten Kontakt zu allen demokratischen Fraktionen im Bundestag. Das sind für mich alles Kollegen, die hier im Bundestag sitzen, diese Kollegialität ist mir wichtig.

Meine Partei kennt man aus Schleswig-Holstein, da sind wir auch in der Landesregierung und seit Langem im Landesparlament und in den Kommunalparlamenten vertreten. Man weiß, dass wir Brückenbauer über die politischen Gräben hinweg sind. Deshalb kommen auch viele Abgeordnete auf mich zu und helfen mir. Sie wissen ja, dass ich als Einzelkämpfer nicht so viele Rechte habe und der Weg für mich teilweise etwas länger ist. Und auch die Bundestagsverwaltung ist sehr entgegenkommend. Darüber bin ich froh.

Sie setzen sich vor allem für ethnische Minderheiten in Deutschland ein, in erster Linie Dänen und Friesen, aber auch für die Sorben sowie Sinti und Roma. Warum ist Ihnen das wichtig?

Als Minderheit ist es im gesellschaftlichen Leben etwas schwieriger, Gehör zu bekommen, seine Sprache zu sprechen oder seiner Bildung und Kultur nachzugehen. Ich vergleiche das immer mit einer Karikatur, die ich mal gesehen habe, die die Situation sehr gut wiedergibt: Zwei Jungs schauen sich über einen Zaun hinweg ein Fußballspiel an. Der Zaun ist hoch. Der eine kann über den Zaun gucken und der andere ist ein bisschen zu klein und kann nicht darüber gucken. Dann sorgt der Große dafür, dass der Kleine eine Kiste bekommt, auf die er sich stellen kann …

… und so auch das Fußballspiel sehen kann.

Genau. Das erklärt ganz einfach, was Minderheitenrechte sind und worum es mir geht. Wir wollen nicht, dass die Minderheiten Sonderrechte bekommen und damit besser als die Mehrheitsgesellschaft aufgestellt sind. Aber wenn sie die gleichen Chancen in dieser Gesellschaft bekommen sollen, dann bedeutet das auch, dass sie eine bessere Startposition brauchen. Dafür kämpfe ich.

Es gibt Minderheiten, wie zum Beispiel die Sinti und Roma, die in Deutschland immer noch sehr diskriminiert werden. Hier gibt es Vorurteile, die damals zu Nazi-Zeiten gestreut wurden und teilweise immer noch in den Köpfen sitzen und natürlich gar nicht zutreffen. Das wollen wir ändern.

Als fraktionsloser Abgeordneter haben Sie eingeschränkte Möglichkeiten, zum Beispiel weniger Redezeit im Plenum. Inwiefern beeinflusst das Ihre Arbeit? Und haben Sie das Gefühl, trotzdem etwas bewirken zu können?

Ich denke, ich kann einiges bewirken, aber natürlich hätte ich die einen oder anderen Rechte auch gerne, beispielsweise das Recht, Anträge oder Kleine Anfragen zu stellen. Wir sind schließlich keine Klamauk-Partei, wir sind eine etablierte Partei, die in Schleswig-Holstein seit eh und je mitgestaltet. Deshalb untersuche ich derzeit, ob es die Möglichkeit gäbe, mir als Vertreter der Minderheiten ein paar Extrarechte im Bundestag zu geben. Ich denke, da muss sich auch niemand Sorgen machen: Denn ich werde mit den Kapazitäten, die ich habe, keine 500 Anfragen stellen.

Zur Person

Stefan Seidler wurde 1979 in Flensburg geboren. Er ging auf eine dänische Schule und studierte Staats- und Politikwissenschaften in Aarhus, Dänemark. Er ist sei 1996 Mitglied im Südschleswigschen Wählerverband (SSW). Im September 2021 zog er für den SSW per Direktmandat in den Bundestag ein. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.

Mehr zum Thema