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Geschlechter-Debatte Experten zu "divers"

"Männlich" oder "weiblich"? Das ist manchmal nicht eindeutig feststellbar. Daher möchte die Regierung jetzt die Kategorie "Divers" für das Geburtenregister einführen. Was sagen Experten dazu?

Demo für Gleichberechtigung

Christopher Street Day in Berlin: Es gibt mehr als männlich oder weiblich. © picture alliance/Geisler-Fotopress

Drittens: divers

Wenn ein Kind geboren wird, kommt der neue Mensch sogleich in ein Register, genauer gesagt ins Personenstandsregister. Dort wird auch eingetragen, ob das Menschlein männlich oder weiblich ist. Die Bundesregierung hat kürzlich einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ermöglichen soll, auch die Geschlechtsbezeichnung "divers" ins Personenstandsregister einzutragen.

Der Innenausschuss des Bundestages hatte dazu nun Experten geladen. Sie diskutierten im Rahmen einer öffentlichen Anhörung am 26. November über den Vorschlag der Regierung.

Die Vorgeschichte

Bei einigen Menschen ist nach der Geburt nicht eindeutig festzustellen, welchem Geschlecht sie angehören, denn sie haben körperliche, genetische oder hormonelle Merkmale von beiden Geschlechtern. Manchmal entwickeln sie sich später noch in die eine oder andere Richtung, manchmal bleiben sie irgendwo "dazwischen", man nennt sie deswegen "intersexuell". Das betrifft ungefähr 0,2 Prozent der Bevölkerung.

Bislang wurden solche Menschen im Personenstandsregister entweder als männlich oder weiblich eingetragen oder die entsprechende Stelle wurde freigelassen. Nun hat aber das Bundesverfassungsgericht im vorigen Jahr festgestellt, dass diese Praxis gegen das Persönlichkeitsrecht und das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz verstößt. Der Gesetzgeber muss also handeln.

Die meisten Fraktionen im Bundestag begrüßen den vorliegenden Gesetzentwurf im Prinzip. Uneinig waren sich die Befürworter darüber, ob für die Geschlechtsfestlegung auf "divers" ein ärztliches Attest nötig sei. Genau das war nun auch in der Anhörung umstritten.

Nachweis zwingend

Prof. Dr. Anatol Dutta von der Ludwig-Maximilians-Universität München meinte, es sei aus seiner Sicht zwingend, dass für einen Geschlechtseintrag "divers" ein Nachweis erbracht werde – es sei denn, der Gesetzgeber entscheide sich dazu, den Geschlechtseintrag komplett zu streichen, was ebenfalls möglich wäre. Das Personenstandsrecht sei aktuell von einer binären Vorstellung zweier Geschlechter geprägt, dies werde sich so schnell nicht ändern.

Attest überflüssig

Dr. Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte hingegen steht der Attestpflicht kritisch gegenüber. Nicht jeder intersexuelle Mensch habe Zugang zu seinen medizinischen Unterlagen. Insbesondere für betroffene Erwachsene, die zum Teil eine lange Leidensgeschichte hinter sich hätten, könne es eine erhebliche Belastung sein, ein ärztliches Attest zu besorgen. Die Expertin plädiert für eine eidesstattliche Erklärung der Betroffenen.

Mal so, mal so

Dr. Susanne Krege von den Kliniken Essen-Mitte war der Ansicht, dass ein Attest überflüssig sei, denn betroffene Kinder fielen in der Regel direkt nach der Geburt auf. Oder spätestens dann, wenn es bei der Entwicklung ungewöhnliche Beobachtungen gebe. Diese Kinder seien dann in der Regel in ärztlicher Betreuung. Bei heute schon erwachsenen Betroffenen sei die Sache komplizierter, bei ihnen solle eine Erklärung ausreichen. Ähnlich äußerte sich Dr. med. Annette Richter-Unruh von der der Ruhr-Universität Bochum.

Geschlecht ist nicht nur biologisch

Dr. Anna Katharina Mangold, Privatdozentin aus Freiburg, ging noch viel weiter. Sie meinte, das Geschlecht sei nicht nur biologisch, sondern psychosozial definiert. Heißt: Es kommt nicht darauf an, ob jemand Brüste oder einen Penis hat, sondern ob sich dieser jemand selbst als Frau oder Mann oder irgendwas dazwischen wahrnimmt. Die Juristin hält darum prinzipiell die Pflicht zur Eintragung eines Geschlechts für "verfassungsrechtlich problematisch". Eine Attestpflicht lehnt sie ebenfalls ab.

Stimmen die Zahlen?

Als einziger Sachverständiger äußerte sich der Psychiater Christian Spaemann grundsätzlich kritisch zum Gesetzentwurf. Zahlen zu betroffenen Menschen zweifelt er an, nur ein Bruchteil leide tatsächlich unter Störungen der sexuellen Entwicklung. Für die Feststellung sei eine umfangreiche Untersuchung und ein psychiatrisches Gutachten nötig.

Betroffene warnt vor Trauma

Mit Lucie Veith vom Verein Intersexuelle Menschen kam auch eine Betroffene zu Wort. Sie sagte, eine ärztliche Pflicht-Untersuchung könne bei betroffenen Menschen, die in der Vergangenheit in eine "Normgeschlechtlichkeit" hineingedrängt wurden, traumatisch sein. Man müsse fragen, ob dies zumutbar sei.

Ihr wollt die kompletten Argumentationen der Experten sehen? Dann klickt euch hier in den Mitschnitt der Anhörung rein.

(DBT/ah)

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