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Vizepräsidentin Petra Pau „Bis zu einer Rüge ist es ein langer Weg“

Die Gewinner der diesjährigen mitmischen-Reise sind derzeit unterwegs im Bundestag. Gerade trafen sie Vizepräsidentin Petra Pau, mit der sie über Rüpel im Parlament, Ostalgie und 107-Jährige sprachen.

Petra Pau im Gespräch mit Jugendlichen

"Wir sind so was wie Schiedrichter." Petra Pau erklärt ihre Rolle als Vizepräsidentin. © Tim Lüddemann

„Wenn mir 1989 jemand gesagt hätte: ‚Du wirst mal Bundestagsabgeordnete‘ – den hätte ich zum Arzt geschickt.“ Petra Pau, eine der bekanntesten Politikerinnen der Partei Die Linke, sitzt inzwischen seit 21 Jahren im Parlament und ist seit 2006 sogar Vizepräsidentin. Eine Stunde lang nahm sich die 56-jährige Ostberlinerin Zeit, um sich den Fragen von Michelle, Timo, Fabian, Anika, Huy, Lara, Maksym, Jannik und Lara zu stellen. Und die neun Schüler, Auszubildenden und Studenten hatten viele Fragen – hier eine kleine Auswahl.

„Wieviel verdient eine Vizepräsidentin?“

Auf ihrer Website hat Petra Pau unter dem Stichwort „Transparenz“ ihre Einkünfte genau aufgelistet. Auch übliche Ausgaben veröffentlicht die direkt gewählte Abgeordnete aus dem Ostberliner Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf. Huy springen sofort der Posten „Blumen und Kränze“ ins Auge. „Ja, auch das ist wichtig“, sagt Pau, „Sie glauben ja gar nicht, wie viele besondere Anlässe es in einem Wahlkreis gibt“. Bei ihr lebe sogar eine 107-Jährige. „Die besuche ich regelmäßig an ihrem Geburtstag“, berichtet Pau.

„Wird es im Bundestag bald einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin der AfD geben?“

In der Regel stellt jede Fraktion einen Vizepräsidenten im Bundestag. Doch aktuell gibt es nur fünf Vizepräsidenten, obwohl es mit CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sechs Fraktionen gibt. Drei Kandidaten der AfD sind bisher bei der Wahl gescheitert. „Jede Fraktion hat das Recht, einen Vorschlag zu machen“, erklärt Frau Pau, so stehe es in der Geschäftsordnung des Bundestages, doch „dadurch ist man nicht automatisch gewählt.“ Die Abgeordneten seien bei ihrer Wahlentscheidung frei. Der Kandidat müsse die absolute Mehrheit der Abgeordneten bekommen. „Das halte ich auch für richtig.“

Warum? Die Vizepräsidenten hätten drei Aufgaben: Erstens fungierten sie als Schiedsrichter im Plenarsaal. Sie leiteten dort die Sitzungen und sorgten dafür, dass die Regeln eingehalten werden, die sich das Parlament selbst gegeben habe. Dazu gehört etwa der höfliche und respektvolle Umgang miteinander, Schimpfwörter, Beleidigungen oder die Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen sind etwa tabu. Zweitens seien sie „sowas wie der Vorstand eines großen Unternehmens“, kümmerten sich also etwa um Personalfragen und Ausstattung des Bundestags. Und drittens verträten sie beim Empfang von Staatsgästen oder Auslandsreisen die Bundesrepublik Deutschland. „Ich sage dazu nur so viel: Die Abgeordneten sollen sich sehr bewusst entscheiden, ob sie denken, dass ein Kandidat diese drei Aufgaben erfüllen kann“, sagt Pau.

„Wie oft sprechen Sie im Plenarsaal eine Rüge aus?“

Nach der Geschäftsordnung des Bundestags kann der jeweilige Sitzungsleiter einzelne Abgeordnete zur Ordnung rufen, wenn sie „die Ordnung oder die Würde des Bundestages verletzen“. Doch bis zu so einer Rüge „ist es ein weiter Weg“, antwortet die Vizepräsidentin. Wenn jemand im Plenarsaal gegen eine Regel verstoße – egal ob es ein Abgeordneter ist oder ein Gast auf der Zuschauertribüne –, müsse man immer abwägen, wie hart man vorgehe. Sie nennt ein Beispiel: „Es ist nicht erlaubt, Transparente auszurollen. Der Plenarsaal ist ein Ort der Debatte, also der Auseinandersetzung mit Worten, Demonstrationen können draußen vor der Tür stattfinden.“ Wenn so ein Fall eintrete, bitte sie zunächst darum, das Transparent zu entfernen, und versuche, die Ordnung möglichst schnell wiederherzustellen. In der Regel sei der Fall damit erledigt.

Sie müsse natürlich immer unparteiisch agieren. Aus ihrer Anfangszeit als Vizepräsidentin berichtet Petra Pau: „Meine schwerste Aufgabe war es erst mal, meinen damaligen Fraktionsvorsitzenden Oskar Lafontaine und Gregor Gysi beizubringen, dass vier Minuten Redezeit exakt vier Minuten Redezeit sind und nicht mehr.“

Petra Pau mit Jugendlichen

Gruppenbild mit Vizepräsidentin: Das Treffen mit Petra Pau war ein Höhepunkt der mitmischen-Reise. © Tim Lüddemann

„Wie neutral können Sie bleiben, wenn Sie als Vertreterin der Bundesrepublik zum Beispiel auf Vertreter der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) treffen, deren rechtspopulistische Ansichten Sie als Linken-Politikerin sicher nicht teilen?“

„Mit dieser Frage habe ich mich schon ganz konkret befasst“, sagt Pau und nennt ein Beispiel: „Ich vertrete die Bundesrepublik regelmäßig im Mai bei einer Gedenkveranstaltung im ehemaligen KZ Mauthausen.“ Dort befand sich das größte deutsche Konzentrationslager der Nazis auf dem Gebiet Österreichs. „In diesem Jahr wäre es durchaus möglich gewesen, dass der österreichische Innenminister, der der FPÖ angehört, anreist. Ist er aber nicht. Es waren überhaupt keine FPÖ-Abgeordneten da, was ja auch ein Zeichen ist. Wären sie aber da gewesen, hätte ich wahrscheinlich mit ihnen über den Konsens gesprochen, den wir im Bundestag größtenteils haben, wie wir mit Erinnerungskultur und Gedenken umgehen wollen.“

„Sie engagieren sich stark gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus. Wurden Sie schon persönlich bedroht?“

Das bejaht Frau Pau. Ein solches Erlebnis habe sie in ihrem Buch „Gottlose Type“ aufgeschrieben. „Ich habe Polizeischutz“, sagt sie. Und fügt hinzu: „Dadurch bin ich privilegiert gegenüber denjenigen, die sich im Alltag etwa gegen Rechtsextremismus engagieren und bedroht werden.“ Gerade deshalb sei es ihr wichtig, diese engagierten Menschen zu unterstützen und sich nicht einschüchtern zu lassen.

„Sie sind in der DDR aufgewachsen, waren dort sogar Lehrerin. Wie stehen Sie zur DDR? Gab es dort wirklich keinen Rassismus, wie manche behaupten?“

Von Ostalgie halte sie nichts, macht Petra Pau klar: „Die DDR ist an sich selbst gescheitert – und zwar zu Recht.“ Und weiter: „Es hat in der DDR Rassismus und Rechtsextremismus gegeben. Aber natürlich gab es genauso auch Solidarität.“

Zu diesem Thema sei noch viel zu sagen, meint Frau Pau und lädt ihre Gesprächspartner ein, sie jederzeit zu kontaktieren. Sie hat Karten mit ihren Kontaktdaten mitgebracht. Gerne bliebe sie zu diesen und weiteren Fragen im Gespräch.

(jk)

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