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Strafrecht Darf ich Essen aus der Mülltonne "retten"?

Eric Matt

Wer Lebensmittel aus fremden Mülltonnen nimmt, macht sich strafbar. Doch ist ein Verbot dieses „Containerns“ sinnvoll? Und welche Lösungen gibt es? Das wollte der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz von Experten wissen.

Zwei junge Menschen füllen Kühlschrank mit weggeschmissenen Lebensmitteln

Containern statt einkaufen: Viele Lebensmittel aus dem Müll eines Supermarktes sind noch genießbar. © picture alliance/dpa | Harald Tittel

Stell dir vor, ein Supermarkt an deinem Wohnort schmeißt haufenweise abgelaufene Lebensmittel in die Mülltonne, die jedoch noch gut sind. Du aber möchtest nicht, dass noch verwertbares Essen im Müll landet. Also gehst du zum Supermarkt und holst die Lebensmittel wieder aus der Mülltonne. Dafür bekommst du aber keinen Nachhaltigkeitspreis, sondern wirst vor Gericht wegen Diebstahls verurteilt. Denn sogenanntes „Containern“ ist verboten. So ähnlich erging es kürzlich zwei Studentinnen aus München.

Ob diese Regelung sinnvoll ist, der Gesetzgeber daran etwas ändern sollte oder welche Lösungen es sonst noch für das Problem gibt, wollte der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz kürzlich in einer Anhörung von Experten wissen. Grundlage war ein Antrag der Fraktion Die Linke.

Was ist Containern?

Supermärkte entsorgen oftmals Lebensmittel in Containern, die zwar noch essbar sind, die sie aber beispielsweise wegen abgelaufener Mindesthaltbarkeit oder falscher Lagerung nicht mehr verkaufen dürfen. Menschen, die „containern“, entnehmen aus diesen gewerblichen Mülltonnen die Lebensmittel, die noch genießbar sind.

Das Problem: Man darf nicht einfach etwas aus Containern anderer Leute entnehmen. Dies ist nach dem Strafgesetzbuch nämlich Diebstahl, da die Lebensmittel noch immer Eigentum des Supermarktes sind. Vor einigen Monaten hat dies das höchste Gericht Deutschlands, das Bundesverfassungsgericht, bestätigt.

Was möchte die Linksfraktion ändern?

Die Fraktion Die Linke möchte mit ihrem Antrag das „Containern von Lebensmitteln entkriminalisieren“. Containern soll also nicht mehr strafbar sein. Die Linke findet die "Rechtspraxis skandalös“. Denn das Ziel des Containerns sei nicht, „Eigentum des Supermarktes zu schädigen oder es zu entziehen“.

Vielmehr würden Menschen aus Umweltbewusstsein Lebensmittel aus Mülltonnen entnehmen oder auch, weil sie zu wenig Geld hätten, um eigene kaufen zu können.

Containern stelle „ein gesellschaftlich gewünschtes Verhalten dar, weil es Lebensmittelverschwendung reduziert“. Die Fraktion Die Linke schlägt daher vor, „Lebensmittelabfälle als herrenlose Sachen“ zu definieren. Das bedeutet, dass die entsorgten Lebensmittel rechtlich nicht mehr Eigentum der Supermärkte wären. Folglich wäre Containern auch kein Diebstahl mehr. Wenn die Lebensmittel niemandem gehören, kann man sie auch nicht stehlen.

„Entkriminalisierung sinnvoll“

Prof. Dr. Annika Dießner von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin erklärte, dass „die im Antrag vorgeschlagene Entkriminalisierung sinnvoll“ sei. Eine strafrechtliche Verfolgung „widerspricht dem Ultima-Ratio-Grundsatz“. Das Ultima-Ratio-Prinzip besagt, dass eine strafrechtliche Verfolgung nur das allerletzte Mittel sein darf. Zuvor sind andere Steuerungsinstrumente anzuwenden.

„Eine Entkriminalisierung trägt der sich wandelnden Einstellung mit Blick auf die Verwendung von Ressourcen Rechnung“, so Dießner.

Besser „Anpassung des Mindesthaltbarkeitsdatums“

Auch der Leipziger Rechtsanwalt Max Malkus erklärte, dass es rechtlich möglich sei, Containern zu entkriminalisieren. Dies hätten andere Länder wie Frankreich, Italien oder Tschechien getan.

Eine weitere Möglichkeit sei eine „sprachliche Anpassung des Mindesthaltbarkeitsdatums“, sodass von Anfang an weniger Lebensmittel entsorgt werden müssten.

Malkus sagte aber auch, dass seiner „Erfahrung nach die meisten Fälle des Containerns nicht strafrechtlich verfolgt“ würden.

„86 Prozent der Befragten gegen Strafbarkeit“

Evelin Schulz, die Geschäftsführerin der Tafel Deutschland, erklärte, dass in einer Umfrage „86 Prozent der Befragten gegen die Strafbarkeit“ des Containerns sei. Die Tafel Deutschland ist ein gemeinnütziger Verein und der Dachverband der deutschen Tafeln. Die mehr als 940 gemeinnützigen Tafeln in Deutschland sammeln überschüssige Lebensmittel und verteilen sie an Menschen in Not.

Schulz argumentierte: „Niemand sollte rechtlich dafür verfolgt werden, genießbare Lebensmittel zu retten, während deutschlandweit bis zu 12 Millionen Tonnen jährlich verschwendet werden.“

„Symbolische Gesetzgebung nicht nützlich“

Prof. Dr. Thomas Fischer, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, hingegen erklärte, dass er die „im Antrag vorgeschlagene gesetzliche Regelung für rechtlich und praktisch nicht sinnvoll“ halte.

Laut Fischer sei es „sehr schwer, teilweise gar nicht“ möglich, entsorgte Lebensmittel als herrenlos zu definieren. Er plädierte für Alternativen, da „eine bloß symbolische Gesetzgebung in der Sache nicht nützlich“ sei.

„Kein Handlungsbedarf“

Nach Meinung von Prof. Dr. Michael Kubiciel von der Universität Augsburg, „besteht weder verfassungsrechtlicher noch kriminalpolitischer Handlungsbedarf“.

Kubiciel erklärte, dass „zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung deutlich effektivere Strategien als die Straffreistellung des sogenannten Containerns“ existieren würden. Wie auch Malkus sagte Kubiciel, dass Containern jetzt schon oftmals nicht strafrechtlich verfolgt werde.

„Gesetzesänderung nicht erforderlich“

Auch Oberstaatsanwältin Nicole Luther von der Staatsanwaltschaft Tübingen argumentierte, dass „eine Gesetzesänderung nicht erforderlich“ sei. „Politische oder gesellschaftliche Missstände, wie hier die Verschwendung von Lebensmitteln“, müssten auf anderem Wege bekämpft werden.

„Unverkaufte Lebensmittel spenden“

Geladen war auch Prof. Dr. Anja Schiemann von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Sie stimmte zu, dass eine Gesetzesänderung nicht zielführend sei, „da beim Containern regelmäßig noch die Straftatbestände der Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruchs erfüllt sein werden“. Das bedeutet, dass Containern immer noch eine andere Straftat sein würde, auch wenn es kein Diebstahl mehr wäre.

Laut Schiemann sei es „weitaus sinnvoller, Lebensmittelmärkte ab einer gewissen Größe zu verpflichten, unverkaufte, aber für den menschlichen Verzehr geeignete Lebensmittel zu spenden“.

Pragmatische Lösung

Mancherorts regeln Supermärkte die Angelegenheit ganz pragmatisch: In einem Brief an die "Lebensmittelretter", der an der Gewerbemülltone hängt, erlauben sie es ihnen, weggeschmissenes Essen zu entnehmen. In dem Schreiben weisen sie darauf hin, was noch bedenkenlos gegessen werden könnte und wovon man lieber die Finger lassen sollte.

Die gesamte Anhörung und die Stellungnahmen der Experten könnt ihr auf bundestag.de nachlesen.

Zur Person

Portraitfoto von mitmischen-Autor Eric Matt
mitmischen-Autor

Eric Matt

... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.

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