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Suizidhilfe Gesucht: Neue Regeln für selbstbestimmtes Sterben

Flora Scheffler

Jeder Mensch darf entscheiden, wann und wie er sterben möchte. Und er darf sich dabei auch Hilfe holen. Das hat das Bundesverfassungsgericht bestimmt. Nun überlegt der Bundestag, wie ein passendes Gesetz aussehen könnte.

Patient in einem Krankenhausbett

Wie hilft man Menschen, die nicht mehr leben wollen, am besten? Darüber diskutierte der Bundestag kontrovers. © shutterstock.com/Gorodenkoff

Der Bundestag hat sich schon einmal, 2015 war das, mit dem Thema beschäftigt. Damals beschloss er, die organisierte Sterbehilfe zu verbieten. 2020 erklärte dann allerdings das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot für ungültig.

Jeder Mensch habe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, erklärte das Gericht, und dürfe dabei auch Hilfe in Anspruch nehmen. Seit diesem Urteil wird jemand, der einem anderen beim Selbstmord geholfen hat, indem er zum Beispiel das nötige Medikament dafür besorgt hat, nicht mehr bestraft. Auch Paragraph 217 des Strafgesetzbuches ist seitdem nicht mehr gültig, der regelte, dass Menschen, die bei mehreren Suiziden halfen, eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bekommen konnten.

Das Problem ist jetzt, dass es keine genauen Regelungen mehr gibt. Man nennt das Rechtsunklarheit. Deshalb beschäftigte sich der Bundestag schon in der letzten Legislaturperiode mit dem Thema, um eine Lösung zu erarbeiten, kam aber vor der Bundestagswahl zu keinem Ergebnis mehr.

Der erste Vorschlag aus dem Bundestag

Nun haben Abgeordnete verschiedener Fraktionen einen sogenannten fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Zwei weitere Entwürfe wurden angekündigt.

Der Entwurf, den einzelne Abgeordnete aller Fraktionen außer der AfD unterstützen, sieht vor, dass die Sterbehilfe nur dann legal sein soll, wenn die suizidwillige Person „volljährig und einsichtsfähig“ ist, sich zweimal von einer Fachärztin oder einem Facharzt untersuchen lassen hat und mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat.

Werbung für die Selbsttötung soll verboten sein, sachliche Informationen von einem Arzt hingegen erlaubt.

Fraktionsübergreifende Vorschläge gibt es oft bei Fragestellungen, die die Ethik betreffen, also das sittliche Verhalten des Menschen, seine Normen und Moral. Auch die Sterbehilfe ist so ein heikles Thema, bei dem Abgeordnete sich eher an ihrem inneren Kompass orientieren möchten als an Parteiprogrammen, die in diesen Bereichen ohnehin oft keine Antwort bieten. Deshalb wird die Fraktionsdisziplin bei der Abstimmung aufgehoben.

Um Meinungen auszutauschen und sich ein Bild zu machen, trafen die Abgeordneten sich am 18. Mai, um in einer Vereinbarten Debatte über Neuregelungen zum Thema Sterbehilfe zu diskutieren.

Eine ganz besondere Debatte

Die sogenannte Vereinbarte Debatte wird im Bundestag oft für den Meinungs- oder Informationsaustausch zwischen den Abgeordneten genutzt. Oftmals wird sie für aktuelle Anlässe genutzt, auch wenn es noch keinen Gesetzesentwurf und keinen Antrag gibt. Übrigens ist die Vereinbarte Debatte erst seit der 10. Legislaturperiode, also seit den 1980er Jahren üblich.

CDU/CSU: „Der Staat soll sich schützend vor das Leben des Einzelnen stellen“

Ansgar Heveling von der CDU/CSU stellte klar, dass die Selbsttötung nicht zum Normalfall werden dürfe. Geschäftsmodelle, die das verursachen würden, müssten deshalb verhindert werden. Suizidwillige sollten aus diesem Grund von einem Facharzt oder einer Fachärztin untersucht werden und ein Beratungsgespräch führen. In so einem Gespräch solle festgestellt werden, ob der Sterbewunsch wirklich von dieser Person oder von äußeren Einflüssen ausgehe. Ein klares Schutzkonzept sei nötig, deshalb habe er auch bei dem Gesetzesentwurf mitgewirkt.

Hevelings Fraktionskollege Hubert Hüppe ergänzte, dass alles unternommen werden müsse, um Suiziden vorzubeugen. Betroffene seien oft in einer schweren Lebenslage, die man gegebenenfalls verbessern könne. Zudem müsse auf jeden Fall vermieden werden, dass sich jemand moralisch zum assistierten Suizid verpflichtet fühlt, etwa um seine Angehörigen nicht weiter zu belasten.

SPD: „Wir wollen Anwälte sein, aber nicht Richter des Einzelnen“

Das Strafrecht sei nicht der richtige Weg, so Helge Lindh von der SPD, um Suizide zu verhindern. Er verdeutlichte, dass die „fragwürdigen“ Sterbehilfevereine nur entstanden seien, weil es keine andere rechtssichere Möglichkeit gab, selbstbestimmt zu sterben.

Seine Kollegin Martina Stamm-Fibich gab zu bedenken, jeder Mensch habe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, egal ob er gesund oder krank sei. Die Aufgabe des Bundestages sei nicht zu entscheiden, wann ein Suizid „akzeptabel“ ist. Sie sprach sich für eine Stärkung der Suizidhilfe und für einen geregelten Prozess bei der Sterbehilfe aus. Die Betroffenen seinen unbedingt vor Zwang und Manipulation zu schützen, somit sei ein rechtssicherer Rahmen notwendig. Für Kinder oder Menschen mit rechtlicher Betreuung sollte die Sterbehilfe aber ihrer Meinung nach nicht zugelassen werden.

Grüne: „Wir dürfen Menschen in Not nicht mit ihren Problemen allein lassen“

Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) meinte, ein klares Schutzkonzept sei wichtig, denn viele Menschen wünschten sich nur eine Pause in einer unerträglichen Lebenslage und hegten keinen längerfristigen Sterbewunsch. Die Suizid-Prävention sollte an erste Stelle gesetzt werden (also die Vorbeugung beziehungsweise Verhütung). Ihr Ziel sei, die Sterbehilfe zu regeln, aber nicht zu fördern. Auch Kappart-Gonther hat an dem Gesetzesentwurf mitgewirkt.

Ihre Kollegin Renate Künast dagegen sagte, jeder Mensch habe „in jeder Lebensphase“ das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Es sei Aufgabe des Bundestages, einen „zumutbaren, geeigneten Weg“ zu ermöglichen, durch klare Regeln, Transparenz und Schutzmechanismen. Eine Beratung, auch etwa über die Wirkungsweise von Medikamenten, müsse durch zuverlässige Vereine erfolgen.

FDP: „Wir diskutieren über das Wie“

Da das Recht auf selbstbestimmtes Sterben im Grundgesetz stehe, sei es indiskutabel, über eine Regelung im Strafrecht zu sprechen, meinte Kathrin Helling-Plahr von der FDP. Man solle den Betroffenen zur Seite stehen und denen, die ihnen helfen wollten, mit Respekt begegnen und nicht mit Strafen. Die Betroffenen brauchten Rechtsklarheit und Anlaufstellen.

Ihr Fraktionskollege Benjamin Strasser erwiderte, dass nicht jeder Sterbewunsch auch ein Suizidwunsch sei. Viele Menschen wollten nur nicht mehr so leben, wie sie gerade leben. Außerdem gab er zu bedenken, wie groß die Spannbreite der Betroffenen sei, es gebe nicht nur Menschen mit Schmerzen, sondern auch welche, die zum Beispiel in Armut lebten. Folglich müsse es Beratungen zu Alternativen geben. Strasser hat beim vorliegenden Gesetzesentwurf mitgewirkt.

AfD: „Jeder Suizid ist eine Tragödie“

Thomas Seitz von der AfD betonte, es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Deshalb sei ein legaler Zugang zu Medikamenten wichtig. Es dürften jedoch keine Ärzte und Ärztinnen oder Apotheker und Apothekerinnen zum Mitmachen gezwungen werden. Die Suizidwilligen müssten die Entscheidung außerdem frei von Beeinträchtigungen treffen. Die Voraussetzung sei bei Kindern und Jugendlichen nicht gegeben. Überdies sollte die Suizid-Prävention gefördert werden, meinte er.

Martin Sichert (ebenfalls AfD) ist gegen Geschäftsmodelle, die einen Gewinn für die Anbieter oder die Pharmaindustrie bieten. Er sprach sich für enge Rahmenbedingungen für den assistierten Suizid aus. Außerdem ist er dafür, im Fall einer unheilbaren Krankheit den Betroffenen ohne lange Wartezeiten Suizidhilfe zu gewähren.

Linke: „Ein Recht, welches sich in der Praxis nicht ausüben lässt, ist kein Recht“

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben aus dem Grundgesetz sollte auch praktisch wahrnehmbar sein, erklärt Petra Sitte (Die Linke). Deswegen müsse die Hilfe beim Suizid straffrei sein. Ferner sollte es Zugang zu Beratungen und Hilfsangeboten für alle Betroffenen geben.

Kathrin Vogler kritisierte die mangelhafte Suizidprävention und warb für den Gesetzesentwurf, an dem sie mitgewirkt hat. Es müsse unbedingt verhindert werden, dass Menschen durch ein markgetriebenes System zum Suizid gedrängt werden, sagte sie.

Hier seht ihr die Debatte im Video:

Zur Person

Portrait der Autorin
Mitmischen-Autorin

Flora Scheffler

ist 15 Jahre alt, kommt aus Dresden und besucht derzeit die 9. Klasse eines Gymnasiums. In ihrer Freizeit spielt sie am liebsten Klavier oder Cello und trifft sich mit Freunden. Es macht ihr Spaß, Neues nicht nur zu erfahren, sondern auch die Zusammenhänge zu verstehen.

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