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Aktuelle Stunde Debatte um Reichsbürger-Razzia

Letzte Woche waren 3.000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz, um gegen sogenannte Reichsbürger vorzugehen, die offenbar einen bewaffneten Putsch planten. In der Bundestagsdebatte warnte der Großteil der Abgeordneten vor eine Verharmlosung der Gruppe und kritisierte die AfD scharf.

Polizisten verhaften einen Verdächtigen

Von einem „hoch gefährlichen“ und „hoch erfolgreichen Einsatz“ sprach Innenministerin Nancy Faeser (SPD). © picture alliance/dpa/Uli Deck

Sie wollten offenbar mit Waffengewalt den Bundestag stürmen und eine neue Regierung gründen. Tote hätten sie dabei in Kauf genommen. Wegen Terror-Verdachts sitzen nun 23 beschuldigte Reichsbürger in Untersuchungshaft. Darunter ist auch die Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann.

Auf Wunsch der Ampel-Fraktionen fand am Mittwoch eine Aktuelle Stunde zu den Vorfällen statt.

SPD: „Abgrund an Gewaltbereitschaft“

Sebastian Hartmann (SPD) sagte, der Einsatz habe deutlich gemacht, „was in diesem Land an rechten Netzwerken existiert“ und wie weit sie in die Gesellschaft hineinreichten. Ein „Abgrund an Gewaltbereitschaft“ habe sich aufgetan. Doch der Rechtsstaat sei wehrhaft und lasse sich „von Nazis und auch von Milieus der AfD und der Reichsbürger-Szene“ nicht „auf der Nase herumtanzen“.

Auf einen Zwischenruf aus den Reihen der AfD erwiderte Hartmann: „Schämen Sie sich! Sie sind Teil des Problems, Sie sind Feinde der Demokratie!“ Er warf der AfD „Hass und Hetze“ sowie die Verharmlosung „rechtsradikalen Terrors“ vor und forderte, Reichsbürger und andere Verfassungsfeinde aus deutschen Sicherheitsbehörden zu entfernen.

Bundesrat: „Waffen haben in den Händen von Extremisten nichts verloren“

Für den Bundesrat sprach der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU). Bund und Länder kämpften gemeinsam gegen „Staatsfeinde und Rechtsextremisten“, betonte er. Es gehe eine „ernsthafte Gefahr“ von Teilen der Reichsbürger aus, die an der Existenz des Staates zweifelten. Sie hätten großen Schaden anrichten können und dürften deshalb nicht verharmlost werden.

Der Austausch der Behörden sei auch in Zukunft wichtig, um solche Gefahren abzuwenden. „Waffen haben in den Händen von Extremisten nichts verloren“, sagte Beuth. Eine Änderung des Waffenrechts sei nötig: „Das Waffenrecht müsste dem einfachen Prinzip folgen: Wer dem Verfassungsschutz als Verfassungsfeind bekannt ist, darf keine Waffenerlaubnis und keine legalen Waffen besitzen, Punkt.“ Beuth kritisierte, die Ampel-Koalition verhindere die notwendige Änderung.

Grüne: „Durch und durch staatsfeindliche Ideologie“

Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) konstatierte: „Wir reden hier über den größten Anti-Terror-Einsatz in der deutschen Geschichte.“ Die Reichsbürger mit ihrer „durch und durch staatsfeindlichen Ideologie“ seien eine „Gefahr für unsere Gesellschaft“. „Bedrohlich“ sei außerdem „die Anschlussfähigkeit bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft“.

Der Union warf Mihalic vor, die Reichsbürger lange nicht ernst genug genommen zu haben. In Richtung AfD rief sie: „Ihre Partei ist der Brandbeschleuniger dieser demokratiefeindlichen Bewegungen!“ Es sei die Aufgabe der anderen fünf Fraktionen, eine „effektive Brandmauer“ dagegen zu bilden.

AfD: „Keine Gefahr für die verfassungsgemäße Ordnung Deutschlands“

Gottfried Curio (AfD) behauptete, von den „zwei Dutzend Menschen“, die verhaftet worden seien, sei „keine Gefahr für die verfassungsgemäße Ordnung Deutschlands“ ausgegangen. Er machte sich lustig über „König Heinrich den Fragwürdigen“, den Kopf der Gruppe, und seine „Rentner-Kombo“. Deren „Fake-Staatsstreich“ habe das Innenministerium als „PR-Operation“ genutzt.

Curio deutete an, andere extremistische Gruppierungen seien eine größere Gefahr für Deutschland: „Gut, dass die 20.000 Reichsbürger nicht die gleiche Zahlenstärke haben wie die 35.000 Linksextremisten oder die 28.000 Islamisten.“

Justizminister: „Der Staat ist nicht blind, nicht auf dem linken, nicht auf dem rechten Auge“

Justizminister Marco Buschmann (FDP) nannte die Rede von Curio „ekelhaft“. Er erzählte die Geschichte eines Polizisten, der 2016 von einem Reichsbürger erschossen wurde, weil er versucht hatte, dessen Waffe einzuziehen. „Wer das ins Lächerliche zieht, versucht, die Gefahr kleinzureden, und zeigt, dass ihm Leib und Leben unserer Polizisten egal sind – und deshalb sollten Sie sich schämen“, sagte Buschmann in Richtung Curio.

Buschmann wies den Vorwurf zurück, das Justizministerium oder der Generalbundesanwalt habe vorab die Presse informiert. Er widersprach außerdem der Behauptung, eine Zahl von 3.000 Beamten sei für den Einsatz überdimensioniert gewesen.

Die Razzia habe gezeigt, „dass der Staat nicht blind ist, nicht auf dem linken, nicht auf dem rechten Auge“.

Linke: „Folgenschwere Fehlannahmen“

Martina Renner (Die Linke) sprach von zwei „folgenschweren Fehlannahmen“. Zum einen behaupte der Geheimdienst, nur fünf Prozent der Reichsbürger seien rechtsextrem. „Diese Leute verbreiten Rassismus gegen Geflüchtete und antisemitische Verschwörungstheorien. Sie planen Säuberungen und Entführungen politischer Gegner. Sie halten den Staat für schwach und sie wollen eine autoritäre Diktatur“, so Renner. „Nennen wir die Dinge doch beim Namen: Wir haben es mit bewaffneten Rechten zu tun, die eine Gefahr für viele Menschen und für die Demokratie sind.“

Der zweite Fehler sei die Verwunderung darüber, dass unter den Verdächtigen Polizisten, Soldaten, Ärzte, Lehrer und eine Richterin seien. Die Unterstützung für rechtsextreme Bewegungen komme schon immer aus der Mitte der Gesellschaft. Darin bestehe die wirkliche Gefahr und davor dürfe man nicht die Augen verschließen.

Innenministerin: „Spitze des Eisbergs“

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem „hoch gefährlichen“ und einem „hoch erfolgreichem Einsatz“. Allerdings sei das nur die „Spitze des Eisbergs“ gewesen. 23.000 Reichsbürger zähle das Bundesamt für Verfassungsschutz, 239 Gewalttaten seien im letzten Jahr durch Reichsbürger verübt worden. Auch Faeser warf der AfD vor, die Gruppe „in einer Art und Weise zu verharmlosen, die diesem Land schadet und es gefährdet“.

Es brauche eine „klare Haltung aller Demokratinnen und Demokraten“. Es sei notwendig, den Reichsbürgern konsequent die Waffen zu entziehen. Faeser sprach sich wie der hessische Innenminister für eine Verschärfung des Waffenrechts aus, betonte aber, in der letzten Legislaturperiode habe die Union das verhindert.

Wichtig sei aber auch, die „Demokratie von innen heraus zu stärken“ und „Prävention von Anfang an“ zu betreiben, schon in Kitas und Schulen. „Wir verteidigen die Demokratie gegen alle Feinde, egal von welcher Seite“, versprach Faeser.

Union: „Da ist was schiefgelaufen“

Wie ihre Vorredner befand auch Andrea Lindholz (CDU/CSU) es als „unerträglich“, wie die AfD die Vorfälle der Vorwoche ins Lächerliche ziehe: „Mit Ihren Relativierungsversuchen offenbaren Sie eine schräge Sicht auf unseren Rechtsstaat.“ Sie merkte an, auch Die Linke und Einzelpersonen wie der ehemalige Innenminister Otto Schily (SPD) hätten die Reichsbürger verharmlost.

Lindholz forderte, die Informationswege der Presse im Vorfeld der Razzia zu hinterfragen. Wenn beim Einsatz die Presse teilweise schneller vor Ort gewesen sei als die Einsatzkräfte, sei da „was schiefgelaufen“. Das müsse aufgeklärt werden. Es gehe schließlich „um den Verrat von Dienstgeheimnissen“.

Familienministerin: „Demokratie kann nicht von oben verordnet werden“

Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, es sei „schockierend“, dass Menschen wie Polizisten und Lehrer, „die Verantwortung in unserem Rechtsstaat übernehmen“, zu Staatsfeinden geworden seien. Dass der Rechtsstaat klare Antworten darauf habe, sei gut.

Eine wehrhafte Demokratie brauche eine starke Zivilgesellschaft, betonte Paus. Deshalb fördere ihr Ministerium mit dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ über 600 Initiativen, die sich für Demokratie und die Gestaltung von Vielfalt einsetzten. „Demokratie kann nicht von oben verordnet werden“, mahnte Paus. Sie brauche Menschen, die sich gemeinsam engagierten – „und das ist die übergroße Mehrheit in unserem Land“.

Paus erklärte, das Demokratiefördergesetz, das sie am Mittwoch gemeinsam mit Innenministerin Faeser vorgestellt hatte, „bringt uns einen sehr großen Schritt voran“. Denn Demokratieförderung sei eine „dauerhafte staatliche Aufgabe“.

FDP: „Radikale Machtphantasten, die zu blutigem Terror bereit sind“

Katrin Helling-Plahr (FDP) begannt ihre Rede: „Konkrete Pläne zum Putsch, zu Exekutionen, zu Säuberungen und zum Aufbau einer neuen Regierung – was wie von vorvorgestern klingt, ist offenbar heute traurige und gefährliche Gegenwart.“ Das ganze Ausmaß der Gefahr könne man „nur erahnen“.

Man werde den Bundestag in Zukunft besser schützen müssen. Denn: „Alle Gewalt geht in unserem Staat vom Volke aus, nicht von radikalen Machtphantasten, die zu blutigem Terror bereit sind“, so Helling-Plahr.

Hier seht ihr die Aktuelle Stunde im Video:

(jk)

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