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Regierungserklärung „Fortschritt ist möglich in der europäischen Asylpolitik“

In seiner Regierungserklärung sprach Bundeskanzler Olaf Scholz gestern über die beiden wichtigsten Themen des bevorstehenden Treffens des Europäischen Rats in Brüssel: eine gemeinsame europäische Einwanderungspolitik und Europas Wettbewerbsfähigkeit.

Bundeskanzler Olaf Scholz am Rednerpult des Plenarsaals, im Vordergrund Zuschauer

„Europa braucht sich nicht zu verstecken“, konstatierte der Kanzler im Bundestag. © picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm

Am 9. und 10. Februar trifft sich der Europäische Rat zu einer außerordentlichen Tagung in Brüssel. Im Vorfeld berichtete der Bundeskanzler gestern den Abgeordneten im Bundestag über die anstehende Agenda.

Bevor die Bundestagspräsidentin die Sitzung eröffnete, gab es jedoch eine Schweigeminute für den verstorbenen Unionsabgeordneten Gero Storjohann – gefolgt von einer weiteren Schweigeminute für die Betroffenen des Erdbebens in der Türkei und Syrien.

Das Erdbeben griff dann auch Bundeskanzler Olaf Scholz auf: „Schockierende Bilder und Nachrichten“ erreichten uns aus dem Erdbeben-Gebiet. „Wir sind erschüttert über so viel Leid und Zerstörung“, so Scholz. Die Bundesregierung habe sofort Hilfen veranlasst. Er nehme auch in der deutschen Bevölkerung eine „Welle des Mitgefühls und der Hilfsbereitschaft“ wahr.

Krieg in der Ukraine: „Wir brauchen Umsicht und Nervenstärke“

Eine „ganz anders geartete“, eine „menschengemachte Katastrophe“ erschüttere die Ukraine seit fast einem Jahr, fuhr der Kanzler fort. Um den Angriffskrieg Russlands werde es auch bei dem bevorstehenden Treffen des EU-Rats wieder gehen.

Tausende Menschen seien in der Ukraine gestorben, Millionen seien auf der Flucht. „Das ist die größte Fluchtbewegung auf unserem Kontinent seit Ende des Zweiten Weltkriegs.“ Deutschland werde auch 2023 weiter Hilfe leisten, finanziell, humanitär und auch mit der Lieferung von Waffen. Drei „klare Prinzipien“ bestimmten das Handeln der Bundesregierung: Erstens werde man nicht zulassen, dass Russland sich gewaltsam Teile der Ukraine einverleibe. Deshalb unterstütze man die Ukraine bei der Verteidigung ihrer Souveränität. Zweitens werde man verhindern, dass die Nato in den Krieg eintrete. Und drittens werde man alle Maßnahmen „im Gleichklang mit unseren Partnern und Verbündeten“ vorbereiten und umsetzen.

Dieser Zusammenhalt sei „unser höchstes Gut“. Deshalb werde Scholz die Tagung dafür nutzen, das weitere Vorgehen mit den anderen Regierungschefs der EU-Länder abzustimmen. Dafür brauche es „Umsicht und Nervenstärke“. Darauf könnten die Bürgerinnen und Bürger vertrauen. Die Zukunft der Ukraine liege in der EU, so der Kanzler, „und dieses Versprechen gilt“.

Einwanderung: „Wir brauchen Klarheit, wer nach Europa kommt und warum“

Beim Treffen des EU-Rats werde es um die Aufnahme und Integration von ukrainischen Geflüchteten gehen, so der Kanzler, aber auch um die Migration aus anderen Ländern. Nach Jahren des Stillstands sei „Fortschritt möglich in der europäischen Asylpolitik“. Wichtig sei dabei: „Wir brauchen Klarheit, wer nach Europa kommt und warum.“ Das schließe auch „wirksame Kontrolle der Außengrenzen“ mit ein – und Solidarität mit den EU-Ländern an der Außengrenze.

Immer mehr Länder in Europa seien auf Fachkräfte-Einwanderung angewiesen, „das gilt auch für Deutschland“. Deshalb sei es „gut, dass wir endlich ein modernes Einwanderungsrecht schaffen“.

Wettbewerbsfähigkeit Europas: „Europa braucht sich nicht zu verstecken“

Das zweite wichtige Thema im EU-Rat neben der Migrationspolitik sei die Wettbewerbsfähigkeit Europas, sagte Scholz. Dabei sei es wichtig, den Unternehmen den Wandel zur Klimaneutralität zu erleichtern. Denn Deutschland und Europa „setzen die Segel richtig“ in Sachen Energiewende.

Den Pessimismus anderer teile er nicht: Die Inflation in Europa sinke, das Wirtschaftswachstum sei zuletzt leicht gestiegen – und höher als in China und USA –, und die Beschäftigungszahl sei „auf Rekordwert“. Das Fazit des Kanzlers: „Europa braucht sich nicht zu verstecken.“ Wichtig sei nun, Förderinstrumente flexibler zu nutzen und weiter auf „fortschrittliche und saubere Technologien“ und auf „freien und fairen Handel“ zu setzen.

Union: „So wird europäische Asylpolitik nicht gelingen“

Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, sagte zum Krieg in der Ukraine, Russland verstärke seine Kriegshandlungen derzeit wieder. Im Bundestag gebe es, so Merz, „einen großen, wenn auch leider nicht uneingeschränkten Konsens“ darüber, dass es sich um einen „verbrecherischen Angriffskrieg“ handele auf ein Land, von dem „keinerlei Bedrohung“ ausgegangen sei.

Zu Deutschlands Unterstützung für die Ukraine sagte Merz kritisch: „Lassen Sie uns hoffen, dass wir nicht irgendwann sagen müssen: Das war zu wenig und das war zu spät.“ Die Lieferung moderner Kampfpanzer sei kürzlich erst beschlossen worden, Auslieferung und Ausbildung liefen erst langsam an. Über den neuen Verteidigungsminister sagte Merz: „Wir trauen ihm deutlich mehr zu als seiner Vorgängerin.“ Er müsse allerdings schnell das ganze Beschaffungswesen der Bundeswehr ändern, „anders wird es nicht gehen“.

Ukrainischen Geflüchteten könne und werde Deutschland weiter helfen, so Merz. Allerdings kämen auch vermehrt Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan; die Kommunen seien an der Belastungsgrenze. Merz forderte, der Bundeskanzler müsse persönlich zum nächsten Flüchtlingsgipfel einladen, um Ergebnisse zu erzielen.

Der Oppositionsführer kritisierte, dass Deutschland Menschen, die sich unrechtmäßig in Deutschland aufhielten, nicht abschiebe. „Sie können das nicht alles in Brüssel abladen“, mahnte er in Richtung Kanzler. „So wird europäische Asylpolitik nicht gelingen.“

Grüne: „Niemand flieht ohne Grund“

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge knüpfte an das Thema Flucht und Migration an. Auch wenn manche, sagte sie in Richtung Merz, am liebsten „nur über Abschiebung“ reden würden, ginge es „primär um Hilfe und Unterstützung“. „Niemand flieht ohne Grund“, betonte Dröge. Wichtig sei deshalb, in der EU über bessere Schutzstandards für Geflüchtete zu sprechen, über gemeinsame Verantwortung bei der Aufnahme und auch über die Bekämpfung von Fluchtursachen: „Das bedeutet auch Entwicklungsarbeit und Krisenprävention.“

Zum Thema Wettbewerbsfähigkeit sagte Dröge, die Zeichen seien auf Klimaschutz gestellt. Wer meine, das Thema kleinreden zu können, schade der europäischen Wirtschaft. „Eine vernünftige Energieversorgung ist grün“, betonte Dröge – und fragte in Richtung Union: „Wo wollen Sie wirtschaftspolitisch eigentlich hin?“ Sie warf der Opposition vor, „jeden Zukunftstrend zu blockieren“. Das schade nicht nur der Umwelt, sondern auch der Wirtschaft.

AfD: „Unter Ihrer Regierung wird Deutschland zum Gespött der Welt“

AfD-Chefin Alice Weidel fragte den Bundeskanzler: „Können Sie morgens eigentlich noch ruhig in den Spiegel schauen?“ Sie warf der Bundesregierung „geballte Inkompetenz“ und eine „Kaskade von Fehlern“ vor. „Unter Ihrer Regierung wird Deutschland vollends zum Gespött der Welt“, behauptete Weidel, „und einem Entwicklungsland immer ähnlicher.“

Die Energiepolitik der Bundesregierung treibe „die Mittelschicht in die Armut und die Industrie aus dem Land“, kritisierte Weidel weiter. Deutschland brauche verlässliche Gas-Lieferungen, auch aus Russland, und den Wiedereinstieg in die Kernkraft. In der EU finde „niemand den deutschen Anti-Kernkraft-Wahn gut“, meinte Weidel.

Weiter warf sie Scholz vor, „Deutschland de facto zur Kriegspartei zu machen in einem Krieg, der nicht der unsere ist“, den Krieg zu verlängern und „Deutschland zur Zielscheibe zu machen“. Die Angst vieler Menschen vor einem Atomkrieg sei „real“, mahnte die AfD-Abgeordnete.

FDP: „Ein Einwanderungsland zu sein ist das, was uns stark macht“

Johannes Vogel (FDP) widersprach Weidel: „Der einzige Weg, wie wir zu Frieden kommen, ist, dass die Ukraine ihren Verteidigungskampf gewinnt.“ Sie dabei zu unterstützen, sei „unsere moralische Verantwortung“.

Falsch finde er allerdings die Diskussion über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das wäre eine „Frechheit gegenüber der jungen Generation“ und würde „uns nur aufhalten auf dem Weg zur Profi-Armee“. Vielmehr müsse man den Soldatinnen und Soldaten „den Respekt verschaffen, den sie verdienen“.

Für eine internationale Wettbewerbsfähigkeit müsse Deutschland gute Rahmenbedingungen schaffen, so Vogel weiter. Dazu gehöre auch, das Fachkräfteproblem anzugehen durch eine offene Migrationspolitik: „Denn ein Einwanderungsland zu sein ist das, was uns stark macht.“

Linke: „Hören Sie endlich auf, die Lage zu beschönigen!“

Amira Mohamed Ali (Die Linke) sagte, es müsse „oberstes Ziel“ sein, den Ukraine-Krieg schnell zu beenden. „Die Waffen müssen endlich schweigen“, forderte sie. Stattdessen werde der Bundeskanzler im EU-Rat nun wieder über Waffenlieferungen reden. „Entgegen jeder Vernunft“ halte die Bundesregierung daran fest, dass der Krieg mit Kampfhandlungen zu gewinnen sei. Das sei schlecht für die Menschen in Deutschland – auch wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen. Jeder siebte Mensch in Deutschland habe in den letzten Monaten sein Konto ins Minus ziehen müssen, so Mohamed Ali. „Hören Sie endlich auf, die Lage zu beschönigen!“, forderte sie vom Kanzler.

Hier könnt ihr euch die Regierungserklärung und die anschließende Aussprache im Video anschauen:

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