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Wolfgang Kubicki (FDP) „Die Sozialen Medien fördern die Demokratie, aber…“

Zum 15. Geburtstag hat mitmischen.de mit allen Vize-Präsidenten des Bundestages gesprochen. Wolfgang Kubicki (FDP) über Schubladendenken, rigorose Forderungen der Jugend und Alarmzustände.

Ein älterer Mann mit weißgrauem Bart und Haaren lächelt sitzend in die Kamera. Er trägt einen blauen Anzug und eine hellblaue Krawatte.

„In allen Phasen der deutschen Geschichte haben sich junge Leute für ein bestimmtes Thema eingesetzt und dadurch Massenbewegungen gestartet“, meint Wolfgang Kubicki. © Ute Grabowsky / Photothek

15 Jahre mitmischen.de, 15 Jahre Bundestag – was hat sich in dieser Zeitspanne am gravierendsten verändert im Parlament?

Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag im Jahr 2017 hat sich vor allem die Debattenkultur dramatisch verändert. Viele Kollegen von der AfD versuchen, die Grenzen des Sagbaren immer weiter auszudehnen, indem sie zum Beispiel bewusst zweideutige Formulierungen verwenden. Das führt besonders bei den Kollegen der SPD, den Grünen und den Linken nicht immer zu freundlichen Reaktionen. Die Stimmung im Parlament ist seitdem eine ganz andere.

Vor 15 Jahren wurde auch Facebook gegründet. Insbesondere Jugendliche informieren sich inzwischen stark über die Sozialen Medien. Fördern oder gefährden Facebook, Instagram & Co. die Demokratie?

Grundsätzlich fördern sie die Demokratie, weil sich Nachrichten und Meinungen mit sehr vielen Menschen schnell austauschen lassen. Das ist ein Fortschritt für den Meinungsbildungsprozess. Wir müssen aber alle lernen, Nachrichten in den Sozialen Medien richtig einzuordnen und kritisch zu hinterfragen. Wir sehen, dass sich dort auch Fake-News verbreiten, die nicht ohne Folgen bleiben, wenn Menschen ihnen Glauben schenken. Wir müssen Regeln finden, dies einzudämmen.

Welche zum Beispiel?

Die sozialen Plattformen löschen ja bereits jetzt schon strafbare Beiträge, etwa solche mit rassistischem Inhalt. Es sollte aber nicht diesen privaten Unternehmen überlassen sein, einzuschätzen, was strafbar ist und was nicht. Das ist Aufgabe des Staates. Verdächtige Fälle sollten deshalb an staatliche Stellen gemeldet werden, die dann entscheiden, was zu tun ist.

Zudem sollten die zuständigen Behörden mehr Möglichkeiten bekommen, diese Straftaten im Netz zu verfolgen. Wir werden immer besser darin zu erkennen, ob der Absender einer Falschnachricht real ist oder ein Bot. Social Bots werden zum Beispiel eingesetzt, um politische Propaganda im Sinne ihrer Auftraggeber massenhaft zu verbreiten. Dagegen müssen wir etwas tun. Denn aus der Hirnforschung wissen wir, dass Menschen sehr geneigt sind, einer Information Glauben zu schenken, wenn sie sie immer wieder vorgesetzt bekommen.

Wolfgang Kubicki im Gespräch

Wolfgang Kubicki: „Social Bots werden eingesetzt, um politische Propaganda im Sinne ihrer Auftraggeber massenhaft zu verbreiten. Dagegen müssen wir etwas tun.“ © Jonas Geue

Die jüngst erschienene Shell-Jugendstudie trägt den Titel „Eine Generation meldet sich zu Wort“. Es heißt darin, Jugendliche würden sich wieder stärker mit Forderungen an die Politik wenden. Spüren Sie persönlich etwas davon?

Ehrlich gesagt bestreite ich die Aussage der Studie. In meiner Schüler- und Studentenzeit haben wir mit mehreren tausend Menschen gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert. Im Bonner Hofgarten haben wir Anfang der 80-er Jahre eine Größenordnung zustande gebracht, die nicht mal Fridays for Future auf die Beine stellt. In allen Phasen der deutschen Geschichte, zumindest in allen, die ich überblicken kann, haben sich junge Leute für ein bestimmtes Thema eingesetzt und dadurch Massenbewegungen gestartet.

Laut Studie finden 68 Prozent der Jugendlichen, man dürfe nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden. Was sagt das über unsere Diskussionskultur aus?

Nichts Gutes. Dieses Unbehagen betrifft übrigens nicht nur die jungen Leute. Auch 70 Prozent der Älteren haben das Gefühl, dass sie ihre Meinung nicht mehr frei äußern können, ohne gleich in bestimmte Schubladen gesteckt zu werden: links, rechts, Klimaleugner, Klimaaktivist und so weiter. Das ist wirklich ein Warnsignal für die Demokratie. Denn eine ihrer tragenden Säulen ist es, seine Meinung frei äußern zu können. In Deutschland darf man alles sagen – diese Aussage stimmt zwar rechtlich, aber faktisch ist sie eingeschränkt. Dem müssen wir unbedingt entgegenwirken.

In der Studie heißt es auch, dass es eine hohe Affinität zu populistischen Positionen unter Jugendlichen gebe. Woran könnte das liegen?

Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir uns da nicht verschätzen. Es war immer schon so – das weiß ich auch noch aus meiner eigenen Jugend –, dass junge Menschen sehr rigorose Ansichten und Forderungen haben, weil sie wissen, dass sie sie ja selber nicht umsetzen müssen. Wenn ich zum Beispiel mit Aktivisten von Fridays for Future spreche, dann sagen sie mir, man müsse ein Zeichen setzen und die Kohlekraftwerke in der Lausitz sofort abschalten. Dass aber 461.000 Haushalte durch diese Kraftwerke mit Fernwärme versorgt werden, bedenken sie weniger. Das Problem ist, dass ein dauerhafter Alarmzustand suggeriert wird. Es gibt unzählige Forderungen, die gar nicht umgesetzt werden können.

Umfragen zeigen, dass viele Menschen das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit staatlicher Institutionen verlieren, aus unterschiedlichen Gründen. Was kann der Bundestag tun, um bei Jugendlichen das Vertrauen zurückzugewinnen?

Ich glaube, es trifft gar nicht zu, dass junge Menschen grundsätzlich das Vertrauen verlieren. Es gibt viele Jugendliche, die sich zum Beispiel bei politischen Organisationen einbringen. Klar gibt es manchmal eine große Skepsis gegenüber politischen Institutionen. Die hat meines Erachtens aber damit zu tun, dass sich Meinungen heutzutage sehr schnell bilden und verbreiten. Die Gesellschaft braucht aber Zeit, um sich an Veränderungen anzupassen. Das müssen wir den jungen Leuten erklären. Sie müssen das auch nicht akzeptieren, aber sie müssen es begreifen.

Über Wolfang Kubicki

Wolfang Kubicki (FDP), 67, ist Rechtsanwalt und Diplom-Volkswirt und seit 2017 Vizepräsident des Bundestages. Abgeordneter im Bundestag war er auch schon 1990 bis 1992 sowie 2002. Er ist außerdem der Vorsitzende der Kommission des Ältestenrates für Bau- und Raumangelegenheiten. Mehr erfahrt ihr auf seinem Bundestagsprofil.

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