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Migration aus Belarus Wie soll die EU reagieren?

Eric Matt

An der Grenze zwischen Polen und Weißrussland eskaliert gerade die Lage. Migranten möchten in die Europäische Union, Sicherheitskräfte stoppen sie. Im Bundestag berieten die Abgeordneten, was zu tun ist – und stritten über zwei Anträge der AfD.

Menschen auf der Flucht

Am Grenzzaun zwischen Belarus und Polen sind gerade tausende Migranten unterwegs. Unter ihnen auch viele Kinder. © picture alliance/dpa | Ulf Mauder

Tränengas, Maschinengewehre, Grenzzäune, Minusgrade und zwischen alldem: Tausende Migranten, die auf ein besseres Leben in der Europäischen Union (EU) hoffen – und dafür manchmal Gewalt sowie den eigenen Tod in Kauf nehmen. So sieht die aktuelle Lage an der polnisch-belarussischen Grenze aus.

Über die Situation an der EU-Außengrenze debattierten kürzlich die Abgeordneten des Deutschen Bundestag. Dabei ging es um zwei Anträge der AfD-Fraktion, die die „Weißrussland-Route wirkungsvoll schließen und Massenmigration rechtzeitig verhindern“ möchte.

Was ist los in Belarus?

Belarus ist ein osteuropäisches Land, das umgangssprachlich auch als Weißrussland bekannt ist. In Belarus hat seit 1994 der autoritäre Machthaber Alexander Lukaschenko das Sagen. Im Sommer 2020 fand eine neue Präsidentenwahl statt – unabhängige Beobachter stellten fest, dass der Ex-Präsident die Wahl fälschte, um erneut zu gewinnen. Das wollten viele Menschen in Belarus aber nicht hinnehmen: Millionen von ihnen gingen auf die Straße, um gegen den Herrscher und die gefälschte Wahl zu protestieren.

Dies schlug das Lukaschenko-Regime jedoch mit brutaler Polizeigewalt nieder und der alte und neue Präsident hielt an seiner Position fest. Als Reaktion auf die gefälschte Wahl und die Menschenrechtsverletzungen verhängte die Europäische Union Sanktionen gegen Lukaschenko und sein nahes Umfeld. Mit Hilfe von Sanktionen können beispielsweise Vermögen eingefroren und die Einreise in die EU untersagt werden. Vermögen einfrieren bedeutet, dass die jeweiligen Personen keinen Zugriff mehr auf ihre Konten und damit auch kein Geld haben. Lukaschenko wird von Europa nicht als legi­timer Herrscher anerkannt.

Gefangen zwischen zwei Staaten

Zurück zur aktuellen Lage: Belarus ist kein Mitglied der Europäischen Union, hat jedoch direkte Grenzen mit den EU-Mitgliedsstaaten Lettland, Litauen und Polen. In den letzten Wochen kamen immer mehr Migranten aus Belarus über die EU-Außengrenze nach Polen. Manche davon zogen auch nach Deutschland weiter. Dabei wird Lukaschenko von der EU vorgeworfen, teilweise gezielt Migrantinnen und Migranten aus anderen Staaten anzulocken, um sie dann in Richtung EU zu schicken.

Sobald die Migranten in Belarus angekommen sind, werden sie in eine grenznahe Region gebracht, die sich meistens in Wäldern befindet. Anschließend sind sie auf sich allein gestellt: Sie befinden sich im Grenzgebiet zwischen zwei Staaten, die sie beide nicht wollen – Polen und Belarus. Großteile der Gebiete davon sind eine sogenannte „No-Go-Area“. Das bedeutet, Journalisten und Menschenrechtsorganisationen dürfen von dort nicht berichten.

Seit Wochen hindern polnische Sicherheitskräfte die Migranten verstärkt daran, den Boden der EU zu betreten. Polen hat einen Grenzzaun errichtet und mehrere tausend Sicherheitskräfte an der Grenze zusammengezogen.

Warum handelt Lukaschenko so? Er versucht, die EU mit seiner Migrationspolitik unter Druck zu setzen. Er will, dass die gegen Belarus verhängten Sanktionen beendet werden. Zudem möchte der Diktator einen innereuropäischen Streit zwischen den Mitgliedsstaaten entfachen, so schätzen es politische Beobachter der EU ein.

Das fordert die AfD

Die AfD-Fraktion brachte nun zwei Anträge ein, mit denen sie die „Weißrussland-Route wirkungsvoll schließen“ möchte. Dabei solle man die „Massenmigration über Polen mit grenzpolizeilichen Maßnahmen rechtzeitig verhindern und nachhaltige Abwehrmaßnahmen sicherstellen“. Die AfD-Abgeordneten plädieren auch dafür, zwischen Deutschland und Polen vorübergehende Grenzkontrollen einzuführen. Dies sei nötig, denn sonst gefährde eine „unkontrollierte Massenmigration die innere Sicherheit und spaltet die Gesellschaft“.

Da sich die Migranten nicht in Gefahr befänden, hätten diese ohnehin kein Recht, in Deutschland um Asyl und staatliche Hilfe zu bitten. Die Fraktion fordert daher, dass „alle Personen ausnahmslos aus Deutschland abgeschoben“ werden. Somit könne man Lukaschenko mit „den eigenen Waffen schlagen“: Migranten, die Belarus in die Europäische Union schickt, solle die EU einfach wieder nach Belarus zurückschicken. Lukaschenko bleibe dann einfach auf „sämtlichen eingeladenen Migranten sitzen“.

„Festung Europa“

Damit sich auch die deutsche Bevölkerung besser informieren könne, solle das Bundesinnenministerium „bis zur Entspannung tägliche Lageberichte zur Entwicklung der illegal Einreisenden nach Deutschland veröffentlichen“. Der AfD-Abgeordnete Martin Hess warnte in seiner Rede im Bundestag vor „illegaler Massenmigration, islamistischem Terror, Clankriminellen und Gewaltverbrechern“. Daher brauche es nun die „Festung Europa“. Hess forderte: „Fangen wir endlich mit dem Grenzschutz an. 2015 darf sich nicht wiederholen.“

Was denken die Bundestagsabgeordneten der anderen Fraktionen über die Situation im Osten Europas?

SPD: „Perfides Spiel des belarussischen Diktators“

Ulrich Grötsch von der SPD-Fraktion zeigte sich besorgt, dass sich die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze immer weiter verschlechtere. „Die Lage spitzt sich von Tag zu Tag dramatisch zu, sowohl zwischen polnischen und belarussischen Einsatzkräften als auch für die Menschen, die im Wettlauf gegen die Zeit im Niemandsland ausharren“, so Grötsch.

Die AfD-Anträge jedoch kritisierte er. Er verglich die Politik Lukaschenkos mit der Politik der AfD. Beide würden menschliches Leid ausnutzen, falsche Tatsachen vorspiegeln, Krisen provozieren und daraus letztlich Kapital schlagen. „Das ist die Politik von Herrn Lukaschenko und das ist auch Ihre Politik, das verbindet Sie mit einem Diktator“, kommentierte Grötsch. Er kritisierte, dass die AfD in ihren Anträgen „das perfide Spiel des belarussischen Diktators“ nicht verurteile. Neben den bereits beschlossenen Sanktionen müsse man nun auch auf Diplomatie setzen.

CDU/CSU: „Es geht um einen politischen Erpressungsversuch“

„Die Anträge der AfD sind abzulehnen, darüber brauchen wir im Grunde gar kein weiteres Wort zu verlieren“, erklärte Mathias Middelberg von der CDU/CSU-Fraktion. Er kritisierte außerdem, dass das „werdende linksgelbe Bündnis“ aus SPD, Grünen und FDP „gar kein Konzept für eine ausgewogene Migrationspolitik für dieses Land hat“. Führende Politiker dieser Parteien würden sich nämlich gegenseitig widersprechen.

Middelberg plädierte dafür, dass Deutschland und die Europäische Union sich nicht erpressen lassen dürften. „Es geht hier um ein humanitäres Drama, es geht aber auch um einen politischen Erpressungsversuch durch den belarussischen Diktator. Dieser Erpressung dürfen wir nicht nachgeben“, so der CDU/CSU-Abgeordnete. Wenn man nun schnell und pragmatisch helfen wolle, dürfe es auch „keine formalistisch-diplomatischen Argumente geben“.

Grüne: „Die EU ist eine Wertegemeinschaft“

Die Lage ist dramatisch. Wir reden über eine massive humanitäre Krise. Es kann niemanden kaltlassen, wenn in diesen Zeiten Menschen mitten in Europa erfrieren, weil ihnen Hilfe verweigert wird“, sagte Omid Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Da es nun direkte Gespräche mit Lukaschenko gebe, müsse man diese dazu nutzen, um auch über die allgemeine Situation in Belarus zu sprechen.

Nouripour erwarte, dass Merkel „in diesen Gesprächen auch die Freilassung der politischen Häftlinge in dem Land“ fordere. Nouripour erklärte: „Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft, basierend auf Rechtsstaatlichkeit, Menschlichkeit und Menschenrechten, die universell verbrieft sind.“

FDP: „Hybride Kriegsführung“

Die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg erklärte: „Es handelt sich um eine Form der hybriden Kriegsführung. Dieser Angriff auf Demokratien und Rechtsstaaten nimmt uns von zwei Seiten in die Zange.“ Zum einen nämlich müsse man zeigen, „wir sind wertegebunden, wir sind anders, wir nehmen nicht den Tod von Menschen in Kauf“. Zum anderen sei es jedoch wichtig, zu signalisieren, dass Demokratien nicht schwach und erpressbar sind. Oberste Priorität habe nun, den in der Kälte ausharrenden Migranten zu helfen, um Menschenleben zu retten.

„Mittel- und langfristig brauchen wir aber eine europäische Asyl- und Außenpolitik. Nur damit können wir solche Situationen verhindern“, so Teuteberg. In den Herkunftsländern müsse man außerdem Aufklärungsarbeit leisten, damit Menschen erst gar nicht nach Belarus reisten. „Wir müssen über die Lügen und Versprechen der Schleuser aufklären“, forderte die migrationspolitische Sprecherin der FDP.

Linke: „Fluchtursachen und nicht Geflüchtete gehören bekämpft“

„Wir lehnen die Menschenschinderei der polnischen rechten Regierung, für die die EU und auch die deutsche Regierung jetzt plötzlich ihre Herzen erwärmen, ab. Die illegalen Zurückweisungen müssen sofort beendet werden“, forderte Zaklin Nastic von der Fraktion Die Linke. Sie kritisierte auch Außenminister Heiko Maas (SPD), der „halberfrorene und hungernde Menschen zurück in Kriegs- und Krisengebiete schicken“ wolle.

Nastic sprach sich für einen direkten Dialog mit dem belarussischen Machthaber aus: „Frau Merkel muss telefonieren für Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen.“ Die menschenrechtspolitische Sprecherin kritisierte außerdem westliche Kriegseinsätze und Rüstungsexporte, da dies Kriegsverbrechen und Fluchtursachen befördern würde. Dies müsse man stoppen. „Fluchtursachen und nicht Geflüchtete gehören bekämpft“, so Nastic.

Die komplette Debatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.

Portraitfoto von mitmischen-Autor Eric Matt
mitmischen-Autor

Eric Matt

... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.

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