Rentenforscher im Interview
„Wie man einen kleiner werdenden Kuchen teilt“
Cora Dollenberg
Aufgrund des demografischen Wandels steht eine immer größer werdende Gruppe von Rentnerinnen und Rentnern einer kleiner werdenden Gruppe an Beitragszahlern gegenüber. Wie geht diese Rechnung auf? Peter Haan vom DIW erklärt im Interview, welche Stellschrauben am Rentensystem justiert werden sollten.
„Wenn man an weitere Reformen des Systems glaubt oder daran zweifelt, dass das Rentenniveau stabil bleibt, kann man durchaus argumentieren, dass die junge Generation einen Nachteil hat“, sagt Peter Haan, der sich sich in seiner Forschung mit der Rente und Altersvorsorge beschäftigt. © DIW
Die Rente ist in Deutschland sehr stark an das Erwerbsleben und Erwerbseinkommen gekoppelt: Während man arbeitet, zahlt man Beiträge in die Rentenversicherung ein. Das sogenannte Umlageverfahren, das nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurde, sorgt dann dafür, dass die Beiträge der heutigen Beschäftigten die Renten der nachfolgenden Generationen bezahlen. Wie viel ich heute einzahle, ist also entscheidend dafür, wie hoch meine Rente in Zukunft sein wird. In Deutschland gibt es keine Mindestrente, durch die beispielsweise jeder 1.000 Euro Rente bekommen würde. Diese Absicherungsfunktion übernimmt die Grundsicherung im Alter.
Peter Haan
ist Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Freien Universität Berlin und Leiter der Abteilung Staat am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin. Zu seinen Forschungsthemen gehören unter anderem die Rente und Altersvorsorge.
Durch die Alterung der Gesellschaft verändert sich das Verhältnis der Menschen, die Beiträge zahlen, zu denen, die Renten bekommen: Es gibt immer weniger Beitragszahlende. Stehen wie gegenwärtig eine sinkende Zahl Beitragszahlender einer wachsenden Anzahl an Empfängern gegenüber, führt das dazu, dass auf der einen Seite die Beiträge steigen müssen und auf der anderen Seite die Renten nicht mehr so hoch ausfallen, wie es in der Vergangenheit der Fall war. In den letzten 20 Jahren ist das Rentenniveau dadurch deutlich gesunken. So lag es um die Jahrtausendwende bei 53 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohnes, inzwischen sind wir bei einer Haltelinie von 48 Prozent angekommen. Haltelinie bedeutet hier, dass beschlossen wurde, dass das Rentenniveau nicht unter die 48 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohnes sinken darf.
Würde man auf eine Beibehaltung des aktuellen Systems vertrauen, könnte man behaupten, dass die Rentenreform für die junge Generation eigentlich sogar von Vorteil ist. Denn das würde bedeuten, dass das Rentenniveau auch noch bei 48 Prozent liegt, wenn die junge Generation in 30 Jahren in Rente geht. Die große Frage ist: Wird das wirklich der Fall sein? Oder wird es in den nächsten Jahren Rentenreformen geben, die das Rentenniveau senken, bis die jüngeren Generationen 2060 in Rente gehen? Genau das ist der Knackpunkt. Denn sicher ist, dass die Beiträge heute ansteigen werden, um das Rentenniveau von 48 Prozent für die aktuellen Rentner zu finanzieren. Und genau diese Beiträge tragen die aktuell Beschäftigten, also die junge Generation. Wenn man an weitere Reformen des Systems glaubt oder daran zweifelt, dass das Rentenniveau stabil bleibt, kann man durchaus argumentieren, dass die junge Generation einen Nachteil hat.
Das Rentenpaket sieht unter anderem eine Stabilisierung der Haltelinie bei 48 Prozent vor. Dafür gibt es Argumente. Aber die Reformpläne sagen nichts darüber aus, wie Reformen finanziert werden sollen. An der Stelle kritisiere ich das Rentenpaket klar. Diese Finanzierungsfrage ist genau der Punkt, der jetzt in die Rentenkommission ausgelagert werden soll.
Grundsätzlich wird das Rentensystem weiter funktionieren. Das System steht nicht vor einem Kollaps, wie es von manchen behauptet wird. Wir brauchen aber viele Reformen, die ineinandergreifen, um zu organisieren, wie man einen kleiner werdenden Kuchen aufteilt. Das ist auch eine Gerechtigkeitsfrage. Wenn wir ohne Wenn und Aber an einem Rentenniveau von 48 Prozent festhalten, damit es den heutigen Rentnern einigermaßen gut geht, dann hat das Konsequenzen für die Beitragszahlerinnen und -zahler und die Rentnerinnen und Rentner der Zukunft. Daher denke ich, dass man auch über die Erhöhung des Renteneintrittsalters nachdenken sollte, beispielsweise durch eine Kopplung an die Lebenserwartung, was zu einem sehr langsamen Anstieg des Renteneintrittsalters führen würde: Im Jahr 2050 wären wir dann bei einem Renteneintrittsalter von etwa 68 Jahren. Eine solche Reform muss aber auch Lösungen für Menschen beinhalten, die nicht so lange arbeiten können.
Kurzfristig könnte man überlegen, die Möglichkeiten der Frühverrentung einzuschränken. Da geht es um die sogenannte Rente mit 63 für besonders langjährig Versicherte, die 45 Jahre lang eingezahlt haben. Die beginnt inzwischen nicht mehr bei 63, sondern bei 64, der Name ist da etwas trügerisch. Davon profitieren gegenwärtig viele Leute. Wenn diese Regelung reformiert oder abgeschafft würde, dann hätte man auf einen Schlag weitere Beitragszahlende.
Was ich den jüngeren Leuten rate, unabhängig davon, was die Politik entscheidet: Es ist sehr wichtig, dass man eine gute und stabile Erwerbskarriere hat. Wer mehr im Arbeitsleben verdient, bekommt auch eine bessere Rente ausbezahlt. Das gilt sowohl in der gesetzlichen, als auch in der betrieblichen Rentenversicherung. Dazu gehören auch gute Bildung und Weiterbildung, damit man flexibel und in der Lage ist, Berufe oder vielleicht sogar Branchen zu wechseln. Durch den technologischen Wandel kommt noch einiges auf uns zu, einige Berufe werden vielleicht gar nicht mehr existieren, während neue Berufe entstehen. In der Lage zu sein, sich dem anzupassen, um lange Perioden der Erwerbslosigkeit oder geringere Löhne zu vermeiden, ist sehr wichtig. Denn genau das ist schlecht für die spätere Altersabsicherung.
Cora Dollenberg
ist in NRW und Baden-Württemberg aufgewachsen, spricht aber weder Kölsch noch Schwäbisch, dafür Französisch, vor allem während ihres Studiums in Paris. Sie schreibt und spricht am liebsten über tagesaktuelle Politik und Literatur.