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Regierungserklärung Bundeskanzler erläutert Haushaltslage im Parlament

Naomi Webster-Grundl und Jasmin Nimmrich

„Unvereinbar und nichtig“, so lautete das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für den zweiten Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021. Das bedeutet: Ziemlich viel Geld, das die Bundesregierung fest eingeplant hat, steht mit Inkrafttreten dieses Urteils nicht mehr zur Verfügung. Wie mit der aktuellen Haushaltslage umgegangen wird, erläuterte Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Regierungserklärung im Bundestag.

Die Bundesregierung im Plenarsaal. Kanzler Olaf Scholz, ein Mann mit kurzen Haaren in einem dunklen Anzug mit blauer Krawatte steht am Rednerpult. Hinter ihm die blauen Sitzreihen der Regierungsmitglieder.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) während seiner Regierungserklärung zur aktuellen Haushaltslage. © Imago / Thomas Trutschel

Kanzler: „Sorgfalt geht vor Schnelligkeit"

Zur Gerichtsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), diese setze nun genaue Regeln für die Anwendung der Schuldenbremse: „Das Bundesverfassungsgericht hat dadurch Klarheit geschaffen, und das Bundesverfassungsgericht hat das letzte Wort. So ist es gute demokratische Tradition.“ Weiter führte er aus: „Wissenschaftlich mag das Urteil weiter diskutiert werden, politisch aber ist die Diskussion mit dem Karlsruher Richterspruch beendet.“ 

Mit dem heutigen Wissen um die richterliche Entscheidung hätte die Regierung, laut Olaf Scholz, bei ihrem Regierungsantritt im Winter 2021 andere Wege eingeschlagen. Die Beratungen zu dem Urteil beschrieb der Bundeskanzler als intensiv, aber noch nicht abgeschlossen: „Sorgfalt geht dabei vor Schnelligkeit.“ Scholz machte zugleich deutlich, dass weder bei der Unterstützung der Ukraine, der „Bewältigung der Energiekrise“ noch bei der „Modernisierung des Landes“ nachgelassen werde dürfe.

Für den Bundeskanzler stand ebenso fest, dass die externen und unvorhergesehenen Krisen der letzten zwei Jahre die Ausgangssituation für die amtierende Bundesregierung erschwert haben. Während der Corona-Pandemie hätten ganze Wirtschaftssektoren mit dem Rücken zur Wand gestanden. In dieser Situation hätten die Corona-Hilfen vielen Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen eine Perspektive gegeben. „So, und nur so, ist Deutschland besser durch diese Jahrhundert-Pandemie gekommen als viele andere Länder“, so das Fazit des Bundeskanzlers.

Des Weiteren erinnerte er daran, dass nur zwei Monate nach Amtsantritt der Ampelkoalition der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann. Dieser habe Deutschland und Europa vor „eine vollkommen veränderte sicherheitspolitische Lage“ gestellt. Das Geld, das für die militärische und zivile Unterstützung der Ukraine bisher ausgegeben wurde und weiterhin ausgegeben werde, sei bei Antritt der Bundesregierung nicht eingeplant gewesen. Trotz der Mehrbelastung werde die Unterstützung aber anhalten, denn die Folgen eines Sieges Russlands seien nicht auszumalen. Und auch die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter sei richtig gewesen, bedeute aber selbst „für ein so starkes Land wie Deutschland“ große Anstrengungen. Eine weitere Konsequenz des russischen Angriffskrieges war der Stopp russischer Gaslieferungen. Dieser Angebots-Wegfall sorgte für deutlich höhere Gas- und Energiepreise. „Das geht nicht spurlos vorbei an einem Industrieland wie Deutschland“, gestand der Bundeskanzler ein. 

Deshalb sollen entsprechende Energiepreishilfen nochmals im Haushalt verankert werden. Gleiches gelte für die Wiederaufbau-Hilfen für die Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, die 2021 von der Flut im Ahrtal betroffen waren. Die neue Realität, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes entstanden ist, sei nun, dass der Bundestag Hilfen für derartige Notsituationen in jedem Jahr neu beschließen müsse und könne. Der Bundeskanzler erklärte, dass das Gericht mit diesem Urteil erkannt habe, dass die regulären haushaltspolitischen Spielräume für derartige Krisensituation nicht ausreichend seien.  

Der Umgang mit einer neuen Realität 

Zum Ende seiner Erklärung erläuterte der Bundeskanzler die aus dem Urteil folgenden Maßnahmen. Zum einen seien alle Ausgaben aus dem Klima- und Transformationsfonds gesperrt worden. Davon ausgenommen seien Verpflichtungen, die der Bund bereits vertraglich eingegangen ist, sowie Maßnahmen, die die Energieeffizienz im Gebäudebereich fördern. Im Nachtragshaushalt für 2023 werde zudem die Rücklage des Klima- und Transformationsfonds um 60 Milliarden Euro verringert. 

Die Energiepreisbremse für das Jahr 2024 erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz als beendet. Als Grund dafür gab er an, dass überall in Deutschland nun Strom- und Gastarife verfügbar seien, die zwar deutlich höher lägen als vor der Krise, sich aber meist unterhalb der Obergrenze, die für die Preisbremse formuliert wurde, befänden. Ebenso seien die nationalen Gasspeicher so gut gefüllt, dass nicht mit plötzlichen Preissprüngen zu rechnen sei. Klar sei aber auch, dass es jederzeit möglich ist, sollten die Preise wider erwarten steigen, kurzfristig zu handeln. 

Scholz machte deutlich, dass laufende Ausgaben von keiner Sperre betroffen seien: „Der Staat wird seinen Aufgaben auch weiterhin gerecht.“ Nun sei es an der Bundesregierung sicherzustellen, dass der laufende Haushalt für das Jahr 2023 allen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspreche. Der Nachtragshaushalt, der vom Kabinett bereits beschlossen wurde, wird nun dem Bundestag als Haushaltsgesetzgeber vorgelegt. Der Gesetzentwurf sowie ein Antrag der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, eine Ausnahme von der Schuldenregel des Grundgesetzes zu erwirken, sollen am Freitag, 1. Dezember, erstmals im Plenum beraten werden.

Die verschobenen Verhandlungen zum Haushalt 2024 würden nun Zeit geben, „vorhandene Spielräume im Haushalt auszuloten, Schwerpunkte zu setzen, und natürlich auch, um Ausgaben zu beschränken“, so der Kanzler. Zusammen mit dem Bundestag würde nun daran gearbeitet, alle Beschlüsse, die für den Haushalt 2024 nötig seien, so schnell wie möglich zu treffen. Es sei klar, dass die Zusagen, die der Staat gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern getätigt habe, eingehalten werden. „You’ll never walk alone, das habe ich im vergangenen Jahr versprochen und dabei bleibt es“, sagte Scholz.

CDU/CSU: „Das Kartenhaus dieser Regierung ist zusammengebrochen“

Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz (CDU/CSU) erklärte zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts: „Diese Entscheidung ist in der Sache richtig, kommt zum richtigen Zeitpunkt und war vor allem notwendig.“ Doch die Union habe über dieses Urteil nicht triumphiert, vielmehr sei ihr die Tragweite der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sehr wohl bewusst. „Das war keine Klage von uns gegen den Klimaschutz“, so Merz. Diese Entscheidung sei aber notwendig geworden, weil die Regierung den Versuch unternommen habe, „die Verschuldungsgrenzen des Grundgesetzes in geradezu dreister Art und Weise zu umgehen“. Dies habe die Ampel-Koalition versucht, um alle drei Partner zufrieden zu stellen: keine teuren Erhöhungen und keine Aussetzung der Schuldenbremse für die FDP, ungehemmte Subvention aller Klimaprojekte zu für die Grünen und eine Aufblähung des Sozialstaates für die Sozialdemokraten. „Dieses Kartenhaus ist am 15. November 2023 zusammengebrochen.”

Angesichts des Urteils hätte Merz ein Wort des Bedauerns oder gar eine Entschuldigung seitens des Bundeskanzlers erwartet. Merz betonte außerdem, dass es die staatspolitische Verantwortung der Opposition sei, einerseits „der Regierung auf die Finger zu schauen“ und andererseits konstruktiv an Gesetzen mitzuarbeiten. Seine Fraktion werde an der Schuldenbremse festhalten.

Grüne: „Es geht um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland“

Die Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte: „Wer jetzt nicht investiert in grüne Technologien, in Infrastrukturen, der wird im Wettbewerb zwischen den größten Wirtschaftsräumen der Welt gnadenlos verlieren.“ Das wolle die Ampel-Koalition nicht. Man müsse jetzt investieren und die Wirtschaft unterstützen, damit Unternehmen Jobs in Deutschland schaffen und zum Beispiel Solarpanele wieder in Deutschland hergestellt werden. Deutsche Unternehmen müssten international wettbewerbsfähig sein und hunderttausende Arbeitsplätze zukunftsfähig erhalten werden. Alle Wirtschaftsminister aus Bund und Ländern hätten sich dafür ausgesprochen, dass die Investitionen in Wirtschaft und Transformation ausgebaut werden müssen. „Uns geht es um die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland“, so Dröge.

Es sei das gute Recht einer Opposition, Gesetze in Karlsruhe überprüfen zu lassen, erklärte sie weiter. Das Urteil sei klar, die Regierung habe den Nachtragshaushalt 2021 falsch eingeschätzt. „Dieser Verantwortung stellen wir uns.“

AfD: „Deutschland steht am Rand der Zahlungsunfähigkeit“

Die Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel (AfD) erklärte in ihrer Rede, die Bürger hätten in dieser Lage nicht auf eine Regierungs-, sondern auf eine Rücktrittserklärung gewartet. Deutschland befinde sich mitten in der Deindustrialisierung und in der größten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Es gebe eine Migrationskrise, die Deutschland an den Rand des Zusammenbruchs bringe. Durch die Politik der Ampel gebe es eine Vertrauenskrise. „Sie tun so, als hätte es das vernichtende Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben“, warf Weidel der Bundesregierung vor. „Lösen Sie die Klimafonds auf und beenden Sie das Milliardengrab Energie- und Mobilitätswende“, so Weidel. Auch solle kein Geld mehr an andere Länder wie zum Beispiel die Ukraine gegeben werden, sondern vielmehr in sichere Renten und eine funktionierende Armee investiert werden. Sie schloss ihre Rede mit der Forderung nach Neuwahlen.

FDP: „Das Urteil hat Klarheit geschaffen“

Für die FDP-Fraktion erläuterte der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr: „Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil Klarheit über Ausnahmen von der Schuldenbremse und vom Sondervermögen geschaffen. Es hat im Kern die Schuldenbremse im Grundgesetz gestärkt.” Das Urteil habe nicht eine Praxis der aktuellen Regierung beendet, sondern eine Praxis, die auf Bundes- und Landesebene von allen politischen Akteuren unabhängig von der Parteifarbe verantwortet werde. Einen Teil dieser Praxis habe diese Bundesregierung fortgesetzt und das sei ein Fehler gewesen. „Das Urteil hat Klarheit geschaffen, aus der wir Konsequenzen für den Nachtragshaushalt 2023 gezogen haben und wir werden diese auch für den Bundeshaushalt 2024 ziehen“, so Dürr. Außerdem erklärte er, dass im Haushaltsjahr 2023 keine zusätzlichen Schulden gemacht würden. Er betonte aber auch, dass Investitionen notwendig seien, um die deutsche Wirtschaft zukunftsfest zu machen.

Die Linke: „Schuldenbremse ist Investitionsbremse“

Der Vorsitzende der Fraktion Die Linke Dietmar Bartsch erklärte, er habe vom Kanzler und den Rednerinnen und Redner der Regierungsfraktionen „mehr Demut“ erwartet, da es eine Regierungskrise gebe. Dass die Regierung völlig unvorbereitet auf das Urteil aus Karlsruhe gewesen sei, sei unverantwortlich. „Sie sind keine Regierung, die Probleme löst. Sie schaffen mit Ihrer unseriösen Politik Probleme“, erklärte Bartsch. Er forderte die Regierung auf, Klarheit in ihre Finanzen zu bringen, und kritisierte die Schuldenbremse. „Die Schuldenbremse ist eine Investitionsbremse. Mit der Schuldenbremse verfällt die Infrastruktur.“ Deutschland brauche Investitionen, nicht als Ausnahme, sondern als Regel - die Schuldenbremse sei dagegen ein Anschlag auf die Zukunft.

Die komplette Regierungserklärung mit anschließender Debatte

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