Vereinbarte Debatte Zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland
Jasmin Nimmrich
Der 9. November ist ein bedeutungsvolles Datum für die Vereinbarte Debatte zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 85 Jahren, am 9. November 1938, begannen die Novemberpogrome, in denen die Nationalsozialisten brutal gegen die jüdische Bevölkerung Deutschlands vorgingen und Synagogen und Geschäfte zerstörten.
Nicht nur aufgrund der Vergangenheit, sondern gerade wegen antisemitischer Geschehnisse in der Gegenwart, sei es wichtiger denn je, dass der Bundestag zu dieser Vereinbarten Debatte zusammenkomme, so Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), die betonte: „Nie wieder ist jetzt!“ Auf der Ehrentribüne begrüßte sie Margot Friedländer mit einer nachträglichen Gratulation zum 102. Geburtstag der Holocaust-Überlebenden am 29. Oktober. Auch Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ron Prosor, der Botschafter des Staates Israel in Deutschland, und der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert verfolgten die Debatte von der Ehrentribüne aus.
Nancy Faeser (SPD): „2023 ist nicht 1938“
Die Bundesministerin des Innern und für Heimat begann ihren Beitrag mit einer Erinnerung an das, was in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 begann: „Die Erinnerung an diesen Zivilisationsbruch ist konstitutiv für unseren Staat und unsere Gesellschaft, genau wie das Versprechen: Nie wieder!” Niemals dürfe sich wiederholen, was Deutschland und das deutsche Volk in den zwölf Jahren getan hätten. Genau deshalb dürfe auch heute nicht weggeschaut und geschwiegen werden, wenn Jüdinnen und Juden, wie am 7. Oktober in Israel, um ihr Leben fürchten müssten. Faeser betonte: „Wir trauern um die Toten, wir fühlen mit ihren Freunden und Angehörigen, wir bangen mit den Geiseln und wir stehen fest an der Seite Israels. (...) Dieser Tage darf es kein Aber geben!”
Faeser forderte für die Bekämpfung des Antisemitismus aber auch mehr Rückhalt aus der Gesellschaft. Man müsse lauter werden, besonders wenn „noch am selben Tag die Gräueltaten der Hamas gefeiert werden“. Seither würden Hass und Hetze offline wie online anhalten, sodass das Tragen einer Kippa oder einer Kette mit Davidstern viele Jüdinnen und Juden zunehmend mit Angst erfülle. „Das beschämt mich und es bricht mir das Herz“, so Faeser.
Ihre deutliche Nachricht an all diejenigen, die sich antisemitisch äußerten oder handelten: „Ich sage es in aller Deutlichkeit an alle, die es hören müssen: Das werden wir nicht hinnehmen!” Schon allein „aus Respekt gegenüber der Geschichte, aus Verantwortung gegenüber der Gegenwart und aus Sorge um die Zukunft“. Für sie stehe fest: Wer Hass gegen andere schüre und sie in ihrer Sicherheit bedrohe, der könne sich nicht auf den Schutz der Meinungsfreiheit berufen. Und „unsere Demokratie weiß sich zu wehren”, so auch in Form der Betätigungsverbote für die Hamas in Deutschland und des Vereins Samidoun.
„2023 ist nicht 1938, wir stehen allen zur Seite, die von Antisemitismus, Hetzpropaganda und Gewalt betroffen sind“„, erklärte Faeser weiter. Heute könnten sich die Jüdinnen und Juden auf den Staat und die Gesellschaft verlassen, denn jeder Angriff auf sie stelle einen Angriff auf die freie Gesellschaft dar. Aber: „Wir sind lauter als diejenigen, die Hass verbreiten.“
Alexander Dobrindt (CDU/CSU): „In der Frage Israels sind wir nicht Vermittler, sondern immer Partei“
Alexander Dobrindt von der Unionsfraktion begann seine Rede mit einer Erinnerung an die schrecklichen Taten der Reichspogromnacht vor 85 Jahren und betonte: „Dass wir heute nach diesem Vernichtungsterror, nach der Shoa, wieder ein reichhaltiges jüdisches Leben haben, ist ein historisches, ein unfassbar wertvolles Geschenk.“ Das Anwachsen der jüdischen Bevölkerung in den vergangenen Jahren sei ein Zeichen des Vertrauens in Deutschland als sichere Heimat. Doch was sich aktuell auf deutschen Straßen zeige, stelle dieses Vertrauen zutiefst in Frage.
Dieses Vertrauen müsse erneut gerechtfertigt werden, „und das nicht durch Worte, sondern durch politische Taten“. Der Kampf gegen Judenhass gehöre nicht nur in das Plenarprotokoll, sondern solle sich durch konkrete Maßnahmen auf den deutschen Straßen und im Gesetz bemerkbar machen. Von der Bundesregierung wollte Dobrindt wissen: „Wo sind Ihre harten politischen Antworten?”
Seine Vorschläge für eben diese Antworten: die Einstufung von Antisemitismus als besonders schweren Fall der Volksverhetzung und eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten für diejenigen, die gegen den Staat Israel hetzten; die Ergänzung des Aufenthaltsgesetzes, so dass antisemitische Äußerungen oder Handlungen zu einer Ausweisung führten, sowie die Regelung des Passentzuges für Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft, die antisemitische Straftaten begingen. Für ihn stehe fest: „Wer nicht mit Israel leben will und nicht friedlich mit Juden leben will, der kann auch nicht in Deutschland leben.“
Dobrindt kritisierte außerdem die Enthaltung der deutschen Bundesregierung bei der UN-Resolution zur sofortigen Waffenruhe im Gazastreifen Ende Oktober. Der Staatsräson sei man mit der Enthaltung nicht gerecht geworden. „In der Frage Israels sind wir nicht Vermittler, sondern immer Partei.“ Und deshalb könne es bei einer Resolution zur Verbesserung der humanitären Situation im Gazastreifen nur eine Antwort geben, und zwar nein. Dobrindt endete mit den Worten: „An diejenigen, die auf unseren Straßen ein Kalifat fordern, IS-Terror und Judenhass verbreiten, kann es nur eine Botschaft geben: Die Jüdinnen und Juden gehören unverbrüchlich zu unserem Land, ihr aber nicht.“
Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen): „Kein Kind, egal welcher Herkunft, wird als Antisemit geboren“
Cem Özdemi (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, ermahnte die Abgeordneten im Plenarsaal zu Beginn seiner Rede: „Ein ehrlich gemeinter Kampf gegen Antisemitismus verträgt parteipolitische Rituale nicht, er kann nur dann erfolgreich sein, wenn wir parteiübergreifend zusammenstehen.“ Deshalb müsse auch der selektive Blick auf den Antisemitismus, ob er nun von links oder von rechts komme, aufhören. Özdemir mahnte an, dass manche Linke ihre Menschlichkeit vergessen würden. Auch thematisierte er den Antisemitismus unter Muslimen, bei dem es sich nicht nur um eine Randerscheinung handele. An konservative Kräfte gewandt, kritisierte er das Narrativ eines „eingewanderten Antisemitismus“, der Judenhass durch Deutsche komplett unbeachtet lasse.
Özdemir erzählte aus seiner eigenen Kindheit und den Parallelwelten und -narrativen, die sich an einer deutschen und an einer türkischen Schule ergaben. Wurde an der deutschen Schule von den schrecklichen Taten der Vorfahren gesprochen, wurde die eigene Vergangenheit an der türkischen Schule fast glorifiziert. „Der schmerzhafte Umgang mit der eigenen Geschichte hat mich zutiefst beeindruckt und mich auch als Migrant in meinem eigenen Deutschsein geprägt.“
Und er blieb bei den Jüngsten in unserer Gesellschaft: „Kein Kind, egal welcher Herkunft, wird als Antisemit geboren. Wir, die Gesellschaft, machen es dazu.“ Auch deshalb müsse im Plenarsaal parteiübergreifend und kontinuierlich hinterfragt werden, ob die demokratische Erziehung von Kindern und Jugendlichen ernst genug genommen werde. Im Idealfall werde diese demokratische Bildung in der Familie stattfinden. Im Ernstfall, in dem wir uns gerade befänden, müssten Politik und die Gesellschaft eingreifen. Dies bedeute, dass bei antisemitischen Übergriffen an Schulen nicht das jüdische Kind aus Angst der Schule fernbleiben müsse, sondern diejenigen, durch die es drangsaliert und schikaniert werde. „Wenn jüdische Kinder nicht zur Schule gehen, weil sie Angst haben, dann ist es nicht die Angelegenheit der Eltern, sondern unsere.“
Weiter sagte er: „Es ist vornehmste republikanische Pflicht eines jeden Bürgers dieses Landes, sich antisemitischem Hass entgegenzustellen.“ Teilweise sei es mühsam, sich als Mensch mit Migrationsgeschichte in Deutschland zu bewegen, doch er selbst und auch viele andere Abgeordnete würden verdeutlichen: Wer sich anstrenge, könne sich auch einbringen. Er appellierte zum Schluss an die Jugendlichen: „Glaubt nicht denen, die euch sagen, dass es die Juden sind, die Schuld am Leid der Menschen in Gaza tragen. Es ist die Hamas, die die Menschen dort aus Feigheit in Geiselhaft nimmt und ihr Leid geradezu braucht. (...) Es gibt Frieden und Freiheit für die Palästinenser nur mit dem Staat Israel, niemals gegen ihn.“
Beatrix von Storch (AfD): „Demokratie braucht gemeinsame Werte, um bestehen bleiben zu können”
Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch begann mit einer Einordnung der anhaltenden antisemitischen Straftaten in Deutschland: „Jüdisches Leben in der Bundesrepublik war noch nie so bedroht wie heute. Ein neuer Judenhass konnte aus dem Nahen Osten in Europa einziehen, weil die linke Migrations-Lobby die Tore weit geöffnet hat.“ Für sie sei auf den pro-palästinensischen Demonstrationen ein klarer Antisemitismus unter Islamisten und linken Gruppen zu beobachten. „Diese politische Achse reicht von Hamas bis Fridays for Future, von Hisbollah bis Antifa und von der PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) bis Black lives matter.“ Von Storch kritisierte ebenfalls die Solidaritätsbekundungen queerer Bewegungen wie queers for palastine oder gays for gaza: „In einem Hamas-Staat hängen keine Regenbogenflaggen vom Ministerium, da hängen Homosexuelle an Baukränen.“
Für eine Schlussfolgerung zitierte von Storch die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel, die 2010 gesagt habe: „Multikulti ist gescheitert.“ Und sie kritisierte die Flüchtlingspolitik Merkels: Der Antisemitismus auf deutschen Straßen sei maßgeblich bedingt durch die Präsenz muslimischer Männer, die nach 2015 nach Deutschland gekommen seien. „Die, die wir gerade auf unseren Straßen marschieren sehen, dürfen hier nie etwas zu sagen haben”, so von Storch. Sie befürchte durch eben diese Personen die Einführung einer Sharia, also einer Verbindung von Staat und Religion und die Einführung religiöser Gesetze.
„Demokratie ist kein Wert an sich, Demokratie braucht gemeinsame Werte, um bestehen bleiben zu können.“ Diejenigen, die gerade auf den Straßen demonstrierten, seien diejenigen, die jüdisches Leben, die freiheitliche demokratisch Grundordnung und die Zukunft Deutschlands gefährdeten.
Christian Dürr (FDP): „Das jüdische Leben hat unser Land seit über 1.700 Jahren geprägt und bereichert”
„Ich will mit aller Klarheit betonen: Deutschland steht an der Seite Israels. Jede Relativierung und Beide-Seiten-Logik weisen wir entschieden zurück”, stellte der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Dürr, fest. Er wandte sich direkt an die anwesende Holocaust-Überlebende Margot Friedländer und zitierte ihre oft genutzten Worte „Seid Menschen!“ Diese seien erst einmal selbsterklärend, vielleicht sogar simpel, jedoch sei es heute umso wichtiger, die Freiheit und Sicherheit jüdischen Lebens ernst zu nehmen und wirklich Mensch zu sein.
Auch er betonte das Existenzrechts Israels als deutsche Staatsräson: „Der Schutz der Jüdinnen und Juden, das ist unsere Verantwortung.“ Gleichzeitig müsse klar sein, dass reine Appelle für diese Verantwortung nicht ausreichten. Denn „auch vor dem 7. Oktober hatte der Antisemitismus Raum in unserer Gesellschaft“. Dieser Raum müsse nun durch Demokratinnen und Demokraten streitig gemacht werden. Die anhaltenden Demonstrationen, auf denen antisemitische Straftaten begangen würden, müssten aufgehalten werden, notfalls auch mithilfe des Gewaltmonopols des Staates. „Es ist beschämend zu sehen, wie 85 Jahre nach der Reichspogromnacht der Tod von Jüdinnen und Juden gefeiert und die Hamas-Propaganda verbreitet wird.“ Jüdisches Leben werde in Deutschland geschützt, doch allein, dass dies nötig sei, sei eine traurige Botschaft.
Dürr griff die von Özdemir aufgeworfene Frage zur Bildung der jungen Generationen auf und sagte, wie wichtig Demokratiebildung und Aufklärung über Antisemitismus seien. Gleichzeitig sei der Schutz von Jüdinnen und Juden Aufgabe des Staates, aber auch Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger: „Ich erwarte von jeder und jedem, der oder die Teil unserer Gesellschaft sein möchte, dass er sich dem Schutz jüdischen Lebens in Deutschland verpflichtet fühlt.“ Deswegen müssten bisherige Versäumnisse in der Migrationspolitik behoben werden. Wer die Grundwerte nicht teile, sei in Deutschland nicht willkommen und riskiere seinen Aufenthaltsstatus. „In Deutschland sind über viele Jahre Menschen eingebürgert worden, obwohl sie antisemitisch auffällig sind.“ Dies müsse sich mittels des Staatsangehörigkeitsrechts ändern: „Keiner von diesen Leuten darf mehr deutscher Staatsbürger werden.“
Dürr stellte klar, dass jüdisches Leben zu Deutschland gehöre und das Land seit über 1.700 Jahren geprägt und bereichert habe. Dies sei ein großes Glück, das geschützt werden müsse. Er endete mit den Worten des Shoa-Überlebenden Max Mannheimer: „Ihr seid nicht für das verantwortlich, was geschah, aber dafür, dass es nie wieder passiert.“
Dietmar Bartsch (Die Linke): „Jüdisches Leben in Deutschland ist ein Geschenk”
Dietmar Bartsch begann mit einer Erinnerung an die vielen Jüdinnen und Juden, die Deutschland bisher geprägt hätten. Menschen wie Karl Marx, Hannah Arendt und Albert Einstein seien in der Geschichte „Motoren des Fortschritts, der Kunst und Kultur, des Denkens, der Freiheit und des Lebens“ gewesen. „Jüdisches Leben in Deutschland gehört zur DNA des deutschen Selbstverständnisses als Land der Dichter und Denker.“
Genau dieses jüdische Leben in Deutschland sei aber weiterhin, gerade nach dem Vernichtungswahn der Nationalsozialisten, keine Selbstverständlichkeit. Bartsch sprach dankte deshalb dafür, dass die Vereinbarte Debatte gerade an einem historischen Tag wie dem 9. November stattfinde. Leider müsse jedoch konstatiert werden: „Jüdisches Leben in Deutschland ist in Gefahr und es ist immer in Gefahr gewesen. „Der Antisemitismus in Deutschland hätte nicht erst 1938 mit der Reichspogromnacht begonnen, und auch nicht mit den Pogromen im Jahr 1923: „Das christliche Europa, und das vergessen einige in diesem Hause gern, schuf den Judenhass. (...) Und Deutschland hat die Auslöschung von Juden industrialisiert.“
Es sei eine Schande, nur von einem importierten Antisemitismus zu reden. Durch die Zuwanderung, würde der Antisemitismus zwar verstärkt, aber auch unter Deutschen sei der Hass auf Jüdinnen und Juden verbreitet. Dass auch die Terrororganisation Hamas zutiefst antisemitisch sei, sei nicht in Frage zu stellen. Allerdings sei es nicht die Hamas gewesen, die 2019 einen antisemitischen Anschlag in Halle begangen habe, während der Pandemie Davidsterne durch deutsche Straßen getragen oder Flugblätter in Schulranzen heutiger Parteichefs gesteckt habe. „Jüdisches Leben in Deutschland ist ein Geschenk, aber es ist auch die Pflicht jeder Bürgerin und jedes Bürgers, dieses zu schützen.“
Die gesamte Vereinbarte Debatte findet ihr hier.