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Mareike Lotte Wulf (CDU/CSU) „Regierung setzt falsche Prioritäten“

„Viele Jugendliche haben noch heute mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen“, sagt Mareike Lotte Wulf (CDU/CSU). Man müsse alles dafür tun, diese Folgen abzufedern. Die Regierung setze aber die falschen Prioritäten.

Foto von Mareike Lotte Wulf im Bundestag

Heute wisse man, dass Schulschließungen nicht in dem Ausmaß nötig waren, sagt Mareike Lotte Wulf (CDU/CSU). „Damals stand aber der Schutz der Kinder im Vordergrund.“ © DBT/Xander Heinl/phototek

Im Abschlussbericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe über die gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche steht, dass die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche noch spürbar sind. Inwiefern?

Es sind vor allem psychische Folgen der Corona-Pandemie, die wir bei Kindern und Jugendlichen feststellen müssen. Depressionssymptome und auch Essstörungen und starkes Übergewicht haben deutlich zugenommen. Wenn man diese Zahlen mit der Zeit vor Corona vergleicht, muss man sagen, dass hier deutliche Spuren der Pandemie geblieben sind.

Auch in meinem persönlichen Umfeld beobachte ich das: Ich kenne allein zwei Fälle von Kindern, die heute mit gravierenden Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen haben.

In den ersten Pandemiejahren war die Union maßgeblich an den Schulschließungen beteiligt. Wie sehen Sie diese Maßnahme heute?

Ich denke, dass alle Parteien an diesen Entscheidungen mitbeteiligt waren, da alle Parteien in den verschiedenen Landesregierungen in die Schulschließungen involviert waren. Schulpolitik ist bekanntermaßen Ländersache.

Ich war in dieser Zeit bildungspolitische Sprecherin in Niedersachsen. Heute wissen wir, dass die Schulschließungen nicht so konsequent hätten stattfinden müssen, um das Ausbreiten des Virus zu verhindern.

Wenn ich aber nun über meine Situation damals nachdenke, erinnere ich vor allem, dass wir eigentlich überhaupt nichts wussten und auch keinerlei Möglichkeit hatten, uns zu informieren. Für mich stand damals die Frage im Vordergrund, wie wir Kinder vor einer unbekannten, unberechenbaren und unheilbaren Erkrankung schützen, die sogar – nach damaligem Wissen auch bei Kindern – hätte tödlich verlaufen können.

Deshalb entschieden wir uns damals für die Schließungen. Heute wissen wir: Schulen waren keine Orte des Superspreadings. Das Sitzen am Platz barg weniger Risiken für Ansteckungen, als wir am Anfang angenommen haben. Ich bin froh, dass dies heute bekannt ist, aber wir müssen auch festhalten, dass wir es damals nicht besser wussten. Uns ging es um den Schutz der Kinder.

Sie haben in Ihrer Rede in der Bundestagsdebatte kritisiert, dass die Mittel zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie deutlich zurückgegangen seien. Was genau kritisieren Sie?

Wir müssen heute Verantwortung für das übernehmen, was in der Vergangenheit passiert ist und auch für die Entscheidungen, die getroffen wurde und im Nachhinein vielleicht nicht notwendig gewesen wären. Deshalb sollten wir alles unternehmen, was wir können, um die Folgen der Schulschließungen abzufedern.

Als die Union in der Regierung an diesen Maßnahmen noch beteiligt war, haben wir ein Paket von zwei Milliarden Euro geschnürt. Das ist wirklich viel Geld. Da gab es Programme wie „Aufholen nach Corona“, also ein Programm zur Lernförderung für die Kinder, die Aufholbedarf hatten, weil sie in der Schule nicht mitkommen konnten. Es gab Gelder für Freizeitaktivitäten und Gelder für die Kitas und für die frühkindliche Bildung. Dieses Zukunftspaket ist nun ausgelaufen und es gibt einen Mini-Nachfolger der jetzigen Regierung, der nur 40 Millionen Euro vorsieht. Das sind gerade mal zwei Prozent der ursprünglichen Summe.

Der Bericht, der in der Debatte besprochen wurde, macht aber deutlich: Wir haben noch genauso viele Bedarf wie vorher, wenn es um das Aufholen etwa von Lernstoff geht. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass die Bundesregierung einen viel klareren Fokus auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendliche setzt.

Gibt es konkrete Maßnahmen, die Sie sich wünschen?

Ich finde die Maßnahmen aus dem Programm „Aufholen nach Corona“ weiterhin wichtig. Aber ich möchte auch noch ein paar andere Maßnahmen nennen: zum Beispiel die sogenannten „Frühen Hilfen“. Das ist ein Programm, bei dem es um Unterstützung für Familien geht, die in schwierigen Verhältnissen leben, sind und die vielleicht einen besonderen Beratungsbedarf haben. Und diese „Frühen Hilfen“ wurden auch gekürzt, von vormals 86 Millionen Euro auf nun 56 Millionen Euro. Das Programm ist für sozial benachteiligte Familien aber essenziell und gerade Kinder aus diesen Familien hatten es in der Corona-Zeit besonders schwer.

Eine Maßnahme der Ampel-Koalition sind die sogenannten Mental Health Coaches. Wie bewerten Sie dieses Vorhaben?

Mental Health Coaches klingen natürlich erst einmal gut. Aber ehrlich gesagt machen mich solche Pläne etwas wütend. Allein in Niedersachsen haben wir 3.000 Schulen und von den Mental Health Coaches werden wir für das gesamte Bundesland wahrscheinlich zehn bekommen. Denn 100 Mental Health Coaches sind insgesamt für die 40.000 Schulen in Deutschland vorgesehen. Das ist doch ein Tropfen auf den heißen Stein und für mich sogenannte Schaufensterpolitik: Hier geht es nicht wirklich um umfassende Lösungen.

Außerdem ist der Begriff „Mental Health Coach“ zwar im Moment in Mode, aber es gibt doch bereits Menschen, die sich um psychische Gesundheit kümmern können. Wir haben Schulpsychologen und Sozialpädagogen, die in Schulen arbeiten. Ich frage mich, welche Qualifikationen vorausgesetzt werden, wenn jemand als Mental Health Coach bezeichnet wird. Denn das ist kein geschützter Beruf, im Zweifel kann man sich mit einem kleinen Zertifikat Coach nennen. Für die Betreuung von Kindern und Jugendlichen wünsche ich mir besonders qualifiziertes Personal.

Sollte man also stattdessen eher auf Schulpsychologen oder Sozialpädagogen setzen?

Absolut. Wir brauchen nicht ständig neue Programme, sondern wir müssen gucken, welche vorhandenen Strukturen gut sind. Und dann müssen wir schauen, wie diese aufgestockt werden können, sodass die Schulen gestärkt werden. Und natürlich wissen wir, wie schwer es ist, qualifiziertes Personal zu finden. Und dafür müssen Lösungen geschaffen werden.

Sie haben in der Debatte auch gezielt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angesprochen und gesagt, seine bisherige Bilanz sei enttäuschend. Was genau meinten Sie damit?

In der Gesundheitspolitik gibt es derzeit ein Mega-Projekt. Es scheint das wichtigste Projekt in dieser Legislaturperiode zu sein und hat in der Öffentlichkeit einen sehr breiten Widerhall gefunden: die Legalisierung von Cannabis.

Ich halte dieses Vorhaben aber für das völlig falsche Signal. Diese Droge, gerade wenn sie von Jugendlichen konsumiert wird, kann schlimme Auswirkungen haben. Und all das, was wir aktuell verhindern wollen – dass Jugendliche Depressionen bekommen, dass sie einsam sind, dass sie Lernstörungen entwickeln – kann durch den Konsum von Cannabis gefördert werden. Eine Legalisierung würde nahelegen, dass diese Droge gar nicht so schlimm ist.

Abgesehen davon bindet dieses Projekt im Gesundheitsministerium unheimlich viele Ressourcen. Seit eineinhalb Jahren wird bereits daran gearbeitet – und das ohne nennenswerte Ergebnisse. Viele Menschen haben dadurch keine Zeit, sich um andere Themen, wie die psychische Gesundheit von Kindern, zu kümmern. Deshalb habe ich den Minister kritisiert.

Ich finde, das ist die falsche Prioritätensetzung. Vielmehr sollten wir uns um die Gesundheit der jungen Menschen kümmern und sie befähigen, sich um ihr eigenes Wohlergehen zu kümmern.

Zur Person

Mareike Lotte Wulf

Mareike Lotte Wulf wurde 1979 in Rendsburg, Schleswig-Holstein, geboren und ist in Oldenburg aufgewachsen. Nach der Schule studierten sie unter anderem Kulturwissenschaften in Frankfurt an der Oder und Sozialwissenschaften in Berlin. Von 2017 bis 2021 war Wulf Mitglied des Niedersächsischen Landtags. Seit 2021 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Wulf ist Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales und im Familienausschuss.

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