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Studium und Corona So ging es mir im Lockdown

Die Coronapandemie hat die Studienzeit von Anna und Alicia stark beeinträchtigt. Die beiden berichten von langen Wintertagen am Schreibtisch, Überforderung und Einsamkeit.

Porträt von Alicia (links), Porträt von Anna (rechts)

Alicia (links) und Anna (rechts) haben zeitweise stark unter der Pandemie gelitten. Auf Vieles, was zum Studium dazu gehört, mussten sie verzichten. © privat

Alicia

Alicia, 20: „Hing von morgens bis abends am Schreibtisch“

Die Zoom-Kästen auf dem Bildschirm sind alle schwarz, keiner macht seine Kamera an, alle sind noch im Schlafanzug. Es ist 8:00 Uhr morgens, trotzdem ist es draußen dunkel. Immer wieder piept es, wenn eine weitere Person den Zoom-Raum betritt. Die unterrichtende Person kämpft mit verschiedenen Technikprobleme. Über den Tag wird es etwas heller, ansonsten verändert sich an der Gesamtsituation aber nichts. Ein Uni-Tag im Winterlockdown.

Das Ende der Schulzeit – während Corona

Während der Corona-Pandemie habe ich mein Abitur gemacht und ein Semester studiert. Solange ich noch zur Schule ging, kam ich vergleichsweise gut zurecht. In der Schule kannte ich schließlich schon viele und als der Lockdown im März 2020 begann, wurde das Spazierengehen populär. Der milde Frühling und darauffolgende Sommer schützten uns vor Isolation. Auch die Regelung des Berliner Senats, die Kurse zu teilen, half sehr. So konnten wir auch in der Schule lernen.

Nebenjob half im Winterlockdown

Durch den ersten Winterlockdown brachte mich vor allem mein Nebenjob. Ich musste zwangsläufig alle zwei Tage das Haus verlassen und ungefähr fünf Stunden lang im Team arbeiten. Als Pizzabäckerin bei Dominos musste ich keine Bedenken haben, plötzlich meinen Job zu verlieren. Es wurde sogar mehr Pizza bestellt als zuvor.

Den Gedanken, nach dem Abitur zu reisen oder ein Freiwilliges Soziales Jahr im Ausland zu machen, verwarf ich schnell. Denn alle Optionen, die mich interessiert hätten, waren nur stark eingeschränkt möglich. Ich liebäugelte lange damit, eine Behindertenwerkstatt im Süden von England zu unterstützen. Allerdings war nicht gesichert, dass ich einreisen durfte und ich hätte wohl zum Schutz der Einwohner wenige Kontakte nach außen haben können.

Auch die Option, zum Studium in eine andere Stadt zu gehen, wollte ich nicht umsetzen, weil ich Angst hatte, dort komplett allein zu sein. Dadurch, dass Ersti-Wochen nur eingeschränkt stattgefunden hätte, wäre es schwer geworden, Leute kennenzulernen.

Ein vielversprechender Anfang

Schließlich habe ich zum Wintersemester 2021/2022 angefangen, Anglistik und Politik an der Freien Universität in Berlin zu studieren. Das erste Semester begann vielversprechend: Wir hatten noch Präsenzunterricht und gleich am ersten Tag traf ich in einem meiner Seminare eine wunderbare Kommilitonin. Ich spürte große Neugierde, alles zu entdecken. Mit Eifer fing ich an, mich an der Uni, beim dortigen Studierendenmagazin, zu engagieren. Ich war voller Motivation.

Wintersemester allein am Schreibtisch

Doch die Motivation stoppte abrupt, als die Seminare und Vorlesung auf WebEx verlegt wurden. Ich hing von morgens bis abends an meinem Schreibtisch, sah mir Vorlesungen an und versuchte, an Seminaren teilzunehmen. Es fiel mir zunehmend schwer, aufzupassen. Meine Tage hatten kaum Struktur und brachten keinerlei Abwechslung. Es war ein richtiger Teufelskreis. Ich konnte mich nicht konzentrieren und musste dann das, was ich durch meine gedankliche Abwesenheit verpasst hatte, nacharbeiten. Dadurch verbrachte ich noch mehr Zeit an diesem verflixten Schreibtisch. Meine Motivation hatte sich irgendwo weit hinten in einer Ecke verkrochen und schien unerreichbar.

Die Freunde, die ich noch sehen durfte, bekamen mich nur selten zu Gesicht. Und wenn wir uns gesehen haben, beschwerte ich mich meist über mein Studium. Ich fühlte mich oft zu kraftlos, etwas anderes zum Gespräch beizutragen. Ich fing an, mich zu isolieren, da ich durchgehend mit Schuldgefühlen durch die Gegend lief. Die Hygieneregeln waren hier ein unvermeidbarer Katalysator. Ich musste ja Distanz zu anderen wahren und entschied mich dann oft, zu Hause zu bleiben. Ich hatte ständig das Gefühl, eigentlich mehr tun zu müssen. Und wenn ich versuchte, mich an die Arbeit zu machen, war mein Gehirn wie blockiert. Als ich schließlich mein Studium abbrach und der Frühling zeitgleich aufblühte, war dies ein langersehnter Befreiungsschlag.

Endlich normal studieren

Heute studiere ich in Hamburg Soziale Ökonomie – in Präsenz. Der Unterschied ist enorm. Allein dadurch, dass ich mich morgens fertig machen und zur Uni fahren muss, bin ich viel produktiver. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass das Studieren am meisten Freude bringt, wenn man es zusammen tut. Wenn ich an mein Studium im Lockdown zurückdenke, sehe ich mich allein im Dunkeln vor meinem Laptop sitzen. Mein jetziges Studium verbinde ich vor allem mit den Menschen: den Dozentinnen und Dozenten, ihren unterschiedlichen Unterrichtsstilen, meine Kommilitoninnen und Kommilitonen und meinen Freundinnen und Freunden, die die langweiligste Vorlesung ertragbar machen.

Anna

Anna, 23: „Vieles konnten wir nur eingeschränkt erleben“

Ich habe im März 2018 in Rheinland-Pfalz mein Abitur gemacht. Die erste Zeit nach der Schule gestaltete sich so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Im August bin ich für ein Jahr nach Chile gegangen. Zwischendurch hatte ich frei, den Frühling und Sommer konnte ich genießen und auch die Zeit im Ausland war vor Ausbruch der Pandemie vorbei. Der Start ins Studium? Normal. Ersti-Rallye, Ersti-Kneipentour und Ersti-Partys.

Erster Lockdown als Entlastung

Dann kam der erste Lockdown, der zunächst eine Entlastung für mich war. Ich stand gerade kurz vor meinem zweiten Bachelor-Semester und ich hatte das Gefühl, von Verpflichtungen erdrückten zu werden: Lernen für die Uni, Job-Suche, WG-Suche, währenddessen außerdem ein soziales Umfeld in Bonn aufbauen. Durch den Lockdown war auf einen Schlag all das erst einmal egal. Der Lockdown war wie ein Pausenknopf. Also eigentlich alles gut, oder?

Endlose Zeiten in meinem Zimmer

Damals wusste ich noch nicht, wie lange diese Pause andauern würde. Die Lockdowns haben mich ziemlich schnell nur noch genervt. Ab dem zweiten Semester habe ich sehr viel Zeit in meinem Zimmer verbracht. Alle Veranstaltungen fanden auf Zoom statt. Für kaum eine Prüfungen durfte ich in die Uni. Ich habe eine Kompensationshausarbeit nach der anderen geschrieben – alles in meinem Zimmer.

Die „beste Zeit des Lebens“

Mein Englisch-Lehrer bekundete sein Mitleid: Das Studium sei die beste Zeit seines Lebens gewesen. Die angeblich beste Zeit meines Lebens fand auf Zoom statt. Ich war so viel spazieren, fast zu viel. Selbst zu kleinen Partys bin ich lange nicht gegangen, um Menschen in meinem Umfeld nicht zu gefährden. Zum 11.11.2020 – Sessionseröffnung des Karnevals – haben wir uns jeweils zu zweit getroffen und uns dann per Zoom in größerer Gruppe connectet.

Kein echtes Vorlesungsfeeling für mich

In den späteren Semestern, in denen die umfassenderen Lockerungen kamen, hatte ich nur noch wenige Veranstaltungen. Ich finde es bis heute schade, dass ich das richtige Vorlesungsfeeling deswegen nur aus drei bis vier Veranstaltungen aus dem ersten Semester kenne.

Viele neue Leute kennengelernt habe ich auch nicht. Ich weiß das zwar durchaus zu schätzen, denn ich hatte dadurch mehr Zeit für die Freundschaften, die bereits bestanden. In Bonn hatte ich zum Glück bereits im ersten Semester Freundinnen und Freunde gefunden. Außerdem habe ich in einer WG gewohnt, in der wir häufig zusammen waren. Dass ich mehr Zeit für mich selbst hatte, habe ich mal mehr, mal weniger gemocht und gebraucht. Wenn ich mich doch mal zu einsam gefühlt habe, war ich mit dem Zug glücklicherweise schnell zu Hause bei meinen Eltern.

Einleben wurde unterbrochen

Corona hat mein Bachelorstudium auf vielen Ebenen stark geprägt, gerade dadurch, dass die harten Lockdowns in den frühen Semestern stattfanden. Ich befand mich eigentlich noch mitten im Prozess des Einlebens in einer neuen Stadt und im Aufbau eines neuen sozialen Umfelds. Das ist deswegen auch eher überschaubar geblieben, da die Kontakte online und mit Maske oft nur oberflächlich waren.

Eine eingeschränkte Erfahrung

Ich glaube, Corona hat so auch dazu beigetragen, dass ich mich für den Master nur in anderen Städten bewerben werde. Im Gespräch mit Freundinnen und Freunden stelle ich immer wieder fest, dass wir alle es sehr schade und traurig finden, unsere gemeinsame Studienzeit so eingeschränkt verbracht und vieles, was eigentlich dazu gehören sollte, nicht in vollen Zügen erlebt zu haben.

Aber ich würde sagen, dass ich und die Menschen um mich herum gut in einen Alltag „in Präsenz“ zurückgefunden haben. Und immerhin: Ein Teil meines Studiums kommt ja noch.

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