Coronapandemie Wie schlimm war’s für Jugendliche?
Junge Menschen haben besonders unter der Pandemie gelitten: Schulschließungen, soziale Isolation, Lernlücken. Im Plenum diskutierten die Abgeordneten jetzt über die Auswirkungen der Pandemie auf Jugendliche.
Im März 2020 stellte die Corona-Pandemie unseren Alltag auf den Kopf. Besonders Kinder und Jugendliche litten unter den Corona-Maßnahmen: Schulen, Kitas, Sportvereine und Universitäten wurden über Nacht und für viele Wochen geschlossen.
Auf engem Raum zusammen
Für Familien, die auf engerem Raum zusammenwohnten und knappe Ressourcen zur Verfügung hatte, war die Situation besonders schwierig. Schulschließungen haben Kinder aus diesen Verhältnissen deshalb härter getroffen, zum Beispiel, weil Räume fehlten, um ungestört zu lernen, oder Laptops, um am Online-Unterricht teilzunehmen.
Arbeitsgruppe hat Empfehlungen erarbeitet
Über die Auswirkungen für Kinder und Jugendliche haben die Fraktionen in einer Bundestagsdebatte diskutiert. Anlass war der Abschlussbericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe über die gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche. Diese interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) tagte bereits 2021. Auf Anraten des Corona-ExpertInnenrates der Bundesregierung wurde sie 2022 wieder eingesetzt.
Unterstützt wurde die Arbeitsgruppe von Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und den Ländern. So wurden Empfehlungen für Maßnahmen herausgearbeitet, mit denen Belastungen, wie sie durch die Pandemie entstanden sind, künftig vermieden werden und deren Auswirkungen abgefedert werden sollen. Mit Vorlage dieses Abschlussberichtes endet die Arbeit der IMA.
Lernrückstände bei vielen Kindern
Durch Schulschließungen, Distanz- und Wechselunterricht hätten sich die Lern- und Arbeitszeit von vielen Kindern und Jugendlichen deutlich reduziert, heißt es im Bericht, dies habe teilweise dazu beigetragen, dass es zu Lernrückständen bei Kindern und Jugendlichen kam.
Schulen und Kindertagesbetreuung seien mehr als Bildungsorte, wird in dem Bericht betont. Sie seien vor allem Ort sozialer Kontakte. Das Wegbrechen dieser Kontakte habe bei vielen jungen Menschen zu Vereinsamung, Isolation, Angst und psychischen Belastungen geführt, die teilweise bis heute anhielten.
Mehr Depressionssymptome bei Jugendlichen
Ergebnisse einer aktuellen europaweiten Studie zeigten zudem, dass die Steigerung von Depressionssymptomen bei Kindern und Jugendlichen mit den coronabedingten Restriktionen und Schulschließungen im Zusammenhang stehe. So wiesen Kinder und Jugendliche während der Schulschließungen zu 75 Prozent häufiger Depressionssymptome auf als vor der Pandemie, schreiben die Autoren des Berichts. Und im Vergleich dazu erhöhte sich die Häufigkeit für solche Depressionssymptome im Zeitraum ohne Schulschließungen nur um 27 Prozent.
Auch mehr als zweieinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie gebe es deutliche Hinweise auf anhaltenden psychosomatischen Stress. Anfang 2022 fühlten sich einer Studie zufolge noch 81 Prozent der Kinder und Jugendlichen „ziemlich“ bzw. „äußerst“ psychisch belastet.
Vorgeschlagene Maßnahmen
Im Bericht werden verschiedene Handlungsfelder identifiziert, innerhalb derer man Jugendliche unterstützen könne, mit den Folgen der Pandemie zurechtzukommen. Dazu gehören die sogenannten Frühen Hilfen – das sind verschiedene Unterstützungsangebote für Eltern mit besonders kleinen Kindern –, außerdem die Kindertagesbetreuung, Schulen, das Gesundheitswesen und die Jugend- und Familienhilfe.
Mental Health Coaches in Schulen
Zu den Maßnahmen, die im Bereich Schule geplant sind, gehören beispielweise Mental Health Coaches, die an die Schulen gehen sollen. Mit Kindern und Jugendlichen soll so an dem Thema psychische Gesundheit gearbeitet werden. In psychischen Krisensituationen stünden außerdem Ansprechpersonen für erste Hilfe zur Verfügung.
In einer knapp 70-minütigen Debatte diskutierten die Abgeordneten nun über die Pandemie und ihre Folgen für junge Menschen.
Grüne: „Pandemie für Jugendliche nicht vorbei“
Die Pandemie sei für Kinder und Jugendliche nicht vorbei, eröffnete Bundesfamilienministerin Lisa Paus die Debatte. Denn die Folgen von Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen seien weiterhin spürbar. Paus zählte einige Maßnahmen auf, mit denen das Bundesfamilienministerium Empfehlungen aus dem Bericht umsetze: Man baue das Angebot für junge Familien auf, indem man die Frühen Hilfen um zehn Prozent aufgestockt habe. Zudem nehme man viel Geld in die Hand, um den Ausbau der Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern zu verbessern. Außerdem sprach Paus von den Mental Health Coaches, die ab dem Sommer an den Schulen starten sollen.
Zusätzlich habe man neue Rechte und Angebote in der Jugend- und Familienhilfe geschaffen. Kinder und Jugendliche könnten sich nun beim Jugendamt direkt beraten lassen, ohne dass ihre Eltern darüber informiert würden.
CDU/CSU: „Coaches sind Tropfen auf den heißen Stein“
Man müsse sich den Folgen der getroffenen Entscheidungen ehrlich stellen und gegensteuern, wo möglich, sagte Mareike Lotte Wulf von der CDU/CSU-Fraktion über die Pandemie-Maßnahmen.
Die Fakten aus dem Bericht zeigten, wie nötig schnelle und wirksame Maßnahmen seien, so Wulf. Sie stelle in Frage, ob die Regierung es ernst mit der Verantwortung meine. Denn die Mittel zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie seien deutlich zurückgegangen. Die Große Koalition habe mit dem Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ zwei Milliarden Euro zur Förderung bereitgestellt, sagte Wulf. Das Programm werde nun mit einem Zukunftspaket fortgeführt, dass gerade mal 40 Millionen Euro vorsehe. Sie kritisierte auch, die Mental Health Coaches seien ein Tropfen auf den heißen Stein.
SPD: „Die meisten Opfer haben Kinder erbracht“
Karl Lauterbach, der Bundesgesundheitsminister, sagte, die meisten Opfer während der Pandemie hätten die Kinder gebracht. Er betonte, dass die Schulschließungen in dieser Länge nicht nötig gewesen seien und viele Kinder noch heute unter psychischen Störungen leiden würden. Man schulde den Kindern daher eine ernsthafte Debatte und konkrete Maßnahmen.
Lauterbach ging auf einige Maßnahmen aus der Gesundheitsversorgung ein: Man habe beispielsweise die Not der Kinderkliniken beseitigt, indem das Abrechnungssystem der Kliniken geändert worden sei. Um die Lieferengpässe bei Kinderarzneien kümmere man sich. Außerdem habe man dafür gesorgt, den Beruf der Kinderärzte attraktiver zu machen. Zur Erklärung: Derzeit entscheiden sich zu wenig Ärztinnen und Ärzte für diesen Beruf. Die Versorgung mit Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wolle man außerdem deutlich verbessern, so Lauterbach.
FDP: „Handlungsfelder vernetzen“
Das Ende der Pandemie bedeute gleichzeitig, dass die Aufarbeitung beginnen müsse, sagte Katja Adler von der FDP-Fraktion. Es gehe dabei um die rund 14 Millionen Kinder und Jugendlichen im Land, die man in der Corona-Pandemie fast völlig aus den Augen verloren habe. Bei durchschnittlich 38 Wochen Schulschließung habe man ihnen 190 Tage lang den Zugang zu sozialen Kontakten verwehrt, so Adler. Die Abgeordnete sagte, man könne Kindern und Jugendlichen nun ein gesundes Aufwachsen ermöglichen, indem man die verschiedenen Handlungsfelder vernetze: Das seien Frühe Hilfen, Kindertagesbetreuung, Schulen, Gesundheitswesen, Jugend- und Familienhilfe.
AfD: „Sie haben große Schuld auf sich geladen“
Martin Reichardt von der AfD-Fraktion behauptete, der Tag der Schul- und Kitaschließungen sei der Beginn der „Regentschaft totalitärer Kinderfeindlichkeit“ gewesen. Reichardts zufolge hätten nicht die Corona-Erkrankungen die gesundheitlichen Auswirkungen für Kinder und Jugendliche zur Folge gehabt, sondern die Corona-Maßnahmen. Er betonte, die AfD-Fraktion habe bereits im Oktober 2020 einen Antrag gestellt, damit das Kindeswohl bei Corona-Maßnahmen geprüft werde und Kinder von Masken- und Abstandsregelungen befreit würden. Alle, die diesen Maßnahmen zugestimmt hätten, hätten große Schuld auf sich geladen. Abschließend forderte Reichardt, dass Lauterbach Verantwortung übernehmen und zurücktreten solle.
Linke: „Von der Regierung im Stich gelassen“
Diese Pandemie sei auf ein kaputtgespartes System in Kitas, Schulen und Jugendhilfe getroffen, führte Heidi Reichinnek von der Linksfraktion an. Die Situation sei schon vor Corona hochproblematisch gewesen, während der Pandemie sei man in eine absolute Katastrophe geschlittert. Von der Regierung sei man damals wie heute komplett im Stich gelassen worden. Reichinnek betonte, dass viele Menschen in der sozialen Arbeit an der Grenze der Leistungsfähigkeit seien, und hinterfragte, wieso dieser Aspekt in der Debatte vernachlässigt werde, obwohl er im Bericht vorkäme. Abschließend kritisierte sie, dass Finanzminister Christian Lindner in dieser Situation auch noch fordere, im Familienministerium zu sparen.
Die komplette Bundestagsdebatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.