Säbelfechterin Léa Krüger „Jeder Sportler hat ein Recht auf Schutz“
Im Spitzensport sind Frauen besonders oft von sexualisierter Gewalt betroffen. Säbelfechterin Léa Krüger erklärt im Interview, wie man den Sport für alle sicherer machen könnte.
Sie engagieren sich im Verein „Athleten Deutschland“. Wofür setzt sich der Verein ein?
Athleten Deutschland ist die Vertretung der Kadersportlerinnen und -sportler in Deutschland, die unabhängig vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) besteht, die also nicht an Sportverbände oder andere Institutionen angeschlossen ist. Wir sind die Stimme der Athletinnen und Athleten und treten für ihren Schutz ein.
Denn es gibt Themen, bei denen es für die Sportler und Sportlerinnen wichtig ist, eine unabhängige Anlaufstelle und eine eigene Interessenvertretung zu haben. Zum Beispiel, wenn es um Missbrauch, Diskriminierung und Gewalt geht. Sportverbände sind manchmal auch um ihr Image besorgt, sodass die Athleten und Athletinnen nicht immer die Unterstützung finden, die sie brauchen. Wir haben uns erfolgreich für die Schaffung eines unabhängigen Zentrums für Safe Sport eingesetzt und setzen uns dafür ein, dass die Sportverbände Verantwortung übernehmen, wenn es um Menschenrechte geht.
Als Säbelfechterin kennen Sie die Welt des Spitzensports gut. Hören Sie oft von Erfahrungen mit Diskriminierung – zum Beispiel im Hinblick auf Geschlecht oder Herkunft?
Innerhalb Deutschlands sind Diskriminierungserfahrungen im Säbelfechten sehr selten. Auf internationalem Niveau ist das anders. Da merkt man vor allem den Unterschied zwischen Männern und Frauen. Fechten ist eine Kampfsportart, deshalb wird es wohl eher als etwas angesehen, das traditionell die Männer machen. Die Disziplin „Damensäbel“ wird gerne belächelt.
Wir Frauen werden auch teilweise benachteiligt, wenn es um Wettkampfzeiten geht. Gerade international ist es so, dass unsere Wettkämpfe früh am Samstag- oder Sonntagmorgen beginnen. Kein Mensch hat um diese Zeit Lust, zu einem Fechtevent zu gehen. Die Männer sind hingegen immer nachmittags dran.
Gibt es bestimmte Sportarten, bei denen rassistische, sexistische oder gewaltsame Zwischenfälle – verbaler oder körperlicher Art – ein besonders großes Problem darstellen?
Durch meine Tätigkeit bei den Athleten Deutschland höre ich immer wieder von Fällen von Diskriminierung, Gewalt und Missbrauch im Sport – und zwar unabhängig von den Sportarten. Wir haben zum Beispiel im Rahmen unseres Projekts „Athletinnen D“ Interviews zum Thema Gleichberechtigung geführt. Dabei haben wir mit 26 Athletinnen aus 21 Sportarten gesprochen. Es ist sehr deutlich geworden, dass es für Sportlerinnen Zustände im Spitzensport gibt, die man als diskriminierend bezeichnen kann.
Wir haben festgestellt, dass Athletinnen häufiger von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Das belegen auch andere große Studien, wie die Safe-Sport-Studie oder die Sicher-im-Sport Studie. Und ein großes Thema im Zusammenhang mit Diskriminierung sind auch Schwangerschaften. Die bedeuten oft das Karriereende für die Athletinnen.
Aber auch in der Medienberichterstattung lassen sich ungerechte Verhältnisse erkennen. Ein Beispiel: Nur zehn Prozent der Sportberichterstattung widmet sich dem weiblichen Sport. Das ist auch in verschiedenen Studien belegt worden. Stichwort Studien: Hier schließt sich der nächste Punkt an. Viele trainingswissenschaftliche Studien werden entweder nur an Männern oder an Männern und Frauen durchgeführt. Es gibt keine Studien, die sich nur auf Frauen konzentrieren.
Wieso bedeutet eine Schwangerschaft denn oft das Karriereende. Verlieren die Athletinnen damit den Anschluss?
Unter anderem kann es passieren, dass man sportlich den Anschluss verliert. Schließlich verändern eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes das ganze Leben einer Frau. Und wenn das nicht vollumfänglich vom Trainer, der Trainingsgruppe und dem Verband mitgetragen wird, ist diese Lebensumstellung nicht möglich. Da müssten sich grundlegend bestimmte Strukturen verändern, um Spitzensport mit dem Muttersein besser vereinbar zu machen.
Wir haben in unseren Gleichstellungszielen beispielsweise festgehalten, dass transparente und verbindliche Regeln zum Verbleib im Bundeskader eingeführt werden sollten, Schutzklauseln in Sponsorenverträge aufgenommen werden müssten und an den Trainingsorten kindgerechte Rahmenbedingungen und Unterstützungsleistungen eingeführt werden, die die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Spitzensport ermöglichen.
Hat Ihr Verein auch Erkenntnisse zum Thema Rassismus? Was berichten die Athleten und Athletinnen?
Wir haben im Jahr 2020 eine Anti-Rassismus-AG ins Leben gerufen und über Rassismus im Spitzensport diskutiert. Die Mitglieder der AG haben vor allem in drei unterschiedlichen Bereichen Erfahrungen mit Rassismus gemacht. So haben die Befragten von rassistischen Beleidigungen berichtet, die von anderen Athletinnen und Athleten oder von den Trainerinnen und Trainern geäußert wurden. Außerdem ging es um unbedachte verletzende Äußerungen zu Hautfarbe oder Herkunft. Ein weiterer Punkt, der meiner Meinung nach auch die Situation außerhalb des Sports in der Gesellschaft widerspiegelt: Es mangelt an Sensibilität und Bewusstsein. Und es fehlen nahezu überall Anlaufstellen für Betroffene von Rassismus.
Außerdem berichteten die Befragten von Erfahrungen mit rassistischen Kommentaren in den sozialen Netzwerken. Die Athleten und Athletinnen bemängelten hier, dass fehlende Reaktionen der Verbände das Problem noch verschlimmerten. Viele fühlen sich unverstanden und von den Sportverbänden allein gelassen.
Tun die Sportvereine und -verbände also nicht genug, um ihre Mitglieder zu schützen?
Im Präventionsbereich hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Es gibt aber keine einheitlichen Standards in diesem Bereich, schon gar keine systematische Umsetzung, die auch in der letzten Turnhalle funktioniert. Es fehlt also ein einheitliches Schutzniveau für die Sportlerinnen und Sportler. Es kommt auf den Wohnort und die Sportart an, ob ich angemessenen Schutz erfahre. Aber jeder Sportler hat ein Recht auf Schutz.
In den Verbänden gibt es oft Ansprechpersonen für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Wir haben in der Vergangenheit jedoch feststellen müssen, dass Meldungen teilweise unzureichend nachgegangen wurde, dass sie versandeten oder nicht ernst genommen wurden. Ansprechpersonen in den Vereinen fühlen sich manchmal durch Interessenkonflikte eingeschränkt. Sie können nicht unabhängig agieren und sind überfordert. Viele Betroffene haben genau deshalb Angst, dass sie von den Verbänden nicht ernst genommen und Probleme heruntergespielt werden.
Wie kann denn für mehr Sicherheit im Profi-Sport gesorgt werden?
Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens und Handelns. Auch tiefgreifende strukturelle Reformen sind nötig. Wir setzen uns seit zwei Jahren daher für ein Zentrum für Safe Sport ein, das von anderen Strukturen im Sport unabhängig ist und verschiedene Kompetenzen bündelt. Dessen Aufbau ist mittlerweile im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankert.
Das Zentrum soll Meldungen entgegennehmen, Unterstützung vermitteln, Untersuchungen einleiten und im Zweifel auch Sanktionen verhängen können. Die Grundlage für das Zentrum wäre ein Regelwerk, das zum Einsatz kommt, bevor das Strafrecht greift. Dieses Regelwerk müssten entsprechend alle Verbände mittragen.
Um Betroffenen zeitnah ein Hilfsangebot anbieten zu können, haben wir im Mai unsere Anlaufstelle „Anlauf gegen Gewalt“ für Betroffene von psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt aus dem Spitzensport ins Leben gerufen. Hier erhalten die Athleten und Athletinnen eine Beratung und auf Wunsch auch eine längerfristige Begleitung von unseren Ansprechpersonen. Wir können auch kostenfreie psychotherapeutische und rechtliche Erstberatung vermitteln.
Zur Person
Léa Krüger ist 1996 in Dormagen geboren. Sie ist Säbelfechterin beim TSV Bayer Dormagen. Neben dem Fechten studiert sie an der Universität zu Köln Jura. Beim Athleten Deutschland e.V. ist sie Präsidiumsmitglied und setzt sich für faire und sichere Bedingungen im Spitzensport ein.
(Mira Knauf)