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Fragen an Verteidigungspolitiker der Fraktionen

Sind Sie für oder gegen die Wehrpflicht?

Wehrdienst? Wehrpflicht? Losverfahren? Wehrerfassung? Im Bundestag wird über den Entwurf eines Gesetzes diskutiert, mit dem die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands gestärkt werden soll. Wir haben Verteidigungspolitiker aus den Fraktionen gefragt, wo sie in der Debatte stehen.

Foto mehrerer Jacken in Camouflagemuster mit schwarz-rot-goldenen Aufnähern auf der Schulter, die nebeneinander auf Kleiderbügeln an einer Metallstange hängen.

2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Angesichts des russischen Angriffskrieges hat sich die sicherheitspolitische Lage jedoch verändert. Aktuell wird im Deutschen Bundestag an einem Gesetzentwurf zum allgemeinen Wehrdienst gearbeitet. © picture alliance/dpa | Oliver Berg

Thomas Erndl (CDU/CSU)
Ein Mann mit kurzen dunkelblonden Haaren und einer dünn umrandeten dunklen Brille trägt einen Anzug und eine beige Krawatte.

Thomas Erndl sitzt seit 2017 für den Wahlkreis Deggendorf im Deutschen Bundestag. Seit 2025 ist der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. © IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Die Antworten von Thomas Erndl lest ihr hier, sobald uns diese vorliegen.

Rüdiger Lucassen (AfD)
Foto eines älteren Mannes mit kurzem grauen Haar, einer transparenten Brille, in einem grau gemusterten Anzug und einer roten Krawatte gekleidet.

Rüdiger Lucassen sitzt seit 2017 im Deutschen Bundestag, gewählt über die Landesliste NRW. Er ist der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion und Obmann im Verteidigungsausschuss. © picture alliance / dts-Agentur

Sind Sie für oder gegen die Wehrpflicht?

Ich bin absolut für die Wehrpflicht, denn ich bin der festen Überzeugung, dass die Landesverteidigung durch Streitkräfte wichtiger denn je ist und immer notwendiger wird. Landesverteidigung bedeutet in diesem Sinne, dass möglichst viele Streitkräfte mit dem Reservistenstatus eingezogen werden können, wenn sie im Falle einer Bedrohung gebraucht werden. Der Staat muss also über genügend an der Waffe ausgebildete Soldaten verfügen, um sich im Ernstfall verteidigen zu können. 

Sollte die Wehrpflicht gleichermaßen für Männer und Frauen gelten?

Wenn wir über die Wiedereinführung der Wehrpflicht sprechen, muss auch das Recht auf Gleichberechtigung beachtet werden. Und das bedeutet, dass rechtlich verankert werden muss, dass auch Frauen zur Wehrpflicht herangezogen werden können. Die konkrete Ausgestaltung, für welche Tätigkeiten man dann als Soldat oder Soldatin eingesetzt wird, ist dann nochmal eine andere Frage. Sollte der Bedarf bestehen, dass beispielsweise wehrpflichtige Frauen in bestimmten Funktionen nicht eingesetzt werden oder sich vor dem Einsatz verweigern können, dann kann dies ja berücksichtigt werden. 

Wie stehen Sie zu dem Vorschlag eines freiwilligen Wehrdienstes?

Wenn es um eine so wichtige Aufgabe wie die eines Soldaten für das deutsche Volk geht, muss der Staat Vorgaben machen können, wie die Streitkräfte ausgestaltet werden. Vor allem dann, wenn es sich um eine akute Bedrohung wie aktuell durch die Russische Föderation handelt. Hier muss der Staat auch als präventive Maßnahme dazu in der Lage sein, die Streitkräfte unseres Landes ausgestalten zu können. Und ich teile die Einschätzung vieler Experten, dass mit einem freiwilligen Wehrdienst die Streitkräfte weder ausreichend aufgebaut noch maßgeblich verstärkt werden können. Besonders angesichts der weitgehenden Zugeständnisse der aktuellen Bundesregierung an die NATO braucht es mindestens 80.000 zusätzliche Soldaten. Und wo wir ohne eine Pflicht hinkommen, haben wir in den letzten elf Jahren beobachten können: Die bestehende Lücke von 20.000 vakanten Dienstposten konnte immer noch nicht geschlossen werden.

Was raten Sie jungen Menschen, die sich gerade fragen, was da womöglich auf sie zukommt?

Viele der jungen Menschen sind ja auch wahlberechtigt und von diesem Recht sollte auf jeden Fall Gebrauch gemacht werden, wenn man mit dem Kurs der Regierung nicht zufrieden ist. Darüber hinaus muss endlich Klarheit darüber herrschen, wie und ob in die Freiheitsrechte junger Menschen eingegriffen wird. Außerdem sollte stärker vermittelt werden, wofür diese Eingriffe erfolgen und warum die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit so wichtig ist. Wenn ich dann aber beispielsweise von Debatten zur Einführung eines Losverfahrens höre, stellt das für mich genau das Gegenteil davon dar, wie man mit dem Schicksal junger Menschen umgehen sollte. Denn wenn sich eine Bedrohung für unser Land realisiert, dann bedeutet das, als Soldat sein Leib und Leben zu riskieren. Und auf diesen Dienst muss man transparent und verantwortungsvoll vorbereitet werden.

Falko Droßmann (SPD)
Foto eines mittelalten Mannes mit kurzem brau-grau meliertem Haar, er trägt einen grauen Anzug und ein weißes Hemd sowie eine dunkelgrau-hellgrau gestreifte Krawatte.

Falko Droßmann ist seit September 2021 der direkt gewählte Abgeordnete für den Wahlkreis Hamburg-Mitte. Seit Oktober 2024 ist er der verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. © IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Sind Sie für oder gegen die Wehrpflicht?

Ich bin gegen die Reaktivierung der Wehrpflicht, ich bin aber für die Einführung eines neuen, freiwilligen Wehrdienstes. Denn ich halte es derzeit nicht für notwendig, einen verpflichtenden Militärdienst für alle jungen Männer eines Jahrgangs wie in den 80er Jahren zu reaktivieren. Dafür hätte die Bundeswehr auch gar nicht die Möglichkeiten. Es fehlen dazu die Ausbilder, die Unterbringungsmöglichkeiten und das Übungsgerät in ausreichender Zahl. Ich denke es ist deswegen sehr viel sinnvoller, die Bundeswehr deutlich attraktiver zu machen und den jungen Menschen dann die Möglichkeit zu geben, sich freiwillig für einen solchen Dienst zu entscheiden.

Was halten Sie von einem Wehrdienst auf freiwilliger Basis?

Ich halte den Wehrdienst auf freiwilliger Basis wie bereits erwähnt für die derzeit sinnvollste Variante. Damit junge Menschen sich auch im ausreichenden Maße freiwillig melden, muss die Bundeswehr aber natürlich auch ein attraktives Angebot schaffen. Dabei geht es um das Thema Gehalt (mehr als 2.000 Euro netto), aber auch um Anreize wie eine anständige Zuzahlung für den Führerschein (ca. 3.500 Euro), anständige Kasernen, genug Übungsmaterial, aber auch die Wertschätzung der Bevölkerung, dass sie einen wichtigen und wertvollen Dienst leisten. Daran arbeiten wir derzeit. Übrigens gibt der freiwillige Wehrdienst auch Frauen die Möglichkeit, für einige Monate Dienst bei der Bundeswehr zu leisten. Wir haben bereits viele fähige Frauen in der Bundeswehr, die beweisen, dass wir auf sie nicht verzichten können.

Was raten Sie jungen Menschen, die sich gerade fragen, was da womöglich auf sie zukommt?

Durch den russischen Angriff auf die Ukraine ist die freie Art und Weise, wie wir in Europa und Deutschland leben, bedroht. Es kann sein, dass Russland bereits in einigen Jahren wieder versucht, Landesgrenzen in Europa gewalttätig zu verschieben. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir wollen das verhindern, indem wir Russland signalisieren: Es lohnt sich nicht, uns anzugreifen. Wir können uns wehren, wenn wir dazu gezwungen werden!
Zu diesem Signal gehört nicht nur aber auch der militärische Dienst an der Waffe. Sicherlich ist dieser Dienst nicht für jede oder jeden etwas und es gibt auch viele andere Möglichkeiten, sich für unsere Gesellschaft in zivilen Diensten, wie zum Beispiel dem Technischen Hilfswerk oder der Feuerwehr, zu engagieren. Ich würde mir aber wünschen, dass jede und jeder einmal ehrlich darüber nachdenkt, ob sie oder er sich vorstellen kann, einige Monate Dienst in der Bundeswehr zu leisten. Das würde uns sehr dabei helfen, weiterhin in einem friedlichen und relativ wohlhabenden Europa zu leben.

Niklas Wagener (Bündnis 90/Die Grünen)
Ein junger Mann mit kurzem dunklen Haar und kurzem Bart steht in einen dunkelgrauem Anzug und grüner Krawatte gekleidet am Rednerpult des Deutschen Bundestages.

Niklas Wagener sitzt seit 2021 im Deutschen Bundestag. Zu seinen Themenbereichen innerhalb der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gehören unter anderem die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Er ist ordentliches Mitglied im Verteidigungsausschuss. © IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Sind Sie für oder gegen die Wehrpflicht?

Ich bin gegen eine Rückkehr zur alten Wehrpflicht. Es sollten zunächst alle Potenziale zur Attraktivitätssteigerung ausgeschöpft werden, um die Freiwilligkeit für einen Dienst bei der Bundeswehr zu stärken. Die sicherheitspolitische Lage und die zunehmenden Bedrohungen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung machen es jedoch erforderlich, sich schon heute ehrlich damit auseinanderzusetzen, was passiert, wenn Freiwilligkeit allein nicht ausreicht. Maßnahmen wie die Wiedereinführung von Strukturen zur Wehrerfassung halte ich daher grundsätzlich für sinnvoll. Denn wir brauchen ein verlässliches Lagebild darüber, wer im Ernstfall zu einem Dienst bei der Bundeswehr bereit wäre. Für mich steht aber fest, dass Verteidigung nicht nur militärisch gedacht werden darf. Sicherheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die die Übernahme von Verantwortung durch alle Bürgerinnen und Bürger verlangt. Um den multiplen Krisen der heutigen Zeit zu begegnen, braucht es ebenso einen starken Zivil- und Katastrophenschutz und Menschen, die sich in sozialen oder ökologischen Projekten engagieren.

Warum?

Durch die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 hat die Bundeswehr einen erheblichen Bedeutungsverlust erfahren. Dies zeigt sich an ihrer heutigen mangelnden personellen, infrastrukturellen und materiellen Ausstattung. Für eine Rückkehr zur klassischen Wehrpflicht wären umfangreiche Anpassungen nötig – von Unterkünften über Ausbildungskapazitäten bis hin zu Ausrüstung und Personal. Ein solcher Umbau würde wertvolle Zeit kosten und die Bundeswehr mitten in den laufenden Modernisierungsprozessen zusätzlich belasten. Statt in alte Modelle zu investieren, sollten wir die Bundeswehr zukunftsfähig machen, mit klaren Perspektiven, besseren Bedingungen und einer Personalstrategie, die auf Motivation setzt. Nur so kann die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber sein und Menschen gewinnen, die sich bewusst für diesen Weg entscheiden.

Was halten Sie von einem Wehrdienst auf freiwilliger Basis?

Ein Wehrdienst auf freiwilliger Basis ist der richtige Weg für eine zukunftsfähige Bundeswehr. Wer dient, sollte dies aus Überzeugung tun. Freiwilligkeit schafft Motivation, stärkt die Identifikation mit der Aufgabe und sorgt somit langfristig für eine professionellere und stabilere Truppe. Denn Menschen, die sich bewusst für einen Dienst bei der Bundeswehr entscheiden, bringen einen höheren Grad an Engagement, Lernbereitschaft und Verlässlichkeit mit. Zugleich ist die freiwillige Bereitschaft zum Dienst ein Ausdruck der Überzeugung für die Werte, die unser Land tragen. Eine Bundeswehr, die auf Freiwilligkeit baut, ist stärker in unserer Gesellschaft verankert. Sie zeigt, dass unsere Demokratie funktioniert, indem sie auf Mitwirkung, Verantwortung und Zusammenhalt setzt. 

Was raten Sie jungen Menschen, die sich gerade fragen, was da womöglich auf sie zukommt?

Ich kann gut verstehen, dass viele junge Menschen angesichts der ernsten Lage und der undurchsichtigen Diskussion zum Thema Wehrpflicht im Moment verunsichert sind. Mein Rat ist: Begegnet dem Thema mit Offenheit und informiert euch. Ein Dienst für unsere Gesellschaft – ob militärisch, sozial oder ökologisch – ist keine Strafe, sondern kann eine wertvolle persönliche Erfahrung sein. Wichtig ist, dass niemand das Gefühl hat, einfach „verplant“ zu werden. Junge Menschen verdienen echte Perspektiven und Mitgestaltungsmöglichkeiten. Wer sich engagiert, sollte ganz genau wissen, warum und wofür und dafür auch die entsprechende Anerkennung und Entlohnung erhalten. Deshalb ist es wichtig, die eigene Stimme einzubringen: Sprecht mit den Politikerinnen und Politikern in euren Wahlkreisen, äußert eure Meinungen und Anliegen. So könnt ihr aktiv mitgestalten und sicherstellen, dass eure Perspektiven gehört werden.

Ulrich Thoden (Die Linke)
Ein mittelalter Mann mit kurzem braun-grau meliertem Haar und Brille steht in einem blauen Anzug und ein weißes Hemd gekleidet am Rednerpult des Deutschen Bundestages. Vor ihm auf dem Pult liegt ein roter Dokumentenhalter.

Ulrich Thoden sitzt seit 2025 im Deutschen Bundestag. Er ist Obmann im Verteidigungsausschuss und verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke. © IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Sind Sie für oder gegen eine Wehrpflicht?

Ich bin gegen die Wehrpflicht. Aus meiner Sicht lässt sich das demokratische Leitbild des Staatsbürgers oder der Staatsbürgerin in Uniform am besten in einer Berufsarmee von Freiwilligen umsetzen. Damit würde grundsätzlich gewährleistet, dass die Bundeswehr Soldatinnen und Soldaten bekäme, deren Eigenmotivation für den Dienst und die Selbstidentifikation mit den Streitkräften ungleich höher wäre als bei einer gesetzlichen Wehrpflicht für alle. Hinzu kommt, dass die Bundeswehr derzeit überhaupt nicht über die Kapazitäten für die Unterbringung und Ausbildung verfügt, die für eine gesetzliche Wehrpflicht erforderlich sind.

Was halten Sie von einem Wehrdienst auf freiwilliger Basis?

Wer den Wehrdienst auf freiwilliger Basis leisten möchte, sollte dies gern tun dürfen. Dies gilt für alle Geschlechter gleichermaßen.

Was raten Sie jungen Menschen, die sich gerade fragen, was da womöglich auf sie zukommt?

Junge Menschen sollten sich möglichst frühzeitig und selbständig über den Dienst oder eine berufliche Ausbildung bei der Bundeswehr informieren, um eine verantwortungsvolle Entscheidung in dieser wichtigen Lebensphase treffen zu können. Das Berufsbild von Soldatinnen und Soldaten unterscheidet sich grundsätzlich von allen anderen Berufen. Es beinhaltet in letzter Konsequenz auch das persönliche Risiko, andere Menschen töten zu müssen oder selbst getötet werden zu können. Auch die Notwendigkeit, Befehlen von Vorgesetzten Gehorsam leisten und sich an Dienstvorschriften halten zu müssen, beschränkt die Möglichkeiten von jungen Menschen zur individuellen Selbstverwirklichung. Darüber muss Klarheit bestehen.

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