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Arbeitsmarktexperte „Tolle Chancen für Jugendliche“

Die schlechte Nachricht: Auf dem Arbeitsmarkt fehlen Fachkräfte. Die gute: Daraus ergeben sich Chancen für junge Leute, sagt Arbeitsmarktexperte Stefan Hardege von der Deutschen Industrie- und Handelskammer.

Porträt von Stefan Hardege

Studium und Ausbildung in einem: Das duale Studium sei eine gute Sache für junge Leute und Unternehmen, erklärt Arbeitsmarktexperte Stefan Hardege. © DIHK/Paul Aidan Perry

Es herrscht Fachkräftemangel in Deutschland. In der Fachkräftestrategie der Bundesregierung heißt es, dass 240.000 Arbeitsplätzen künftig unbesetzt bleiben könnten. Welche Ursachen hat das?

Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der sogenannten Babyboomer-Generation gehen momentan und insbesondere in den nächsten Jahren in Rente. Mit Babyboomern meint man die Generationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Jahren steigender Geburtenraten zur Welt gekommen sind. In der Bundesrepublik war das ab Mitte der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre der Fall.

Diese Menschen hinterlassen jetzt große Lücken in Unternehmen. In jedem Jahr scheiden etwa 400.000 mehr ältere Menschen aus dem Arbeitsleben aus als junge Menschen nachrücken. Dazu kommt, dass recht viele Menschen in Deutschland in Teilzeit arbeiten – insbesondere Frauen. Da es zu wenig Kinderbetreuung gibt, bleiben die Mütter teilweise zu Hause oder arbeiten weniger und kümmern sich um die Kinder.

Und welche Auswirkungen hat der Fachkräftemangel auf die Wirtschaft?

53 Prozent und damit mehr als die Hälfte der Unternehmen, die im aktuellen Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) geantwortet haben, können offene Stellen zumindest teilweise längerfristig nicht besetzen, weil sie keine passenden Arbeitskräfte finden.

Fachkräfteengpässe gefährden Zukunftsaufgaben wie beispielsweise den erfolgreichen Umbau der Wirtschaft hin zu mehr Klimaschutz und mehr Digitalisierung. Genug Arbeitskräfte sind zum Beispiel nötig, um Gebäude zu dämmen, damit nicht so viel Energie verbraucht wird. Auch neue klimaschützende Heizungen müssen von jemandem eingebaut, Windräder müssen aufgestellt werden. Und damit alle schnelleres Internet bekommen und überall mit ihren Handys surfen können, muss das Netz dafür da sein – auch dafür brauchen wir Fachkräfte.

Wenn viele Fachkräfte fehlen, nimmt der Staat außerdem weniger Steuern ein und dann fehlt ihm das Geld für wichtige Aufgaben, etwa um Schulen und Berufsschulen zu modernisieren oder zu bauen.

Deutsche Industrie- und Handelskammer

Die DHIK beschreibt sich selbst als die „Stimme der Unternehmen in Deutschland“. Sie ist die überregionale Vertretung der regionalen Industrie- und Handelskammern. Davon gibt es 79. Die Unternehmen der Region gehören diesen IHKs per Gesetz an – mit Ausnahme von Handwerksunternehmen, Landwirtschaften und Freiberuflern. Die DIHK bündelt und vertritt die Anliegen der gewerblichen Wirtschaft auf nationaler und internationaler Ebene.

Wie wird sich der Fachkräftemangel auf die jüngeren Generationen auswirken – auf Jugendliche, die jetzt noch zur Schule gehen und erst in den nächsten Jahren berufliche Wege einschlagen werden?

Viele Unternehmen in Deutschland haben gleich aus mehreren Gründen einen hohen Mangel an qualifiziertem Personal: Wie erwähnt gehen in den kommenden Jahren viele ältere Beschäftigte in Rente, während gleichzeitig – bedingt durch den demografischen Wandel – weniger junge Leute in den Arbeitsmarkt eintreten. Dies ist auch ein wesentlicher Grund für den Mangel an Auszubildenden, unter dem die deutsche Wirtschaft leidet.

Die gute Nachricht aber ist: Für Jugendliche ergeben sich jetzt und in den kommenden Jahren daraus tolle Start-Chancen in den Unternehmen. In den Ausbildungsbetrieben in Deutschland gab es zuletzt drei Mal mehr offene Ausbildungsstellen als suchende Bewerberinnen und Bewerber. Daher sind die Ausbildungschancen für junge Menschen heute besser denn je.

Immer weniger junge Menschen beginnen eine Berufsausbildung. Auch das trägt zum Fachkräftemangel bei. Wie wichtig sind Ausbildungsformate wie die duale Berufsausbildung aus Sicht der Unternehmen?

Für die deutsche Wirtschaft, die auf guten Nachwuchs angewiesen ist, ist die duale Berufsausbildung ein wichtiger Faktor. Bei einer dualen Berufsausbildung findet die Ausbildung an zwei Lernorten statt: im Betrieb und in der Berufsschule. Der Anteil der Schulabgängerinnen und -abgänger, die eine duale Ausbildung aufnehmen, lag in den vergangenen 15 Jahren durchgängig bei mehr als 60 Prozent. Das bedeutet: Sechs von zehn Schulabgängern startet mit einer dualen Ausbildung ins Berufsleben. Zwar ist die absolute Zahl der dualen Ausbildungsverträge 2021 im Vergleich zu 2011 um 77.000 zurückgegangen. Das ist aber vor allem demografiebedingt: Denn im gleichen Zeitraum hat sich auch die Anzahl der Schulabsolventinnen und -absolventen verkleinert. Der Schulabgangsjahrgang hatte 2021 ganze 100.000 junge Menschen weniger.

Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sorgt die duale Berufsausbildung zudem dafür, dass in Deutschland deutlich weniger Jugendliche arbeitslos sind als in den meisten anderen Ländern Europas. Betriebe, die selbst ausbilden, sorgen für ihre Fachkräfte von morgen und können sicherstellen, dass deren Qualifikation exakt ihren eigenen betrieblichen Anforderungen entspricht. Wir werden daher in diesem Jahr eine bundesweite Kampagne starten, um noch mehr für die Ausbildung in IHK-Berufen zu werben.

Neben der dualen Berufsausbildung ist auch das duale Studium – also ein Studium mit integrierter Berufsausbildung – für viele Unternehmen ein attraktives Mittel der betrieblichen Fachkräftesicherung, denn es hat viele Vorteile. Unternehmen können Nachwuchs und somit potenzielle Fachkräfte gewinnen, sehr praxisnah qualifizieren und anschließend oftmals auch im Betrieb behalten.

Aufgrund des hohen Einsatzes, den dual Studierende erbringen müssen, interessieren sich insbesondere leistungsstarke Schülerinnen und Schüler für dieses Format. Aktuell studieren mehr als 120.000 junge Leute dual und können dabei aus rund 2.000 Studiengängen und mehr als 50.000 Praxispartnern, also Betrieben, wählen.

In der Strategie der Bundesregierung steht, dass die „Sicherung von Fachkräften zuvorderst eine Aufgabe der Unternehmen“ ist. Was brauchen die Unternehmen dabei von der Politik?

Die Unternehmen versuchen mit ganz vielen unterschiedlichen Ideen, Stellen zu besetzen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden und zu halten. Dazu gehören neben dem Einkommen zum Beispiel auch eine flexible Beschäftigung mit Home-Office – wo immer das geht – sowie gute Möglichkeiten, Arbeit, Familie und Freizeit unter einen Hut zu bringen.

Aber die Unternehmen brauchen dafür gute Rahmenbedingungen. Zum Beispiel müssen genug Kitaplätze da sein, damit junge Eltern arbeiten können. Und schnelles Internet muss es auch auf dem Dorf geben, damit beispielsweise Home-Office möglich ist. Gute Schulen und Berufsschulen sind eine Voraussetzung, damit die Jugendlichen eine Ausbildung anfangen und bestehen und danach im Job durchstarten können.

Und weil allein die Menschen in Deutschland wohl nicht reichen, um die vielen Stellen zu besetzen, stellen die Unternehmen auch Personal aus dem Ausland ein. Diese Menschen aus dem Ausland können aber oft nicht einfach hierherkommen und arbeiten. Hier muss die Politik gute Regeln schaffen, damit klar ist, wer unter welchen Bedingungen kommen und bleiben darf.

Zur Person

Stefan Hardege

Stefan Hardege studierte an der Universität Hamburg Volkswirtschaftslehre und promovierte an der Universität der Bundeswehr Hamburg im Bereich Wirtschaftspolitik. Seit 2008 ist er bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer beschäftigt. Hier ist er Experte für die Themen Fachkräftesicherung, Arbeitsmarkt und Zuwanderung.

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