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Interview „Die Situation ist so nicht aushaltbar“

Dolunay Temur

Wer einen Job an der Uni hat, bekommt in der Regel einen befristeten Vertrag. Die Linke will das ändern. Nicole Gohlke erklärt, welche Ideen ihre Fraktion hat.

Abgeordnete Nicole Gohlke an einem Rednerpult

„Zukunftsängste, krasse Stresssymptome sowie mangelnde berufliche und persönliche Perspektiven“ – so beschreibt Nicole Gohlke (Die Linke) die Situation vieler Wissenschaftler. Foto: Olaf Krostitz

Wer in die Wissenschaft will, muss hierzulande mit befristeten Verträgen rechnen. Warum ist das so?

An deutschen Hochschulen gibt es etwa 193.000 wissenschaftliche Mitarbeiter. Fast 90 Prozent von ihnen sitzen nur auf befristeten Verträgen. Und ungefähr die Hälfte dieser Verträge hat eine Vertragslaufzeit von nur einem halben Jahr – oder sogar noch weniger.

Das ist noch gar nicht so lange gängige Praxis, erst um die Jahrtausendwende herum hat das begonnen. In diese Zeit fallen zwei wichtige – neoliberale – Maßnahmen: Zum einen wurde damals die Finanzierung der Hochschulen auf ganz neue Beine gestellt. Viele der Gelder werden mittlerweile als sogenannte Drittmittel wettbewerblich vergeben. Die Hochschulen müssen sich aktiv darum bemühen. Die Hochschulen sollten zu autonomen, marktwirtschaftlich arbeitenden Einheiten werden, die sich letzten Endes wie Unternehmen auf dem Markt behaupten müssen. Der Nachteil ist, dass die Hochschulen so weniger Sicherheit und Planbarkeit haben und sich leicht darauf berufen können, wenn sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keine festen Verträge geben.

Das zweite Problem ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2006, mit dem neue Sonderregelungen für die Befristungen von Wissenschaftlern eingeführt wurden.

Was steht genau in dem Gesetz?

Es sieht vor, dass man sechs Jahre vor der Promotion und sechs Jahr nach der Promotion immer wieder befristet arbeiten darf. Nach diesen sechs Jahren muss man das Hochschulsystem dann verlassen. Wenn wissenschaftliche Mitarbeiter also sechs Jahre nach ihrer Promotion keine Stelle für eine Professur bekommen, müssen sie sich mit Mitte 40, Ende 40 oder vielleicht sogar mit Anfang 50 eine Karriere außerhalb des Wissenschaftssystems aufbauen.

Wie wirkt sich das Ihrer Meinung nach aus? Kommt es nun zu Abwanderungen?

Die Situation ist so für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht aushaltbar. Sie hangeln sich von einem Job zum nächsten. Aber ab einem bestimmten Alter wird es einfach mit der Lebensplanung sehr schwierig, wenn man nicht weiß, wo man in einem halben Jahr stehen wird. Hinzu kommen zahlreiche Überstunden, weil der eigentliche Umfang der qualifizierten Tätigkeit kaum abgebildet wird in den Arbeitsverträgen. Die Leute klagen über richtige Zukunftsängste, krasse Stresssymptome sowie mangelnde berufliche und persönliche Perspektiven.

Und die Hochschulen leiden natürlich auch darunter, wenn reihenweise qualifizierte Leute gehen, weil sie in der Privatwirtschaft bessere Aussichten sehen. Und dann gibt es auch Abwanderungen ins Ausland, etwa in die Niederlande oder in den englischsprachigen Raum. Umgekehrt tut sich Deutschland schwer, internationale Wissenschaftler anzuwerben. Die meisten bleiben bis zur Promotion, aber eben nicht darüber hinaus.

Was genau ist denn attraktiv in den Niederlanden und im englisch-sprachigen Raum?

Dort wurden schon früh andere Stellenkategorien neben der Professur eingeführt. Da gibt es eben auch feste Verträge für Dozierende, für Assistentinnen und Assistenten, für das Wissenschaftsmanagement, für die Wissenschaftskommunikation.

In Deutschland sind zudem in den letzten 15 Jahren viele Professuren abgebaut worden, obwohl wir so einen riesigen Ansturm auf die Unis hatten. Und jetzt gibt es eine unfassbare Konkurrenz um diese sehr wenigen Professuren. Insgesamt gibt es zu wenige wissenschaftliche Stellen.

Haben Sie noch weitere konkrete Lösungsvorschläge?

Wir schlagen drei Maßnahmen vor. Eine ist die Einrichtung von neuen Stellenkategorien im Wissenschaftssystem, die dauerhaft etabliert werden sollen, also bei Lehre, Wissenschaftskommunikation, Management.

Der zweite Punkt ist, dass wir die Finanzierung auf eine andere Basis stellen möchten. Wir möchten, dass Drittmittel etwas sind, worum sich eine Hochschule quasi on top bemühen kann, sobald der normale Lehrbetrieb finanziell abgesichert ist. Die grundlegenden Aufgaben, nämlich wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden und die Forschung voranzutreiben, müssen durch öffentliche Mittel abgedeckt sein.

Die dritte Maßnahme ist, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu reformieren und es umzubauen zu einem echten Qualifizierungsgesetz, das das Prinzip „dauerhafte Stellen für Dauer-Aufgaben“ umsetzt.

Und wie genau?

Da geht es vor allem um zwei Baustellen. Die eine ist der Begriff der Qualifizierung. Bei der letzten Novelle hieß es, dass jetzt nur noch Qualifizierungsstellen befristet werden dürfen. Das war ein großer Fortschritt, aber das Problem war, dass nicht gesagt wurde, wie genau eine Qualifizierung definiert wird. Wir erleben jetzt, dass Hochschulen damit kreativ umgehen und beispielsweise Aufgaben wie das Schreiben von Drittmittelanträgen als Qualifizierungsstellen ausschreiben. Daher muss der Begriff genauer gefasst werden und sich auf die wissenschaftliche Qualifizierung wie zum Beispiel die Promotion begrenzen.

Die andere Baustelle ist, dass es bisher nur ungenügende Mindestvertragslaufzeiten gab. Wir sagen, dass der Vertrag so lange laufen muss, wie auch das Projekt oder die Qualifizierung dauert.

Die FDP hat vorgeschlagen, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz alle vier Jahre neu zu bewerten. Eine gute Idee?

Es ist nicht falsch, das Gesetz zu evaluieren. Nichtsdestotrotz wissen wir schon heute, wie es um die Hochschulen steht. Wir müssen diese Evaluierung gar nicht abwarten. Eine Studie der Universität Saarland und die Zahlen des Statistischen Bundesamts vom November letzten Jahres besagen, dass es keinen relevanten Rückgang an befristeten Verträgen gibt. Ich halte es für eine Nebelkerze von der Bundesregierung und von der FDP, diese Evaluierung abzuwarten. Ich ärgere mich ein wenig darüber, dass sich beide nicht dazu durchringen können, das Beste im Sinne der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu fordern: nämlich eine Entfristung.

Über Nicole Gohlke

Nicole Gohlke, 44, hat in München Kommunikationswissenschaften studiert. Seit 2009 sitzt sie für Die Linke im Bundestag. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und hochschul- und wissenschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.

Zur Person

mitmischen-Autorin

Dolunay Temur

Dolunay ist 21 Jahre alt und studiert Politikwissenschaft und Europäische Ethnologie in Kiel. Sie ist unheimlich gut darin, ihre Kommilitonen jeden einzelnen Tag zum Eis essen zu animieren und ihnen ihre Lieblingseissorte „Limette-Erdbeere“ aufzuzwingen.

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