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Unions-Abgeordnete „Witaj“ heißt „Willkommen“

Marie Illner

„Ja lubuju serbsku rěč, moju maćeršćinu – Ich liebe die sorbische Sprache, meine Muttersprache“: Die Abgeordnete Maria Michalk (CDU) ist sorbisch- und deutschsprachig aufgewachsen. Marie hat sie gefragt, warum die Minderheitensprache schützenswert ist.

Maria Michalk: Wir definieren uns über unsere Kultur und Sprache. © Chaperon

Frau Michalk, Sie haben im Bundestag eine Rede auf Sorbisch gehalten, als es kürzlich dort um den Schutz von Minderheitensprachen ging. Sorbisch teilt sich in Ober- und Niedersorbisch. Aus welcher Region kommen Sie genau?

Die Lausitz besteht aus der Oberlausitz – den Landkreisen Bautzen und Görlitz – und der Niederlausitz im Raum Cottbus. Rund um Cottbus wird Niedersorbisch gesprochen und rund um Bautzen Obersorbisch. Ich komme aus dem obersorbischen Teil.

Die Sorben sehen sich teilweise Anfeindungen von rechtsextremer Seite ausgesetzt. Fremde sind Sie aber gar nicht, oder?

Nein, im Gegenteil: Die Sorben sind die Ureinwohner von Sachsen und dieser Region. Sie haben das Land besiedelt, sind weitergezogen über Dresden und Leipzig und über das Wendland in Niedersachsen bis nach Hamburg. Das hier in der Lausitz ist ein super Beispiel dafür, dass andere Menschen in eine Region kommen und die Ureinwohner nicht vertreiben, sondern friedlich miteinander siedeln. Wir sind keine politische Organisation: Das sorbische Volk – 60.000 an der Zahl wird geschätzt – ist genauso plural in seinen politischen Anschauungen wie das deutsche Volk. Anfeindungen gab es immer, aber das sorbische Volk hat sich davon nie unterkriegen lassen.

In welchen Situationen sprechen Sie Sorbisch und was zählt zur sorbischen Kultur und Tradition?

Ich habe einen deutschen Mann, deshalb wird in unserer Familie gemischt gesprochen. Ich habe mit meinen Kindern Sorbisch gesprochen, mein Mann Deutsch. Wenn wir alle zusammen sind, sprechen wir Deutsch. Die Zweisprachigkeit ist im täglichen Leben präsent. Neben den sorbischen oder zweisprachigen Kindergärten und Schulen haben wir eine Reihe an Kultureinrichtungen.

Was zum Beispiel?

Dazu zählt ein sorbisches Institut an der Universität in Leipzig, an dem sorbischsprachige Lehrer ausgebildet werden. Wir haben für die rund 2.000 Kinder, die in allen Stufen Sorbisch lernen, sorbische Schulbücher. Diese entwickeln wir selbst. Es gibt ein deutsch-sorbisches Volkstheater, sorbische Museen und ein sorbisches wissenschaftliches Institut, das die Sprache weiterentwickelt. Außerdem gibt es das deutsch-sorbische Nationalensemble, was durch Tanz, Liedgut und Musik unser Kulturerbe pflegt und in die Welt trägt. Die deutsche und die sorbische Kultur bereichern sich gegenseitig.

Ab wann gilt eine Sprache als Minderheitensprache, Jugendsprache führt diesen Titel ja zum Beispiel nicht. Und ab wann ist eine Regionalsprache schützenswert?

In Deutschland gibt es vier autochthone Minderheiten, die mit ihrer Sprache und Kultur hier ansässig sind. Autochthon kommt aus dem Griechischen und heißt alteingesessen. Solche Minderheiten leben im Gebiet eines Staates und sind Bürger des Staates. Sie sind zahlenmäßig kleiner als die Mehrheitsbevölkerung, und unterscheiden sich hinsichtlich sprachlicher oder kultureller Merkmale. Das wird per Gesetz festgelegt. Es hat auch etwas damit zu tun, wie viele Menschen eine Sprache sprechen und wird wissenschaftlich dokumentiert. Man muss als Minderheit auch sagen: Das macht mich aus, dazu stehe ich. Ja lubuju serbsku rěč, moju maćeršćinu – Ich liebe die sorbische Sprache, meine Muttersprache.

Wie haben Sie selbst Sorbisch gelernt?

Meine Eltern haben Sorbisch gesprochen, ich habe als Baby nur Sorbisch gehört und Deutsch über meine Kindergartenfreunde im Dorf gelernt. Ich bin zweisprachig aufgewachsen und in eine sorbische Schule eingeschult worden. Eltern können auch heute entscheiden, ob sie ihr Kind in der Schule muttersprachlich ausbilden lassen, also Erstsprache Sorbisch, oder in einer Klasse, in der gemischt gesprochen wird.

In Cottbus etwa gibt es Straßenschilder auf Deutsch und Sorbisch. Macht das Sinn?

In der gesamten zweisprachigen Lausitz ist die Beschilderung von Straßen, Ortschaften und Hinweisen, besondere touristischen Ereignissen und Tafeln, zweisprachig. Dafür gibt es auch ein Gesetz. Das macht großen Sinn, denn man erkennt sofort: Hier bin ich in einer besonderen Region, es herrscht Zweisprachigkeit. Besucher, die noch nie davon gehört haben, stellen neugierige Fragen.

Die Sprache ist Basis der eigenen Identität und Teil unseres kulturellen Erbes. Was spricht darüber hinaus für Sie noch für den Schutz der Minderheitensprachen?

Wir haben uns als Sorben nie über ein Territorium definiert, ein Land oder einen König gehabt. Das streben wir auch nicht an, wir definieren uns über unsere Kultur und Sprache. Man kann uns nicht etwa mit Polen in Deutschland vergleichen, denn wir sind eine autochthone, also einheimische, Minderheit: Die Sorben gibt es nur hier in Deutschland, nirgendwo sonst auf der Welt. Deshalb ist für uns wichtig, dass wir unsere Kultur und Sprache nicht nur in den Schulen und Familien sprechen und leben können, sondern auch im öffentlichen Raum.

Die Pflege und das gegenseitige Befruchten der Kulturen sind uns sehr wichtig, wir sind Wenige, und daher auf die Zusammenarbeit mit dem deutschen Umfeld angewiesen. Wir sind Bestandteil des deutschen Volkes. Der kürzlich verstorbene, ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl hat einmal gesagt, dass wir eine schöne Blüte in dem Blumenstrauß von Europa sind.

Sorbisch wird vom Sprachenatlas der UNESCO als "definitiv gefährdete" Sprache eingestuft. Was kann man für die Förderung des Sorbischen tun? Was könnte man besser machen als bisher?

Das Erlernen der sorbischen Sprache beginnt in der Familie. Wenn die Eltern nicht die Kraft haben, ihrem Kind das Sorbische beizubringen, dann sind Schulen und Kindergärten das A und O. Dafür haben wir das Konzept "witaj" (deutsch: Willkommen) entwickelt, es funktioniert nach der sogenannten Immersionsmethode: Ein Lehrer spricht nur Deutsch und ein Lehrer spricht nur Sorbisch. Die Kinder lernen die Sprache so am schnellsten.

Es gibt auch Erwachsene, die jetzt erkennen, dass Sprache ein Reichtum ist, oder die Sorbisch lernen möchten, weil ihre Großeltern Sorben waren. Dafür gibt es Weiterbildungsangebote in der Volkshochschule und von privaten Initiativen, das könnte aber noch mehr sein. Was neu ist: digitalisiertes Erlernen der Sprache – auch wenn man außerhalb der Lausitz ist. Ich kann nun auch auf dem Computer oder Handy mit sorbischen Apps kommunizieren. Was wir noch brauchen: zweisprachige Beschilderung an Autobahnen. An den Bundesautobahnen A13 und A4 gibt es das noch nicht.

Über Maria Michalk:

Maria Michalk ist seit 2002 für die CDU im Bundestag. Ihre Bundestagsrede auf Sorbisch könnt ihr euch hier anschauen. Die 1949 geborene Politikerin ist gelernte Industriekauffrau und studierte Betriebsökonomin. Michalk ist Landesvorsitzende des "donum vitae" in Sachsen und Vorsitzende des Rates für sorbische Angelegenheiten im Freistaat Sachsen. Außerdem ist sie Vorsitzende im "Christlich-Sozialen Bildungswerk e.V." und Mitglied im parlamentarischen Beirat der Stiftung für das sorbische Volk.

Marie Illner

Zur Person

mitmischen-Autorin

Marie Illner

studiert Medienwissenschaften und Anglistik

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