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Experte „Klimakrise gefährdet alle Menschenrechte“

Es ist wichtig, dass die Bundesregierung sich mit ihrer eigenen Menschenrechtspolitik beschäftigt, findet Wenzel Michalski von Human Rights Watch. Insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel gibt es einiges zu tun.

Porträt von Wenzel Michalski

Alle Menschenrechte seien gleich wichtig, so Wenzel Michalski von Human Rights Watch. Politische Schwerpunktsetzung findet er deshalb schwierig. © Wenzel Michalski

Alle zwei Jahre veröffentlicht die Bundesregierung einen Bericht über ihre Menschenrechtspolitik. Ist es wichtig, dass es solche Berichte gibt?

Das ist sehr wichtig. Ein solcher Bericht bringt die Regierungen dazu, ihren eigenen Umgang mit dem Thema Menschenrechte zu reflektieren. Wenn es um das Thema Menschenrechte geht, hat jede Regierung Bereiche, in denen sie etwas verbessern kann.

Und es ist auch wichtig, sich mit der eigenen Menschenrechtspolitik zu beschäftigten, damit man internationalen Partnern gegenüber selbstbewusst auftreten kann. Wenn man dort die Einhaltung von Menschenrechten einfordert, braucht man selbst auch eine möglichst weiße Weste.

Die Bundesregierung formuliert in dem Bericht Prioritäten ihrer Menschenrechtspolitik: feministische Außenpolitik, Verankern von Kinderrechten im Grundgesetz, Klimawandel und der Schutz benachteiligter Gruppen. Wie finden Sie diese Schwerpunktsetzung?

Die Schwerpunkte klingen zunächst sehr vernünftig und es liegt nahe, sich diesen Themen anzunehmen. Aber eine Schwerpunktsetzung darf nicht dazu führen, dass andere Themen vernachlässigt werden. Ich finde es schwierig, überhaupt Prioritäten festzulegen, denn die Lage kann sich immer sehr schnell ändern. Da muss man nur an den russischen Angriffskrieg in der Ukraine denken oder an plötzlich auftretende Klimakatastrophen oder Erdbeben. Das Thema Menschenrechte taucht an vielen Stellen auf und die Bundesregierung muss fähig sein, schnell zu reagieren.

Was das Thema Klimawandel angeht, möchte ich hervorheben, dass Human Rights Watch sehr gute Erfahrungen mit der Bundesregierung gemacht hat. Beim Weltklimagipfel in Ägypten 2022 gab es eine interessante Veranstaltung, die vom Auswärtigen Amt und Human Rights Watch organisiert wurde und bei der es um das Zusammenspiel von Menschenrechtsverletzungen und Klimawandel ging. Deutschland ist hier ein Vorreiter, indem die Politik den Zusammenhang von Klimakatastrophen und Menschenrechten anerkennt.

Der Klimawandel spielt auch in dem Bericht eine große Rolle. Inwiefern geraten Menschenrechte durch den Klimawandel in Gefahr?

Die ganze Palette von Menschenrechten ist in Gefahr, wenn es um die Klimakrise geht. Es gibt Länder, die die Aktivitäten von Klimaaktivisten verbieten. Dort werden die Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit eingeschränkt. Das sind Menschenrechtsverletzungen, die als direkte Folgen des Klimawandel beispielsweise in Russland oder China vorkommen.

Wenn wir an Klimakatastrophen wie die Überflutung in Ahrweiler denken, sind Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen in besonderem Maße betroffen, weil sie sich nicht so schnell bewegen können. Im Ahrtal war auch ein Pflegeheim für Menschen mit geistigen Behinderungen betroffen. Viele Bewohner sind gestorben. Zu entsprechenden Schutzmaßnahmen würde es gehören, dass man so eine Einrichtung gar nicht erst in einem Gebiet baut, das ein erhöhtes Risiko für Überflutungen hat.

Außerdem untersuchen wir gerade, wie sich der Klimawandel auf Schwangere auswirkt und welche Maßnahmen es in der Bundesrepublik gibt, um Schwangere vor großen Hitzewellen zu schützen. Wir mussten feststellen, dass zu diesem Thema noch nicht mal Daten existieren. Ich finde es erschreckend, dass ein vermeintlich fortschrittliches Land wie Deutschland an dieser Stelle so rückständig ist und es keine verlässliche Datenerhebung darüber gibt, wie viele Schwangere in den vergangenen Jahren eigentlich unter der Klimakrise gelitten haben. Aus diesen Daten könnte man schließlich ebenfalls Maßnahmen ableiten, die man zum Schutz dieser Gruppe ergreifen müsste.

Alle Menschenrechtsverletzungen, die es gibt, können durch Situationen, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel vorkommen, auftreten.

Ein anderes Thema im Bericht: feministische Außenpolitik. Darunter versteht man Politik, bei der es um Geschlechtergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und anderen benachteiligten Gruppe geht. Wie kann das den Menschenrechten helfen?

Eine feministische Außenpolitik hätte zum Beispiel in Afghanistan möglicherweise einen positiven Einfluss haben können – wenn sie frühzeitig eingesetzt worden wäre. Ich kann mich an die Afghanistan-Konferenz 2011 in Bonn erinnern: Human Rights Watch hat damals gefordert, dass zu den Delegierten, die aus Afghanistan zu der Konferenz eingeladen waren, auch Frauen gehören müssen. Leider waren zu der Konferenz am Ende nur sehr wenig Aktivistinnen eingeladen, die wiederum kaum Redezeit bekamen.

Inzwischen ist die Lage in Afghanistan eskaliert und Frauen gehören zu den Hauptleidtragenden – Mädchen dürfen beispielsweise nicht mehr in die Schule gehen. Gleichzeitig sind die Hauptschuldigen Männer, denn Frauen wurden von allen politischen Prozessen ausgeschlossen. Was in Afghanistan passiert ist, ist ein Beispiel für eine reine rückschrittliche Männerpolitik und zeigt im Umkehrschluss, wie notwendig es ist, eine feministische Außenpolitik zu betreiben.

Auch hier gilt allerdings wieder: Dass feministische Außenpolitik eine Priorität ist, ist gut, aber andere politische Maßnahmen dürfen darunter nicht leiden.

Oft denkt man beim Thema Menschenrechte eher an Länder wie Afghanistan, Iran oder die Ukraine. Der Bericht beschäftigt sich aber auch mit der Situation in Deutschland. Müssen wir uns um das Thema hier keine Sorgen machen?

Um Menschenrechte sollte man sich immer Sorgen machen, aber im Vergleich zu anderen Ländern müssen wir uns in Deutschland viel weniger Sorgen machen. Das heißt aber nicht, dass es hier keine Probleme gibt. Wir beginnen bei Human Rights Watch gerade, die Themen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung in Deutschland, England und Frankreich zu untersuchen.

Außerdem beschäftigen wir uns neuerdings mit der Armutssituation hierzulande. Deutschland ist ein sehr reiches Land, in dem derzeit viele Leute am Essen sparen müssen, obwohl sie eine Arbeit haben oder Sozialhilfe empfangen. Wir möchten überprüfen, inwiefern die Armut hier schon menschenrechtsrelevante Dimensionen erreicht. Da Human Rights Watch noch eine relativ kleine Organisation ist, können wir erst jetzt anfangen, uns diesen Fragen zu widmen. Wir mussten bisher sehr genau schauen, wo wir unsere Kapazitäten einsetzen können, sind in den letzten Jahren aber stark gewachsen. Und nun können wir anfangen, auch die Situation in Deutschland genauer unter die Lupe zu nehmen.

Zur Person

Wenzel Michalski

Wenzel Michalski hat an der Universität Hamburg Geschichte und Politik studiert. Nach dem Studium arbeitete er mehr als 20 Jahre als Journalist, unter anderem bei ProSiebenSat1 und bei der ARD/NDR. Seit 2010 ist er als Deutschland-Direktor bei Human Rights Watch für die Bereiche Kommunikation und Advocacy zuständig.

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