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Afghanistan Flüchtlinge zurückschicken?

Ladina Bissinger

Im vom Terror gezeichneten Afghanistan schieben auch deutsche Soldaten Dienst – seit 17 Jahren. Was hat der Einsatz gebracht? Und: Sollen Flüchtlinge von dort zurückgeschickt werden? Ladina hat recherchiert.

Straßenszene

Seit Jahrzehnten ist Afghanistan vom Krieg gebeutelt. © dpa

Was ist los in Afghanistan?

17 Jahre, mehr als elf Milliarden Euro, 57 gefallene deutsche Soldaten: Das ist die bisherige Bilanz des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan. Wie sicher und kontrollierbar ist die Situation in dem Land in Südasien, das Jahrzehnte des Bürgerkriegs geprägt haben? Im Bundestag gab es dazu gleich mehrere parlamentarische Initiativen. Aber der Reihe nach.

Dazu müssen wir erst kurz in die USA blicken: Am 11. September 2001 verübte die islamistische Terrororganisation Al-Quaida einen verheerenden Anschlag auf das Pentagon in Washington und die Türme des World Trade Centers in New York. Dies erschütterte die Menschen weltweit. Als Reaktion starteten die USA einen Einsatz in Afghanistan, und zwar gegen die radikalislamischen, bewaffneten Taliban, denn diese unterstützten Al-Quaida. Für ihr Vorgehen riefen die USA den sogenannten Nato-Bündnisfall aus. Das heißt, sie baten ihre Partner aus dem Verteidigungsbündnis um Unterstützung, so also auch Deutschland.

Unterschlupf für Terroristen

Zu diesem Zeitpunkt tobte in Afghanistan schon seit mehr als 20 Jahren ein Bürgerkrieg. 1996 hatten die Taliban die Macht in dem Land ergriffen und wollten das Land zum "Gottesstaat" erklären. Musik, Sport, Bilder und Fernseher wurden verboten. Die meisten Schulen und Universitäten wurden geschlossen. Frauen durften nur noch voll verschleiert und in der Begleitung von Männern auf die Straßen. Dem internationalen Terrorismus boten die Taliban einen Unterschlupf. So wurden auch die Anschläge vom 11. September in Afghanistan geplant.

Bedrohter Weltfrieden

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sah die Lage als "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit". Nach dem Sieg von US-Truppen und örtlichen Verbündeten über die Taliban genehmigte der UN-Sicherheitsrat eine Mission, die auch beim Wiederaufbau des Landes helfen sollte: die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, kurz ISAF (Security Assistance Force), die zunächst von einer Gruppe von Staaten, darunter neben Deutschland auch Großbritannien, Kanada, Türkei und anderen unterstützt und geführt wurde. Mehr als 40 Länder beteiligen sich seitdem am Wiederaufbau Afghanistans.

Deutsche im Krisengebiet

Ziel der Mission war es, die Sicherheit im Land aufrecht zu erhalten, sodass afghanische Staatsorgane und internationales Personal dem Wiederaufbau sowie humanitären Aufgaben nachgehen konnten. Für die deutsche Bundeswehr war es bis dahin der größte Einsatz ihrer Geschichte. Die Bundeswehr beteiligte sich mit bis zu 5.350 Soldaten am ISAF-Einsatz. Dieser Einsatz endete im Dezember 2014.

An seine Stelle trat im Januar 2015 die Mission "Resolute Support". Bei der geht es hauptsächlich um die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte. Diese sollen in Zukunft selbst in der Lage sein, für Sicherheit und Stabilität im Land zu sorgen, heißt es auf der Seite der Bundeswehr. Aktuell sind 1.275 deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Ort.

Verschiedene Völker, eine Religion

Afghanistan ist praktisch schon seit Jahrhunderten ein Unruheherd. Die Bewohner des Landes, das an den Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, die Volksrepublik China und Pakistan grenzt, widersetzten sich lange Zeit erfolgreich allen Eroberungsversuchen. Das hat auch mit seiner Geografie zu tun: Afghanistan besteht zu drei Vierteln aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen.

Die Konflikte der jüngeren Zeit sind im Wesentlichen eine ständige Auseinandersetzung zwischen Modernisierungsbefürwortern und -gegnern. Wobei die Landbevölkerung, die rund 80 Prozent der Afghanen ausmacht, sehr konservativ ist und an alten Stammesbräuchen festhält. "Die Afghanen" gibt es eigentlich auch gar nicht, die Bevölkerung setzt sich aus verschiedenen Ethnien zusammen, die eine Vielzahl verschiedener Sprachen sprechen. Gemeinsam haben sie vor allem die Religion: So gut wie alle sind Muslime.

Der Weg ins Chaos

Bereits 1973 begann der Staat zu wanken, als ein Vetter des (relativ fortschrittlichen) Königs diesen mithilfe der Kommunisten stürzte. Doch der neue Machthaber überwarf sich bald mit seinen Verbündeten und nach einigem Hin und Her besetzte die Sowjetunion 1979 das Land. Doch das kam bei der konservativen Bevölkerung gar nicht gut an und führte zu einem langen Bügerkrieg, bei dem die Rebellen von den USA und Pakistan unterstützt wurden. Nach dem Abzug der Sowjets 1989 begannen sich die Rebellen gegenseitig zu bekriegen und Afghanistan versank endgültig im Chaos. Am Ende konnten sich die Taliban durchsetzen und kontrollierten den größten Teil des Landes.

Neuanfang nach dem Sturz der Taliban

Nach dem Sturz der Taliban mit Hilfe der USA begann dann 2001 mit Unterstützung der Staatengemeinschaft der Neuaufbau politischer Institutionen. Seit der Verabschiedung der heute gültigen Verfassung im Jahr 2004 ist Afghanistan eine Islamische Republik mit einem präsidialen Regierungssystem. Demokratische Strukturen konnten sich allerdings bislang nicht vollständig durchsetzen. Nach wie vor sterben bei den fast täglichen Anschlägen und Auseinandersetzungen jedes Jahr um die Zehntausend Männer, Frauen und Kinder.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNCHR) stuft besonders die Situation in Kabul als gefährlich ein. 2017 fielen in der Provinz 1.831 Zivilisten Selbstmordanschlägen oder anderen Gewalttaten zum Opfer, 479 von ihnen starben. Das Land kommt nicht zur Ruhe.

Viele kamen nach Deutschland

Aufgrund der schwierigen Lage in Afghanistan sind in den letzten Jahren viele Menschen von dort nach Europa – viele davon nach Deutschland – geflohen. In der Hochzeit 2015/16 kamen etwa 250.000 Afghanen als Flüchtlinge nach Europa, davon mehr als die Hälfte nach Deutschland. In den letzten Monaten sind die Zahlen stark zurückgegangen. Von Januar bis September 2018 haben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 7.667 afghanische Staatsbürger einen Asylantrag in Deutschland gestellt.

Wie lange noch?

Es stellt sich die Frage, wie lange die Afghanen noch in Deutschland bleiben sollen. Bis Anfang Juni durften wegen der Sicherheitslage im Land nur Straftäter, Gefährder und Menschen, die die Identitätsfeststellung verweigerten, aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben werden. Doch mittlerweile schieben manche Bundesländer auch Afghanen ab, auf die das nicht zutrifft.

"Ausreichend kontrollierbar"

Die Linke forderte kürzlich im Bundestag per Antrag einen "sofortigen Abschiebestopp und Schutz für Geflüchtete aus Afghanistan" und bat die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage um eine Einschätzung der Lage. Die bezeichnete die Sicherheitslage in Afghanistan in ihrem Antwortschreiben zusammenfassend als "ausreichend kontrollierbar".

Konkret erklärt die Bundesregierung, dass die Situation sich regional unterscheide und Schwankungen unterliege. Als ausreichend kontrollierbar gilt die Lage in den meisten größeren Städten, in denen zwei Drittel der Gesamtbevölkerung lebten. Die Forderung der Linken, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) solle die Bundesländer dazu bewegen, die afghanischen Flüchtlinge vorerst in Deutschland zu belassen, lehnte die Regierung ab.

In Afghanistan ist aber nicht nur die Sicherheit ein Problem. Die Versorgungslage wird beispielsweise trotz Fortschritten in den letzten Jahren als "nicht ausreichend" bezeichnet. Schätzungsweise 3,3 Millionen Menschen leiden laut Bundesregierung unter akuter Versorgungsnot.

Was sagen die Fraktionen?

Im Bundestag lehnten CDU/CSU, SPD, AfD und FDP den Antrag der Linken bei der Debatte am 28. November ab, einzig die Grünen stimmten zu. Die ablehnenden Fraktionen sehen den Antrag als falsches Signal und wollen keinen generellen Abschiebestopp. Wenn kein Schutzanspruch bestehe, müssten die Menschen auch in ihre Heimatländer zurückgeführt werden können, heißt es sinngemäß.

Der Schutzanspruch wird in jedem Einzelfall konkret geprüft. Afghanen, die etwa für das deutsche oder das US-Militär gearbeitet haben und dadurch konkret ins Visier der Taliban geraten sind, haben gute Chancen auf Schutz, also auf eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland.

Die komplette Debatte könnt ihr euch hier anschauen.

Innenminister der Länder

Bei der Innnenministerkonferenz Ende November in Magdeburg zeigte sich derweil, dass die Vorstellungen der einzelnen Bundesländer beim Umgang mit Flüchtlingen aus Afghanistan weiterhin weit auseinanderliegen. Auf eine gemeinsame Linie konnten sich die Innenminister nicht einigen.

Ladina Bissinger

Zur Person

mitmischen-Autorin

Ladina Bissinger

studiert Soziologie und Politik

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