Parlamentarische Arbeit
Oppositionsarbeit vs. Koalitionsarbeit
Emma Schmitt
Wenn man von der Arbeit im Deutschen Bundestag spricht, geht es fast immer um die Fraktionen, die eine Koalition bilden, auf der einen und die Opposition auf der anderen Seite. Doch gibt es auch Gemeinsamkeiten zwischen der Koalitions- und der Oppositionsarbeit? Und wo lassen sich die größten Unterschiede feststellen? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat unsere Autorin Emma mit den Bundestagsabgeordneten Sandra Detzer (Bündnis 90/Die Grünen) und Andreas Lenz (CDU/CSU) gesprochen.
 
            
        
    Die Fraktionen von Sandra Detzer (Bündnis 90/Die Grünen) und Andreas Lenz (CDU/CSU) haben nach der letzten Bundestagswahl die Rollen im Parlament gewechselt. © Daniel Nartschick; Darius Kappes
Bei jeder Bundestagswahl werden die Karten neu gemischt: Welche Partei bekommt wie viele Sitze im Parlament? Und welche Mehrheiten sind möglich, um eine stabile Koalition zu bilden? Wer vor der Wahl noch an Regierungsvorhaben mitgearbeitet hat, findet sich nach der Wahl vielleicht in der parlamentarischen Opposition wieder.
Der Rollenwechsel
Nach der Bundestagswahl im Februar 2025 wechselte die CDU/CSU-Fraktion von der Rolle der Opposition in die einer Koalitionsfraktion, während die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus der Ampelkoalition in die Opposition wechselte. Wie verändert sich die eigene parlamentarische Arbeit dadurch? Und wo finden sich Gemeinsamkeiten zwischen Koalitions- und Oppositionsarbeit? mitmischen-Autorin Emma konnte zwei Abgeordnete fragen, die es wissen müssen: Sandra Detzer von Bündnis 90/Die Grünen und Andreas Lenz aus der CDU/CSU-Fraktion.
„Man kann sich das wie in einer Freundschaft vorstellen: Man selbst weiß ganz gut, wer man sein und was man machen will, und trotzdem ist es gut, wenn man eine Freundin hat, die einem sagt, dass man etwas falsch sieht oder wenn man einen Fehler macht.“ Mit diesem Vergleich erklärt Sandra Detzer (Bündnis 90/Die Grünen) im Interview das Verhältnis zwischen Opposition und Koalition. Sie ist wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion und sitzt im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. In diesem Ausschuss hat sie auch in der vergangenen Wahlperiode gearbeitet, als ihre Fraktion Teil der regierungsstützenden Koalition war und Detzer erstmals in den Bundestag eingezogen war.
Andreas Lenz (CDU/CSU) ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestags für den Wahlkreis Erding - Ebersberg. Wie Detzer ist er Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie und wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Während Detzer nun Teil der Opposition ist, gehört Lenz den Koalitionsfraktionen an, so wie auch schon von 2013 bis 2021: „Es liegt in der Natur der Sache, dass die Fraktionen, die die Regierung stellen, diese auch eher verteidigen. Dabei wechseln sie nicht ganz von Angriff auf Verteidigung, aber es tritt die Frage in den Vordergrund, wie man Dinge macht und welche Akzente man setzt, anstatt der Frage, was falsch an dem ist, was die Regierung macht.“
 
            
        
    Andreas Lenz (CDU/CSU) sieht sich als Teil der Koalition in der Verantwortung, die Probleme des Landes zu adressieren und zu lösen. © DBT/Florian Gaertner/photothek
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Die Unterschiede im Selbstverständnis fasst Sandra Detzer mit den beiden Begriffen „Verkäufermodus“ und „Kritikermodus“ zusammen. Wer in der Koalition ist, preist die Ideen und Konzepte der Regierung tendenziell an, wer in der Opposition ist, kritisiert diese. Im Sinne der Gewaltenteilung ist die Koalition aber genauso wie die Opposition Teil der Legislative, die die Aufgabe hat, die Exekutive, also die Regierung, zu kontrollieren. Dafür gibt es beispielsweise auch bestimmte Instrumente, wie etwa bei dem Verdacht von groben Verfehlungen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Dass es nicht allein Aufgabe der Opposition sei, die Regierung zu kontrollieren, betont auch Andreas Lenz. Während es aber in der Opposition darum gehe, den „Finger in die Wunde zu legen“, sei das Selbstverständnis als Abgeordneter der Koalitionsfraktionen ein anderes: „Wenn man dann in der Verantwortung ist, kommt es darauf an zu liefern: die Probleme im Land zu adressieren und zu lösen.“ Zu guter Koalitionsarbeit gehört für Andreas Lenz deshalb auch, möglichst klar zu kommunizieren: „Diskussion gehört dazu, auch innerhalb einer Fraktion oder Koalition. Aber es ist wichtig, dass man Dinge vorher bespricht und dann ab einem gewissen Punkt geschlossen auftritt.“
Das Wichtigste in Kürze
Was bedeutet Koalition?
In einem Mehrparteiensystem sind meist Koalitionen nötig, um stabile Mehrheiten und Regierungen bilden zu können. Eine Koalition ist also ein Zusammenschluss von Parteien. Das Wort Koalition kommt vom lateinischen „coalescere“, was „zusammenwachsen“ bedeutet.
Was bedeutet Opposition?
Das Wort „Opposition“ kommt vom Lateinischen „opponere“, das „sich entgegenstellen“ und „dagegensetzen“ bedeutet. Im Parlament stehen die Oppositionsfraktionen den Koalitionsfraktionen gegenüber, die die Regierung tragen.
Auch für Sandra Detzer bedeutet gute Koalitionsarbeit, eine zielgerichtete Kommunikation zu pflegen und langfristige Lösungen zu finden: „Optimal ist es natürlich, wenn sich die Koalitionspartner vertrauen und wenn man sich immer wieder auf die gemeinsamen Vorhaben konzentrieren kann.“ Eine funktionierende Regierung müsse konkret die Probleme eines Landes lösen, sonst würden Menschen Vertrauen in die Politik verlieren, erklärt Detzer.
Andreas Lenz erläutert, dass eine Koalition durch ihre Mehrheit im Parlament mehr Möglichkeiten hat, um aktiv zu gestalten: „Die Gesetzgebungsarbeit ist natürlich als Fraktion, die die Koalition stellt, intensiver, weil man auch mit dem Ministerium und mit dem Koalitionspartner die Details der Gesetze verhandelt, die dann höchstwahrscheinlich auch eine Mehrheit im Parlament bekommen.“
Sandra Detzer sieht aber auch für ihre jetzige Rolle in der Opposition einen Vorteil: „Ich denke, dass man in der Opposition besser Klartext reden kann.“ Gleichzeitig betont sie: „Man muss aber aufpassen, dass man in einer Zeit, in der die plakativste Botschaft die meiste Aufmerksamkeit bekommt, nicht alles mitmacht, nur um in der öffentlichen Debatte stattzufinden. Und als Teil einer Koalition muss man den Spagat schaffen, gemeinsam Dinge umzusetzen und doch auch das Profil der eigenen Partei zu schärfen.“
 
            
        
    Sandra Detzer (Bündnis 90/Die Grünen) findet, eine gute Opposition legt nicht nur den Finger in die Wunde, sondern macht auch konkrete Vorschläge für Alternativen. © Daniel Nartschick
Gute Oppositionsarbeit bedeute für sie, nicht nur den Finger in die Wunde zu legen, sondern auch inhaltlich sehr gut und fundiert zu arbeiten, um konkrete Vorschläge für Alternativen für das Regierungshandeln zu machen. „Schlechte Opposition ist, wenn man Vorschläge macht, von denen man weiß, dass sie auch nicht funktionieren würden, wenn man selbst in Regierungsverantwortung wäre“, so Detzer.
Auch für Lenz steht bei guter Oppositionsarbeit die Kontrollfunktion im Vordergrund, die man mit konstruktiver Kritik ausübe. „Opposition sollte nicht Selbstzweck sein und nur um der Kritik willen kritisieren, sondern auch wissen, wie man es selbst besser machen will. Die Opposition kann auch wichtige Hinweise für die Regierungsarbeit geben, auch wenn die wenigsten Anträge der Opposition tatsächlich angenommen werden. Aber ich finde, man sollte gerade im demokratischen Diskurs die Fähigkeit haben, das Argument des anderen zu hören“, erklärt er.
Essentiell für die Demokratie
Die Gelegenheit dazu bietet sich den Abgeordneten vor allem in den Ausschüssen, wo Argumente und Positionen ausgetauscht und Konzepte diskutiert werden – und das in einer besonderen Atmosphäre: „Die Ausschüsse bieten einen geschützten Raum. Die Ausschusssitzungen sind ja in der Regel nicht öffentlich und das trägt zu einer gewissen Vertraulichkeit bei. Dann sollte man aus meiner Sicht schon auch die Kraft entwickeln, dass man sich das Argument der Opposition auch anhört“, sagt Andreas Lenz. Und Sandra Detzer findet: „Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass man im Ausschuss zwischenmenschliche Beziehungen zu den Abgeordnetenkollegen aus anderen Fraktionen aufbaut.“
Fraktionsübergreifende Initiativen gibt es laut beiden Abgeordneten eher nur bei großen „Wertefragen“, wie Lenz sie nennt, wie der Organspende oder der Sterbehilfe. Dann werde unabhängig von den parlamentarischen Rollen beraten und abgestimmt.
Resümierend betonen beide die Bedeutung von Koalitions- und Oppositionsfraktionen. Und Detzer sagt, die Auseinandersetzungen zwischen Koalition und Opposition im Parlament würde mit Blick auf die nächste Wahl immer wieder verdeutlichen, dass es politische Alternativen gebe. Und es sei eine große parlamentarische Errungenschaft, dass ein Rollenwechsel zwischen Koalition und Opposition in der Bundesrepublik immer friedlich stattgefunden habe.
Beides, eine funktionierende Koalition und eine funktionierende Opposition, ist für die parlamentarische Demokratie in Deutschland essentiell. „In einer Demokratie braucht es stabile Mehrheiten, um zu entscheiden. Und stabile Mehrheiten durch eine stabile Koalition sind für eine stabile Regierung notwendig. Aber es gibt meistens nicht nur die eine Sicht, sondern auch immer noch eine andere Sichtweise. Deswegen ist die Opposition so wertvoll“, fasst Andreas Lenz zusammen. „Beide Funktionen sind für ein funktionsfähiges Parlament unabdingbar.“
Emma Schmitt
hat im Frühjahr 2025 ihr Abitur gemacht und fängt jetzt an, Politikwissenschaft zu studieren. Sie interessiert sich schon lange für Politik und freut sich, durch ihre Arbeit bei mitmischen direkt an der Demokratie mitzuwirken. Außerdem liebt sie es, zu lesen und Texte zu schreiben.
 
                 
             
            
        
     
            
        
     
            
        
    