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Bürgerkonferenz In welchem Europa wollen wir leben?

Eric Matt

Zum ersten Mal ruft die Europäische Union ihre Bürger dazu auf, eigene Ideen zur Zukunft Europas zu teilen. Der Prozess nennt sich Konferenz zur Zukunft Europas. Wie das Ganze abläuft und was die Abgeordneten davon halten, lest ihr hier.

Jugendliche mit Europa-Fahnen

Eigene Ideen für die Zukunft Europas einbringen – darum geht es in der Konferenz, über die die Fraktionen im Bundestag diskutierten. © picture alliance/NurPhoto/Beata Zawrzel

Wie kann die Europäische Union (EU) Armut bekämpfen? Wie kann sie klimaneutral werden? Wie sorgt die Staatengemeinschaft für gerechte Bildungschancen? Und wie kommt die Digitalisierung in der EU so richtig in Schwung?

Antworten auf diese und ähnliche Fragen können Bürgerinnen und Bürger nun selbst geben. Wie das möglich ist? Durch die Konferenz zur Zukunft Europas. Um dieses Format ging es gestern im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Die einen riefen dabei zu mehr Geschlossenheit in der EU auf, die anderen lehnten diese vollständig ab.

Was ist das für eine Konferenz?

Der Name Konferenz trügt, da denkt man doch eher an eine Besprechung oder eine Zusammenkunft irgendwo vor Ort für einige Stunden oder einige wenige Tage. Die Konferenz zur Zukunft Europas ist eher ein Prozess, der schon seit vergangenem Jahr läuft. Es ist ein Projekt der Europäischen Union und deren 27 Mitgliedstaaten. Ziel dabei ist, die Bürgerinnen und Bürger in die europäische Politik einzubinden. Egal ob Klima, Gesundheit, Bildung, Wirtschaft oder Verteidigung: Über eine digitale Plattform können sich alle Menschen aus der EU aktiv einbringen und ihre Ideen teilen. Außerdem besteht die Konferenz aus zwei weiteren Aspekten: den europäischen Bürgerforen und der Plenarversammlung. In den Foren können zufällig ausgeloste Bürger ihre Ideen diskutieren. Das Plenum hingegen setzt sich sowohl aus Bürgern als auch aus Abgeordneten und Regierungsmitgliedern zusammen. Ganz zum Schluss sollen aus all diesen Formaten bis zum Frühjahr 2022 Leitlinien für die Zukunft Europas erarbeitet werden.

Europastaatsministerin: „Booster für die europäische Demokratie“

„Für die Demokratie ist die Pandemie eine enorme Herausforderung. Umso bemerkenswerter ist es, dass Europa das größte Experiment aller Zeiten zur besseren Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gestartet hat“, kommentierte Anna Lührmann von den Grünen. Sie ist Staatsministerin im Auswärtigen Amt und dort vor allem für die Europäische Union zuständig. Die Konferenz sei ein „Booster“ für die europäische Demokratie. „Das ist ein Grund, stolz zu sein und Vertrauen in die Demokratie zu haben“, so Lührmann. Zum ersten Mal habe die EU seine Bürger dazu aufgerufen, ihre eigenen Ideen zur Zukunft Europas zu teilen. Das Auswärtige Amt habe hierfür ein nationales Bürgerforum mit über 100 Losgewinnern gegründet. Dabei sei Lührmann vom Enthusiasmus begeistert. „Die Ideen sprudelten nur so.“ Sie erklärte: „Ein starkes Europa ist ein Europa, das die Empfehlungen seiner Bürger wirklich ernst nimmt.“ Daher werde sich die Regierung mit den Vorschlägen gewissenhaft auseinandersetzen.

CDU/CSU: „Mächtig Luft nach oben“

Gunther Krichbaum von der Unionsfraktion kommentierte, die Konferenz sei schon jetzt ein Erfolg, da es dadurch einen „positiven Schub quer durch Europa“ gebe. Jedoch müsse man „bei Lichte besehen auch sagen: Es ist noch mächtig Luft nach oben“. So hoffe er beispielsweise, dass die Bundesländer das Thema Europa in den Schulen noch stärker berücksichtigten. Krichbaum erklärte, dass „wir uns mit den Vorschlägen, die die Bürger machen, auseinandersetzen“ müssen.

Ein Wunsch sei, dass die Europäische Union mehr „strategische Autonomie“ entwickle. Das bedeutet, dass die EU beispielsweise in der Außen- und Verteidigungspolitik unabhängiger von anderen Staaten wird. Ein solcher Vorschlag müsse in Deutschland und Europa die Frage aufwerfen, „ob wir noch weltpolitikfähig sind“. So habe China beispielsweise eine Strategie für Europa, Europa jedoch keine für China. Das gleiche Problem bestehe beim Thema Finanzen, Russland, der Ukraine-Krise oder einer europäischen Armee.

SPD: „Rechte des EU-Parlamentes stärken“

„Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir sagen können: Ja, wir befinden uns auf der Höhe der Zeit“, erklärte der SPD-Abgeordnete Axel Schäfer. So gebe es eine große Mehrheit der Bürger, die sich für stärkere europäische Zusammenarbeit ausspreche. Jedoch gebe es auch „leider eine wachsende Minderheit für Nationalismus und Ausgrenzung“. Nationalismus aber sei „ein Irrtum, der auf einen Irrweg führt und in einem Irrsinn, nämlich Krieg, endet“.

Die Zukunftskonferenz ermögliche nun zum ersten Mal, dass nicht nur Regierungen und Parlamente entschieden, sondern auch „engagierte Bürgerinnen und Bürger diskutieren und Vorschläge machen“ könnten. Eine zentrale Forderung sei dabei, dass „wir die Rechte des europäischen Parlamentes stärken und ihre demokratischen Möglichkeiten ausbauen“. Schäfer stimmte seinem Vorredner zu, dass auch die Bundesländer und Kommunen einen entscheidenden Beitrag leisten müssten.

AfD: EU hat keine Zukunft

Norbert Kleinwächter von der AfD-Fraktion merkte an, dass der Bundestag zuerst die Vergangenheit thematisieren sollte, bevor er über die Zukunft rede. „Brüssel hat die größte Dichte von Lobbyisten weltweit. Die EU ist die Institution, in der Gelder in Milliardenhöhe für Lobbyinteressen verschoben werden“, kritisierte Kleinwächter. Außerdem ermögliche die EU keine Freiheiten, sondern denke sich nur neue Zwänge aus. Dazu gehöre auch das Corona-Impfzertifikat, das von der Europäischen Kommission stammt. „Nur noch als QR-Code-Inhaber ist man ein vollwertiger Mensch“, so Kleinwächter. Die aktuellen EU-Institutionen machten die Bürger außerdem arm. Es gebe viele Menschen, die nicht mehr wüssten, wie sie ihre Miete und ihr gesamtes Leben finanzieren solle. Kleinwächter erklärte: „Europas Zukunft wird nur dann blühend sein, wenn die Europäische Union keine Zukunft hat.“

FDP: „Das ist gelebte Demokratie“

Der FDP-Abgeordnete Thomas Hacker erklärte, dass die Herausforderung der Politik sei, „eine neue Welt zu schaffen“. Europa könne sich den Aufgaben der Gegenwart nicht mehr entziehen. Dazu gehöre beispielsweise die Corona-Pandemie mit ihren vielseitigen Folgen, aber ebenso der Klimawandel oder Angriffe von anderen Staaten auf die demokratischen Werte der EU. „Die Antworten werden wir nur gemeinsam im Dialog finden“, so Hacker.

Die Konferenz zur Zukunft Europas sei hierfür eine „historische Chance“, da sie Begegnung und Austausch ermögliche. Die Konferenz schaffe „eine neue europäische Öffentlichkeit, die grenzüberschreitend denkt, lebt, arbeitet und liebt“. Auch wenn es Startschwierigkeiten gegeben habe, zeigten die Zahlen, dass es sich um ein erfolgreiches Projekt handle: 5.000 Veranstaltungen, 350.000 Teilnehmer und 13.000 digitale Ideen. „Das ist gelebte Demokratie“, kommentierte Häcker.

Linke fordert „friedliches Europa“

„Europa ist größer als nur die Europäische Union, die 27 Mitgliedstaaten hat“, kommentierte der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko. So gehörten beispielsweise auch Großbritannien, die Schweiz oder die Ukraine und Russland zu Europa. Er sei „zutiefst davon überzeugt, dass Europa nur eine Zukunft hat, wenn es ein friedliches Europa ist“. Dies zeige auch die aktuelle Krise an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine. Daher müsse man über ein „gesamteuropäisches Projekt reden, was auch Sicherheitsfragen beinhaltet“.

Neben der EU gebe es weitere wichtige Organisationen, die jedoch zu wenig Geld zur Verfügung hätten. Der Europarat beispielsweise habe ein Jahresbudget, was dem der EU für einen Tag entspreche. Zur Erklärung: Der Europarat ist eine internationale Organisation, die sich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzt. Er hat 47 Mitgliedstaaten. Hunko erklärte: „Ich denke, das sind falsche Proportionen, die wir korrigieren sollten.“

Grüne: „Handlungsfähige Europäische Union“

„Entscheidend ist, dass möglichst viel umgesetzt wird, was sich die Bürgerinnen und Bürger vorstellen. Wir brauchen eine handlungsfähige Europäische Union“, forderte Anton Hofreiter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. In einer globalisierten Welt, in der die EU von autoritären Staaten angegriffen werde, könne Europa nur stark sein, wenn es zusammenhalte „und die Länder solidarischer sind“, so Hofreiter. Um dies zu erreichen, hätten die Bürgerinnen und Bürger hervorragende Vorschläge eingebracht. Die Bundesregierung müsse nun dafür sorgen, dass „möglichst viel davon auch Realität wird“. Dies sei insbesondere im Kampf gegen den Klimawandel wichtig. „Die Klimakrise bekommen wir nur in den Griff, wenn wir europäisch und international handeln.“ Daher brauche es beispielsweise internationale Regeln, durch die Unternehmen, die ihren CO2-Ausstoß verringern wollten, auch profitierten.

Die komplette Bundestagsdebatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.

Zur Person

Portraitfoto von mitmischen-Autor Eric Matt
mitmischen-Autor

Eric Matt

... ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zurzeit macht er ein Auslandssemester in Israel.

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