Zum Inhalt springen

EU-Ausschuss „Irland ist innerhalb der EU wichtiger geworden“

Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) war mit dem EU-Ausschuss in Dublin. Hier spricht er über den „Nordirland-Deal“, die erfolgreichen irischen Bürgerräte, eine mögliche Energie-Partnerschaft, den Friedensprozess in Nordirland und die Offenheit der Iren gegenüber Geflüchteten.

Portrait des Abgeordneten Anton Hofreiter

Irland habe „ein gigantisches Potenzial“ an erneuerbaren Energien, sagt Anton Hofreiter. © Paul Bohnert

Vor drei Jahren ist das Vereinigte Königreich aus der EU ausgetreten. Wie hat sich die Rolle Irlands in der EU durch den Brexit verändert?

Ich glaube, Irland ist dadurch innerhalb der EU deutlich wichtiger geworden, auch deutlich präsenter. Den Iren ist sehr bewusst geworden, wie wichtig die EU für sie ist. Sie hatten die volle Solidarität der übrigen 26 Mitgliedstaaten. Für Irland war es sicherlich auch eine neue Erfahrung, auf Augenhöhe mit dem Vereinigten Königreich zu sein oder sogar in einer besseren Position, nach der teils leidvollen Geschichte, die Irland mit dem Vereinigten Königreich hat.

Zum Hintergrund

Zwischen Großbritannien und Irland gibt es seit Jahrhunderten immer wieder Streit. 1801 eroberte Großbritannien Irland. Nach einem Unabhängigkeitskrieg wurde Irland dann 1921 geteilt: Die Republik Irland ist seitdem unabhängig, Nordirland aber gehört zum Vereinigten Königreich. Innerhalb Nordirlands gibt es Strömungen, die das so belassen wollen, und andere, die lieber zu Irland gehören würden. Nach dem Brexit war der Umgang mit Nordirland ein großer Streitpunkt zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Denn für das Vereinigte Königreich gelten seit dem Austritt andere Regeln für den Handel. Das bedeutet strengere Kontrollen, auch an der Grenze zwischen Irland und Nordirland. Man wollte aber eine erneute Eskalation des Nordirland-Konflikts verhindern. Ende Februar haben sich das Vereinigte Königreich und die EU nun auf einen Kompromiss geeinigt, der den Handel zwischen Großbritannien und Nordirland erleichtern und die Situation so entspannen soll.

Aktuell ist das Thema ja in den Medien sehr präsent wegen des neuen „Nordirland-Deals“, auf den sich die EU und das Vereinigte Königreich geeinigt haben. Was ändert sich dadurch für Irland, aber auch für die EU insgesamt?

Es ändert sich hoffentlich, dass die Beziehungen zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich und auch zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wieder besser werden. Der Streit um diese Frage hat diese Beziehungen lange vergiftet.

Und die neuen Regelungen erleichtern hoffentlich Großbritannien die Zusammenarbeit mit Nordirland. Somit können bestenfalls auch innerhalb des Vereinigten Königreichs Probleme gelöst werden. Das ist sowohl für die Wirtschaft und den freien Warenverkehr wichtig als auch für den Friedensprozess in Nordirland.

Wie blicken Sie auf diesen Friedensprozess?

Ich bin da schon hoffnungsvoll. Irland, Großbritannien und die Parteien in Nordirland haben ja 1998 das sogenannte „Good Friday“-Abkommen unterzeichnet, das die dramatische Gewalt in Nordirland, die wirklich viele Menschen das Leben gekostet hat, beendet und die Suche nach einem politischen Konsens eingeleitet hat. Aber die Lage ist nach wie vor relativ fragil, es gibt immer wieder aufflammende Unruhen.

Von deutscher Seite ist es wichtig, immer wieder deutlich zu machen, dass wir für alle Seiten Verständnis haben und dass uns sehr viel daran gelegen ist, dass das „Good Friday“-Abkommen eingehalten wird.

Sie haben sich auf Ihrer Reise mit vier Ministern und mit vielen verschiedenen Institutionen getroffen. Welche Begegnung hat Sie am meisten beeindruckt?

Am beeindruckendsten war für mich die Begegnung mit den Verantwortlichen für die Bürgerräte. In Irland werden von Regierung und Parlament regelmäßig zu schwierigen Themen Bürgerräte einberufen. Und in der Regel werden die Ergebnisse dann auch weitgehend umgesetzt. Wie erfolgreich und mit welcher Energie und welchem Interesse auch von Seiten der Regierung dieses Modell umgesetzt wird, hat mich sehr beeindruckt.

In Deutschland tastet man sich erst vorsichtig an dieses Modell heran. Was können wir in Sachen Bürgerräte von Irland lernen?

Ich glaube, das Wichtigste, was man da lernen kann, ist, dass man die Ergebnisse, die die Bürgerräte erarbeiten, auch wirklich ernst nimmt. Und nicht sagt: Passt uns nicht, schieben wir lieber zur Seite. Das ist sonst eher kontraproduktiv.

Ein Schwerpunkt Ihrer Reise war das Thema Klima und Energie. Irland hat ein großes Potenzial an erneuerbaren Energien. Kann Deutschland davon profitieren?

Was man sich in Deutschland wirklich bewusst machen muss, ist, dass man nicht unbedingt nach Katar oder Chile reisen muss, um Lösungen für unsere zukünftige Energieversorgung zu finden. Irland hat bei jetziger Technik allein an Windkraft an seiner Westküste ein Potenzial von 70 Gigawatt. Das ist das 10- bis 15-Fache des Eigenverbrauchs. Und da ist unter Umständen noch deutlich mehr drin. Bei den erneuerbaren Energien gibt es ein gigantisches Potenzial in Europa, in nahen und demokratischen Staaten. Man sollte sich also dringend in der europäischen Nachbarschaft nach Partnern umsehen.

Gibt es schon konkrete Pläne für eine Zusammenarbeit mit Irland in dem Bereich?

Es gibt Ideen, aber die Pläne sollten schnell konkretisiert werden.

Irland ist in der EU, nicht aber in der Nato, weil das Land militärisch neutral bleiben will. Hat der Krieg in der Ukraine da ein Umdenken angestoßen? Wie waren Ihre Eindrücke im Gespräch mit dem Außen- und Verteidigungsminister?

Man hat schon den Eindruck, dass der Krieg in der Ukraine auch in Irland viel verändert hat. Aber im Gegensatz etwa zu Finnland und Schweden ist Irland ja weit weg vom Geschehen. Deshalb wird sich in dem Bereich meiner Einschätzung nach eher wenig ändern. Was mich in dem Zusammenhang beeindruckt hat: Wie aufgeschlossen Irland gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine ist. Fast jeder Gesprächspartner hat betont, dass es in seiner Familie auch Fluchtgeschichten gibt. Deshalb ist die Offenheit sehr groß. Irland hat mehr als 70.000 Menschen aus der Ukraine aufgenommen, was für ein Land dieser Größe sehr viel ist.

Zur Person

Anton Hofreiter

Anton Hofreiter, 1970 in München geboren, hat Biologie studiert. Seit 2005 sitzt er für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Aktuell ist er Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union.

Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.

Mehr zum Thema