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Jugendhilfe Unterstützung für Jugendliche in Heimen und Pflegefamilien

Um Jugendliche, die nicht in ihren Familien aufwachsen können, ging es kürzlich im Bundestag. Wenn sie schon Geld verdienen, etwa in der Ausbildung, müssen sie derzeit einen Teil davon für ihre Unterbringung abgeben. Das will die Bundesregierung ändern.

Jugendliche sitzt auf einem Sofa und schaut ernst aus dem Fenster

250.000 Jugendliche in Deutschland leben derzeit in Pflegefamilien oder Einrichtungen. © shutterstock.com/fizkes

Wer minderjährig ist und aus irgendeinem Grund nicht bei seinen Eltern leben kann, der wird anderweitig untergebracht: bei einer Pflegefamilie, in einem Heim, in einer betreuten Wohngemeinschaft oder einer ähnlichen Wohnform.

Manche dieser Jugendlichen sind schon in der Ausbildung oder verdienen in einem Nebenjob Geld. Die aktuelle Gesetzeslage sieht vor, dass sie bis zu 25 Prozent ihres Einkommens abgeben müssen, um die Jugendhilfe-Kosten mitzutragen. Bis zu einer Reform im letzten Jahr waren es sogar bis zu 75 Prozent. „Kostenheranziehung“ nennt man das.

Die Bundesregierung will die Kostenheranziehung nun ganz abschaffen. Dafür hat sie einen Gesetzentwurf vorgelegt, den die Abgeordneten am 28. September in erster Lesung debattierten.

Was soll sich ändern?

Weder die jungen Leute selbst noch ihre eventuellen Ehepartner sollen in Zukunft belastet werden. Sie sollen vollständig über ihr Einkommen verfügen können.

Im Gesetzentwurf heißt es zur Begründung: „Wachsen junge Menschen außerhalb ihrer Herkunftsfamilie auf, haben sie bereits mit zusätzlichen Herausforderungen umzugehen und dadurch einen schwierigeren Start in ein eigenständiges Leben. Dieser Start wird nochmal erschwert, wenn sie einen Teil ihres Einkommens, das sie zum Beispiel im Rahmen eines Schüler- oder Ferienjobs oder ihrer Ausbildung verdienen, abgeben müssen.“

Familienministerin: „Es geht um Chancengerechtigkeit“

Als Erste sprach Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) im Plenum. 250.000 junge Menschen seien derzeit in Pflegefamilien oder Einrichtungen untergebracht, sagte sie. Der Staat habe „eine besondere Verantwortung“ für diese Jugendlichen. Es sei seine Aufgabe, sie zu motivieren, Verantwortung zu übernehmen, und ihnen den „Start in ein selbstständiges Leben zu erleichtern“.

„Es geht um nichts weniger als um Chancengerechtigkeit“, erklärte Paus: Chancengerechtigkeit gegenüber Gleichaltrigen, die sich auf familiäre Unterstützung verlassen könnten.

Union bezweifelt, dass Abschaffung „der richtige Weg“ ist

Paul Lehrieder (CDU/CSU) sagte: „Wir wissen, dass junge Menschen, die außerhalb ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert sind.“ Dennoch sei es nicht in Ordnung, dass mitunter der Eindruck erweckt werde, „dass die Kinder und Jugendlichen um einen Großteil ihres Geldes gebracht werden, weil ihnen der Staat finanziell einiges abverlangt.“ Immerhin würden Einkommen aus Praktika, Schülerjobs oder ehrenamtlichen Tätigkeiten bis 150 Euro im Monat nicht herangezogen. Ob eine vollständige Abschaffung der Kostenbeteiligung „auch aus pädagogischen Gesichtspunkten der richtige Weg ist“, sei zu prüfen.

SPD: „Weder pädagogisch sinnvoll noch gerecht“

Dem widersprach Ulrike Bahr (SPD): Die Kostenheranziehung sei „weder pädagogisch sinnvoll noch gerecht“. Verbände der Erziehungshilfe, Heimräte und Pflegeeltern plädierten schon lange für eine Abschaffung.

Für sie sei vor allem „die Frage der sozialen Gerechtigkeit wichtig“, so Bahr: „Junge Menschen, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder in Pflegefamilien aufwachsen, sind auch materiell meistens nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Ein Verzicht auf die Kostenheranziehung kann hier für ein wenig Ausgleich sorgen.“

AfD: „Augenmerk auf die Schwächsten unserer Gesellschaft“

Nicole Höchst (AfD) begrüßte den Vorstoß der Regierung: „Es ist wichtig, das Signal zu senden, dass sich Leistung lohnt.“ In Deutschland gebe es „keine Zukunftsplanung mehr“, sagte Höchst und erklärte: „Auch Jugendliche mit den besten Startchancen können nicht mehr sicher davon ausgehen, dass sie, wenn sie Geld sparen, auch Zinsen bekommen, dass sie, wenn sie sich anstrengen und eine Ausbildung machen, hinterher auch in Arbeit und Broterwerb kommen.“ Höchst schloss: „Umso mehr müssen wir ein Augenmerk auf die Schwächsten unserer Gesellschaft haben, die durch ihr Elternhaus einen schwierigen Start ins Leben hatten.“

FDP: „Schreiende Ungerechtigkeit“

Martin Gassner-Herz (FDP) sagte: „Wer in einer Jugendhilfeeinrichtung lebt und alles richtig macht, Stolpersteine überwindet, fleißig lernt, sich den Schulabschluss erkämpft und dann einen Ferienjob annimmt oder eine Ausbildung beginnt, der bekommt Post vom Jugendamt: Vom selbst erarbeiteten Verdienst soll die Unterbringung im Heim mitbezahlt werden.“ Für Gassner-Herz „ein Schlag in die Magengrube, eine schreiende Ungerechtigkeit“. Deshalb müsse die Kostenheranziehung abgeschafft werden.

Zudem sei das aktuelle Vorgehen bürokratisch viel zu aufwendig. Das stehe „in keinem Verhältnis zu dem sehr zweifelhaften Nutzen“.

Linke: „Jugendhilfe nicht vernünftig ausfinanziert“

Heidi Reichinnek (Die Linke) nannte das Anliegen des Gesetzentwurfs „absolut richtig“. „Die Kostenheranziehung gibt den Jugendlichen das Gefühl, sie seien selbst schuld an ihrer Situation und müssten deswegen eben auch zahlen. Das kann wirklich nicht in unserem Sinn sein“, so Reichinnek, die früher in der Jugendhilfe gearbeitet hat.

Allerdings sehe sie beim Entwurf der Regierung noch Verbesserungsbedarf. So kritisierte sie, dass die Kosten den Kommunen „aufgebürdet“ würden. „Seien wir einmal ehrlich: Die Kommunen sind chronisch unterfinanziert, und wir wissen, dass die Kommunen in der Praxis Druck auf die Jugendämter ausüben, möglichst wenige oder nur geringe Hilfen zu bewilligen.“ Das mache sie weder den Kommunen noch den Jugendämtern zum Vorwurf, „sondern nur den Politikern, die die Jugendhilfe nicht vernünftig ausfinanzieren“.

Hier seht ihr die Debatte im Video:

(jk)

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