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Stefan Seidler (SSW) Minderheitenschutz ist keine Extrawurst

Vianne Uhl

Kann man alleine im Bundestag etwas erreichen? Stefan Seidler ist 2021 als einziger Abgeordneter für den Südschleswigschen Wählerverband in den Bundestag eingezogen. Im Interview hat er mitmischen-Autorin Vianne von seiner Arbeit als fraktionsloser Abgeordneter erzählt.

zwei Personen sitzen an einem dunklen Tisch, im Hintergrund der Blick aus dem Fenster. Link eines junge Frau mit Brille und langen Haaren, rechts ein Mann in grauem Sakko, schwarzem Pullover und Hemd, kurzen Haaren und einer randlosen Brille.

mitmischen-Autorin Vianne hat den Bundestagsabgeordneten Stefan Seidler (SSW) zum Interview in der Dänischen Zentralbibliothek in Flensburg getroffen. © Vianne Uhl

Herr Seidler, 2021 sind Sie als einziger Abgeordneter für den Südschleswigschen Wählerverband in den Bundestag eingezogen. Wir haben damals mit Ihnen gesprochen. Wie geht es Ihnen jetzt, zweieinhalb Jahre später?

Es fühlt sich teilweise immer noch an wie ein Traum. Für die Partei ist das riesig, für die Minderheiten im Norden von Schleswig-Holstein ist das ganz, ganz wichtig und für mich persönlich ist das auch nach wie vor etwas sehr Besonderes. Ich erlebe auch immer noch in der Partei, dass viele froh sind, dass wir diesen Schritt gewagt haben. Der Schritt in den Bundestag war nicht selbstverständlich, weil wir uns als Regionalpartei verstehen und immer gesagt haben: Nein, unsere Wirkungsstätte ist Schleswig-Holstein. Wir haben aber auch gemerkt, dass viele Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg getroffen werden und deshalb wollten wir ganz klar nach Berlin. Dadurch haben wir eine ganz andere Plattform bekommen und werden nun wahrgenommen. Wir können die Minderheitenthemen, die uns am Herzen liegen, aber auch unsere Heimat, den nördlichsten Teil Deutschlands, auf die Agenda setzen.

Als fraktionsloses Mitglied und einziger Abgeordneter ihrer Partei im Bundestag gestaltet sich Ihre Arbeit dabei sicher anders als bei dem Großteil Ihrer Kolleginnen und Kollegen, oder?

Wir haben uns anfangs Sorgen gemacht: Wenn unser Mandat fraktionslos ist, können wir wirklich was bewegen? Deshalb musste ich sehr strategisch zu Werke gehen. Zum einen sage ich, wir können nicht alle Themen besetzen. Die Kapazitäten haben wir nicht. Das heißt, wir müssen uns auf die Themenfelder konzentrieren, die uns politisch wichtig sind. Wir können selbst teilweise keine Anträge stellen, das bedeutet, dass wir uns andocken müssen, wenn etwas kommt.

Und würden Sie als Teil einer Fraktion nicht noch einen größeren Unterschied machen?

Ich habe von einigen Fraktionen das Angebot bekommen, Teil von ihnen zu werden und bei allen habe ich gesagt: Das mache ich nicht. Der SSW ist eine unabhängige und eigenständige Partei. Der Vorteil dabei ist, und da beneiden mich einige Kolleginnen und Kollegen vielleicht, dass ich zu allen Themen reden kann, die für uns wichtig sind. Mag sein, dass die Redezeit dann für mich auf nur zwei oder drei Minuten begrenzt ist, aber dann muss ich eben schneller auf den Punkt kommen. Uns aus dem Norden wird nachgesagt, dass wir mit Worten sparsam umgehen und in der Tat ist es für mich als Nordlicht kein großes Problem, mich kurz zu fassen. Ich arbeite mit fast allen zusammen: von Linken über Grüne, die SPD, auch mit der Union und mit der FDP. Sie suchen auch die Zusammenarbeit mit mir insbesondere, wenn es um nordische Themen, den Blick nach Skandinavien oder Minderheitenthemen geht.

Welche positiven Veränderungen möchten Sie denn weiterhin im Bundestag vorantreiben?

Das große Ziel, das wir als Minderheitenpartei verfolgen, ist es, die Minderheitenrechte ins Grundgesetz zu bekommen. Das wird nicht von heute auf morgen passieren. Ein aktueller Themenbereich ist die Infrastruktur, insbesondere der Bahnverkehr. Wir haben gerade dem letzten ICE-Zug nach Dänemark Lebewohl gewunken. Jetzt fahren in meinem Wahlkreis Schleswig-Flensburg nur noch Regionalzüge. Die Bahnberichte sagen, dass wir im deutschlandweiten Vergleich das marodeste Schienennetz haben. Deshalb setze ich mich insbesondere für diesen Bereich ein, um Verbesserungen zu bewirken, aber auch um in Berlin und hier zu Hause zu sagen: Hört mal zu, wir werden vernachlässigt und das kann nicht sein.

Warum ist aus Ihrer Sicht der Schutz von Minderheiten zentral für unsere Demokratie?

Wir messen den Gesundheitszustand einer Demokratie immer daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht. Deshalb ist es in Zeiten, in denen die Demokratie infrage gestellt oder sogar gefährdet wird, wichtig zu zeigen, dass wir unsere Minderheiten schützen und dort, wo sie es brauchen, ihnen auch einen Nachteilsausgleich zugestehen. Es ist auch sehr wichtig einzufordern, dass Minderheiten vielleicht hier und da einen Zuschuss bekommen oder eine extra Anlaufstelle haben – das ist keine Extrawurst, denn als Minderheit werden wir nie den gleichen Status bekommen wie die Mehrheitsgesellschaft. Die Befreiung von der Fünf-Prozent-Hürde für die dänische und andere nationale Minderheiten in unserem Land ist beispielsweise so ein Nachteilsausgleich. Das muss ich dann auch meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag erzählen. Der SSW wird nie eine Fraktion im Bundestag werden, das ist rechnerisch überhaupt nicht möglich, und deshalb brauchen wir hier und da eine extra Hilfe, um auf das gleiche Niveau zu kommen.

Für unsere mitmischen-Leser und -Leserinnen ist es natürlich besonders interessant zu hören, welche Rolle die Jugend in der Minderheitenpolitik spielt?

Ohne junge Menschen wird es in Zukunft auch keine Minderheit mehr geben. Sie sind diejenigen, die unsere Kultur und unsere Werte weitertragen werden – was bei Minderheiten immer eine schwierige Sache ist, denn gerade, weil man so auf Kultur und Werte bedacht ist, kann es sein, dass dies auf junge Menschen oft ein bisschen altbacken wirkt. Das heißt, dass man die Kultur modern und im heutigen Kontext darstellen sollte. Die größte Herausforderung für unsere Minderheiten in den Landesteilen im Norden, für Dänen und Friesen, aber auch für die Sinti und Roma und ganz bestimmt auch bei den Sorben, ist, dass wir in einer Randlage leben. Damit ist das Angebot für junge Menschen in Bezug auf Jobs oder Ausbildung nicht immer optimal. Da haben wir als Minderheit ein ganz großes Problem, junge Menschen bei uns zu halten, weil sie an dänische Schulen oder Universitäten gehen und dann dort bleiben.

Lassen Sie uns in die Zukunft schauen: Wie wird sich die Minderheitenpolitik in Deutschland entwickeln und welche Veränderungen würden Sie gerne in diesem Bereich vorantreiben?

Ich kann ein freudiges Bild malen. Der SSW sitzt im Bundestag, und wir machen uns dafür stark, dass Minderheiten anerkannt werden, dass jeder versteht, dass Minderheiten auch zu unserer Gesellschaft gehören. Aber ich kann auch ein düsteres Bild malen und wenn ich mir die Umfragewerte rechts außen angucke, dann mache ich mir schon Sorgen, wie unsere Minderheiten hier in Zukunft behandelt werden. Wir feiern dieses Jahr 75 Jahre Grundgesetz, und ich würde mir wünschen, dass wir Minderheitenrechte auch aktiv in ein neues und revidiertes Grundgesetz integrieren würden. Ich glaube, dass es in diesen Zeiten, in denen die Gesellschaft bunter und vielfältiger wird, sehr wichtig ist zu definieren, welche Rechte und Pflichten es für die Minderheiten in der Gesellschaft gibt. Das wäre mein Wunschszenario für die Zukunft.

Eine junge Frau mit langen braunen Haaren und dunkler Brille vor der Kulisse des Reichstagsgebäudes. Hinter ihr die deutsche Flagge in schwarz-rot-gold.
Mitmischen-Autorin

Vianne Uhl

mitmischen-Autorin Vianne Uhl ist 21 Jahre alt und kommt aus dem schönen Schleswig-Holstein. Zurzeit studiert sie in Kiel interdisziplinär Sozio-Ökonomik, verbringt aber die meiste Zeit damit, sich überparteilich für Demokratie, Frieden und Menschenrechte einzusetzen. Für einen Cappuccino mit Hafermilch findet sie aber immer Zeit.

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