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Studie der Bertelsmann Stiftung „Die Stimme der jungen Menschen muss gehört werden“

Marejke Tammen

Viele junge Menschen misstrauen der Regierung und dem Deutschen Bundestag – das ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Wir haben mit der Projektmanagerin Dr. Regina von Görtz über mögliche Gründe gesprochen und sie gefragt, was man gegen das Misstrauen unternehmen kann.

Eine Frau mit kinnlangen dunkelblonden Haaren steht vor einem weißen Hintergrund und lächelt in die Kamera. Sie trägt eine gepunktete Bluse mit einer dunklen Schleife am Schlüsselbein.

Dr. Regina von Görtz führt Gespräche mit jungen Menschen und untersucht Möglichkeiten zur politischen und gesellschaftlichen Mitgestaltung. © Ansichtssache_Britta Schröder © Ansichtssache_Britta Schröder

Frau von Görtz, Sie haben junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahre nach ihrem Vertrauen in die Demokratie befragt. Was war der Anlass für die Studie?

Wir haben bei der Bertelsmann Stiftung ein Projekt, das heißt „Junge Menschen und Gesellschaft“. Dabei geht es um die Frage, wie man junge Menschen empowern und inspirieren kann, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Während unserer Projektarbeit haben wir festgestellt, dass sich junge Menschen oftmals nicht gehört und gesehen fühlen – vor allem nicht von der Politik. Wir wollten deshalb untersuchen, wie ihr Vertrauen in Institutionen ist. Uns hat aber auch interessiert, wie sie in die Zukunft blicken und welche Themen sie bewegen. 

Das Ergebnis der Studie zeigt, dass mehr als jeder zweite befragte junge Erwachsene (52 Prozent) aus Deutschland der Regierung nicht vertraut. 45 Prozent der Befragten misstrauen dem Parlament. Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Ja, mich hat es überrascht. Wir haben zwar schon in anderen Studien gesehen, dass das Vertrauen schwindet, aber die tatsächlichen Zahlen finde ich sehr hoch. Das habe ich nicht erwartet. Positiv ist allerdings, dass das grundsätzliche Vertrauen in unsere Demokratie, die Rechtsordnung und die Europäische Union trotzdem da ist. Hier geben jeweils etwa zwei Drittel der Befragten an, dass sie Vertrauen in diese Institutionen haben. 

Welche Gründe wurden für das Misstrauen genannt?

Viele junge Menschen machen sich Gedanken um Themen wie soziale Gerechtigkeit, Menschenrechtsverletzungen, sexuelle Belästigung, mentale Gesundheit, die Kluft zwischen Arm und Reich und vor allem dem Klimawandel. Das sind alles gesellschaftliche Herausforderungen, die offenbar auch junge Menschen umtreiben und interessieren. Und wenn man dann fragt, ob sie denken, dass sich die Dinge in Zukunft verbessern oder eher verschlechtern werden, dann sehen wir einen großen Pessimismus. Ungefähr die Hälfte aller jungen Menschen erwartet, dass sich die Dinge – zum Beispiel beim Klimawandel und dem Lebensstandard – eher verschlechtern werden.

Jung. Kritisch. Demokratisch.

Die Studie der Bertelsmann Stiftung gibt einen Einblick, wie die Perspektiven junger Erwachsener auf die Herausforderungen unserer Zeit aussehen. Dafür wurden 2.248 Personen in Deutschland, davon 516 Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahre, und 4.399 junge Menschen aus neun weiteren europäischen Ländern unter anderem zu ihrem Vertrauen in die Politik und ihren Zukunftserwartungen befragt. Die komplette Studie kannst du hier lesen.

Und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Das geringe Vertrauen in das Parlament und die Regierung gepaart mit dem Zukunftspessimismus deutet darauf hin, dass die jungen Menschen nicht glauben, dass die Regierung Lösungen für die großen Probleme unserer Zeit herbeiführen kann. Natürlich wissen alle von den derzeitigen Herausforderungen, aber es gibt relativ wenig Vertrauen, dass sich die Dinge verbessern werden. Dabei wird vor allem dem Parlament misstraut. Nur 35 Prozent der Befragten haben Vertrauen in den Deutschen Bundestag. Ich vermute, dass das mit dem Zukunftspessimismus zusammenhängt. Vielleicht hat es aber auch etwas damit zu tun, dass es nicht so viel Verständnis dafür gibt, wie das Parlament arbeitet.

Wie lässt sich das Ergebnis im Vergleich zu vorherigen Studien interpretieren?

Der Zeitvergleich zeigt, dass der Zukunftspessimismus seit 2014 zugenommen hat. Junge Menschen glauben immer weniger, dass die Dinge sich zum besseren verändern werden. Das hat bestimmt auch etwas mit den vielen Krisen zu tun, die wir in den letzten zehn Jahren erleben mussten. 2015 hatten wir viele Flüchtlinge aus Syrien, dann kam die Pandemie und der Krieg in der Ukraine. Ich denke, dass diese Krisen immer näher an das Bewusstsein der jungen Menschen heranrücken. Sie sind sich bewusst, dass wir in einer unsichereren Welt leben.

Welche Faktoren beeinflussen das Vertrauen bzw. das Misstrauen in das Parlament?

Ich glaube, dass es viel mehr Beteiligung von jungen Menschen an politischen Prozessen braucht. Sie müssen viel stärker eingebunden werden, vor allem bei Themen, die sie auch direkt betreffen. Gerade in einer älter werdenden Gesellschaft muss die Stimme der jungen Menschen gehört werden und darf nicht untergehen. Es muss daher viel mehr mit Beteiligungs- und Entscheidungsprozessen experimentiert werden. Das könnte ein Hebel sein, um das Vertrauen zu stärken.

Ein anderer ist mit Sicherheit die Kommunikation. Es muss noch besser vermittelt werden, wie das Parlament arbeitet und wie um Lösungen gerungen wird. In der Studie haben wir gesehen, dass eine Gruppe von jungen Menschen von der Informationsflut überfordert ist. Diese Menschen würden von einer einfacheren und klaren Kommunikation auf Seiten der Regierung und dem Bundestag profitieren. Gleichzeitig gibt es aber auch ein großes Misstrauen gegenüber Medien. Das zeigt: Es ist eine komplexe Gemengelage.

Welche Maßnahmen seitens des Deutschen Bundestages empfehlen Sie, um das Vertrauen wieder herzustellen bzw. zu stärken?

Es gibt bereits einige Versuche und gute Ansätze – zum Beispiel den Bürgerrat oder die Kinderkommission, die immer wieder junge Leute zu ihren Sitzungen einlädt. Solche Formate könnten noch viel stärker erprobt und ausgebaut werden. Es muss vermittelt werden, an welcher Stelle junge Menschen sich direkt einbringen können. Viele Menschen wissen zum Beispiel nicht, dass sie sich an ihren Abgeordneten wenden können. Aber es ist auch wichtig, dass der Zugang zu Beteiligungsprozessen niedrigschwellig ist. Grundsätzlich sollte der Bundestag junge Menschen noch mehr dazu einladen, sich zu beteiligen.

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