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Verteidigung

Soll die Wehrpflicht aus dem Grundgesetz gestrichen werden?

Jasmin Nimmrich

„Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden", so lautet Artikel 12a unseres Grundgesetzes. Doch braucht es die Wehrpflicht wirklich? Ein Antrag der Fraktion Die Linke war Grund zur Debatte im Deutschen Bundestag zu genau diesem Thema.

Foto von marschierenden Soldaten in grauer Uniform und grünen Hut. Im Hintergrund das Parlamentsgebäude des Deutschen Bundestages.

2011 wurde die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen. Eines der Argumente dafür war die dauerhaft veränderte sicherheits- und verteidigungspolitische Lage, in kurz: Frieden. Doch wie steht es um die Wehrpflicht angesichts des andauernden russischen Angriffskrieges in der Ukraine? © IMAGO / photothek

Ein Antrag der Fraktion Die Linke war am 11. September Thema im Deutschen Bundestag. In diesem kritisieren die Antragssteller die anhaltende Debatte über die Rückkehr zur Wehrpflicht, die seit 2011 ausgesetzt, aber nicht abgeschafft worden ist. Von der Bundesregierung fordert der Antrag, bis Ende 2025 einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes für eine Streichung der Wehrpflicht vorzulegen. Außerdem sollen die Mittel für die Freiwilligendienste aufgestockt werden, um dort die Beschäftigung von mehr jungen Menschen zu ermöglichen.

Die Linke: „Keine Wehrpflicht! Für niemanden!“

Für Desiree Becker (Die Linke) gehört die Wehrpflicht „in die Geschichtsbücher, nicht ins Grundgesetz“. Statt einer Stärkung der Demokratie drohe den jungen Menschen in der Bundesrepublik eine Militarisierung, die ihnen „Schützengräben und Drill“ verordnet. Die gegenwärtigen Herausforderungen seien nicht mit Aufrüstung und einer Stärkung der Verteidigungsfähigkeit zu lösen, sondern mit mehr Investitionen in Klimaschutz, soziale Sicherheit und Bildung.

Auch die Debatte rund um eine Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen sei verquer. Gleichberechtigung bedeute nicht, dass „Unterdrückung und Zwang“ auf Männer wie Frauen ausgeübt werden solle. Daher fordern Becker und ihre Fraktion „Keine Wehrpflicht! Für niemanden!“ Statt sich mit der Kriegstüchtigkeit zu beschäftigen, solle sich die Bundesregierung der Schaffung von Frieden widmen.

CDU/CSU: „Die Streichung der Wehrpflicht wäre ein fatales Signal“

Die Forderungen der Fraktion Die Linke würden „die verfassungsrechtliche Funktion der Wehrpflicht als auch die sicherheitspolitische Realität“ verkennen, so die Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion Diana Herbstreuth. Die Existenz der Wehrpflicht sei Ausdruck der staatlichen Pflicht und diene der Verteidigung der Würde und der Unversehrtheit der in Deutschland lebenden Menschen. Durch eine Streichung der Wehrpflicht wäre eben dieser Schutzmechanismus nicht mehr gegeben. „Die Wehrpflicht ist kein Angriff auf Freiheit und Demokratie, sondern sie ist unsere Rückversicherung, und sie bewahrt genau dieses Gut: Freiheit und Demokratie“, so die Abgeordnete.

Aufgrund der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Lage sei die endgültige Abschaffung der Wehrpflicht eine fahrlässige Einschränkung der staatlichen Handlungsfähigkeit im Ernstfall. Auch gegenüber den NATO-Bündnispartnern und besonders der angegriffenen Ukraine wäre eine „Streichung der Wehrpflicht (…) ein fatales Signal“. Was es viel eher brauche, sei eine Reform der Wehrpflicht, um „modern, fair und (…) auch geschlechtergerecht“ zu werden.

AfD: „Verteidigung im Ernstfall ist eine Selbstverständlichkeit“

Der AfD-Abgeordnete Jan Ralf Nolte bezeichnete den Antrag der Linksfraktion als „relativ viel Unsinn“. Es sei im Interesse aller Bürger, dass die Bundesrepublik im Verteidigungsfall handlungsfähig sei, und dazu gehöre eine ausgebildete und große Truppe. Für all diejenigen, die die Wehrpflicht ablehnten, bestünde auch weiterhin die Möglichkeit zur Kriegsdienstverweigerung.

Die Bedrohungslage durch Russland sei real und auf eine Eskalation müsse man vorbereitet sein: „Dass wir als souveräner Staat über Streitkräfte verfügen müssen, die uns im Ernstfall verteidigen können, ist eine Selbstverständlichkeit“, so Nolte. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht sei daher längst überfällig, da der Personalmangel schon seit Jahren spürbar sei. Die Bundesregierung forderte Nolte auf, alle diplomatischen Bemühungen gegenüber Russland auszuschöpfen und unter keinen Umständen deutsche Soldaten auf ukrainischem Boden zuzulassen.

SPD: „Die Wehrpflicht im Grundgesetz ist kein Relikt“

Auch Sabine Dittmar (SPD) fand für den Antrag der Fraktion Die Linke klare Worte: „Das ist nicht nur Realitätsverweigerung, sondern angesichts der augenblicklichen sicherheits- und geopolitischen Lage auch brandgefährlich.“ Die Bedrohungslage für Europa und Deutschland habe sich seit 2022 mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine massiv verschärft. Deshalb sei eine verteidigungsfähige Bundesrepublik wichtiger denn je und mit Investitionen in die Bundeswehr und dem Wehrdienst-Modernisierungsgesetz werde dieser Bedrohung begegnet.

„Die Wehrpflicht im Grundgesetz ist kein Relikt“, so Dittmar. Die Entscheidung, die Wehrpflicht 2011 auszusetzen und nicht endgültig abzuschaffen, sei eine wohl überlegte gewesen. Artikel 12a des Grundgesetzes, der die Verpflichtung zu Wehr- und Zivildienst regelt, sei Teil eines Sicherheitsnetzes, „das hoffentlich nie zum Tragen kommt“.

Grüne: „Es wird in diesem Land niemand gezwungen, an der Waffe zu dienen“

Niklas Wagener (Bündnis 90/Die Grünen) rief die Abgeordneten der Linksfraktion dazu auf, aufzuwachen: Seit drei Jahren tobe ein brutaler Krieg in Europa und die Angriffe Russlands auf die Ukraine würden immer schwerer. Und auch in Deutschland sei die „direkte Bedrohung in Form von Sabotageakten und Angriffen auf unsere kritische Infrastruktur bereits deutlich spürbar“. Im Friedensfall sei die Wehrpflicht ausgesetzt, im Spannungs- oder Verteidigungsfall jedoch würde sie greifen.

Niemand würde einen Krieg wollen, doch Werte wie Gleichheit und Freiheit müssten verteidigt werden: „Wer glaubt, man könne diese Rechte ohne Wehrhaftigkeit bewahren, täuscht sich selbst.“ Außerdem bestünde stets die Möglichkeit zur Kriegsdienstverweigerung: „Es wird in diesem Land niemand gezwungen, an der Waffe zu dienen“, so Wagener. Während er den Antrag Der Linken als „politischen Aktionismus“ bezeichnete, forderte er die Bundesregierung dazu auf, junge Menschen an der Ausgestaltung der Wehrpflicht zu beteiligen.

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