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Erfahrungsbericht „Egal, was andere von mir denken“

Tim Oswald

Dung ist 18 und homosexuell. Mit Tim hat er über seinen Umgang mit dem Thema und über sein Coming-out gesprochen, das nicht immer einfach war – vor allem in der eigenen Familie nicht.

Junger Mann lächelt in die Kamera

„Schwulsein ist eine Behinderung“, solche Sätze bekam Dung anfangs von seinen Eltern zu hören. Inzwischen unterstützen sie ihn. © privat

Als ich Anfang 13 war, entwickelte ich das erste Bewusstsein für meine Homosexualität. Ich habe langsam bemerkt, dass ich Mädchen nicht so anziehend fand, wie viele andere Jungs es beschrieben hatten. Ich fand stattdessen Jungs viel interessanter.

Ich habe mir dabei nie lange etwas vorgemacht und sehr schnell meine besten Freunde eingeweiht, die das zum Glück sofort akzeptiert haben. Natürlich war mir dabei auch bewusst, dass sich die Info schnell verbreiten könnte. Es ist mir aber egal, was andere Menschen, abgesehen von meinem engsten Umfeld, von mir denken.

Leider war mir damals noch nicht bewusst, wie es sich anfühlen kann, mit Homophobie konfrontiert zu werden. In der Schule wurde ich von einigen wenigen als „Schwuchtel“ beschimpft – das war teils so offensichtlich, dass es auch den Lehren aufgefallen ist. Von meinen Freunden und den Lehrern habe ich allerdings stets Unterstützung erfahren. Da ich mir dieser Unterstützung bewusst bin und auch zeigen möchte, dass ich stolz auf meine Homosexualität bin, gehe ich damit sehr offen um.

„Meine Eltern brachen in Tränen aus“

Nicht ganz so leicht, wie mit meinen Freunden, war es leider mit meiner Familie. Als ich meinen Eltern sagte, dass ich schwul bin, brachen sie in Tränen aus. Die Stimmung bei uns zu Hause war angespannt und es kam immer wieder zu Anfeindungen. Meine Eltern sagten mir Dinge wie „Homosexualität ist eine Krankheit“ oder „Schwulsein ist eine Behinderung“.

Erst als ein Freund von mir vor eineinhalb Jahren bei einem Autounfall starb und ich ein wirkliches Tief durcherlebte, haben sie gemerkt, wie sehr ich sie eigentlich brauche. Mittlerweile ist es viel besser geworden zwischen uns. Meine Eltern haben mich und meine Homosexualität Stück für Stück akzeptiert. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie am Anfang auch nicht wirklich wussten, was es eigentlich genau bedeutet, schwul zu sein.

Auch in der Schule habe ich einen Wandel bemerkt. Häufig ist Homophobie ja durch Unkenntnis begründet und je besser mich manche Leute kennengelernt haben, desto weniger Vorbehalte hatten sie und verstehen nun, dass ich gar nicht anders bin als sie. Glücklicherweise erlebe ich deshalb nun auch kaum noch homophobe Anfeindungen.

„Das Bewusstsein über mögliche Gewalt ist immer da“

Seit einiger Zeit habe ich auch einen Partner. Natürlich war das für meine Eltern erst mal ein Schock, mit dem sie umgehen mussten, doch inzwischen ist da alles in Ordnung. Wie schon erwähnt ist es mir egal, was andere Leute über mich oder meine Beziehung denken.

Obwohl mein Partner älter ist als ich, ist es ihm oft nicht so egal. Zu Beginn hat er sich in der Öffentlichkeit komplett zurückgezogen, wenn es darum ging, unsere Beziehung zu zeigen. Er hat Angst davor, dass andere Menschen Gewalt anwenden oder uns anfeinden könnten, und natürlich ist das Bewusstsein über mögliche Gewalt gegen uns als schwule Menschen immer da. Doch bis jetzt haben wir das zum Glück noch nicht erlebt.

Leider habe ich trotzdem das Gefühl, dass wir uns als schwules Paar in der Öffentlichkeit nicht ganz so unbeschwert verhalten können, wie heterosexuelle Paare.

Aber es gibt auch immer wieder positive Momente. Wenn andere zu uns sagen, was für ein „süßes Paar“ wir doch seien, freut mich das total. Auch wenn wir beispielsweise durch Frankfurt laufen und andere schwule Paare sehen, gibt es mir Kraft, da ich weiß, wir sind nicht alleine.

„Soziale Medien leisten einen wichtigen Beitrag“

Wie in meinem Umfeld sehe ich auch in der Gesellschaft einen Wandel zum Positiven. Wenn man sich anschaut, woher wir kommen, dann sind wir heute schon so viel toleranter geworden. Ich denke, dass auch soziale Medien einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Ich lese so oft unter Posts von bekannten Schwulen, dass ihr Coming-out andere Schwule, die viel mit sich selbst gehadert haben, dazu bewegt haben, selbst offen mit ihrer Homosexualität umzugehen. Außerdem findet man heute über die Landesgrenzen hinweg im Internet schnell Anschluss und muss sich nie alleine fühlen.

„Wir Toleranten sind in der Mehrheit“

Aber nicht nur im Internet merkt man das. Heutzutage hängen an so vielen Läden kleine Regenbogen-Flaggen. Das gibt mir einfach ein gutes Gefühl: die Gewisshiet, dass man nie alleine ist, dass man die Gesellschaft im Rücken hat. Diese Sicherheit ist gerade in Zeiten, in denen es in Europa und auch hier in Deutschland wieder homophobe Bestrebungen auch in Parteien gibt, total wichtig. Selbstverständlich geht all das nicht einfach so an mir vorbei, aber ich mache mir da relativ wenig Sorgen. Ich habe das Gefühl, dass wir Toleranten in Deutschland in der Mehrheit sind.

Ich denke, dass es sehr wichtig ist, allen jungen Menschen, die Angst vor ihrem Coming-out haben oder noch sehr verschlossen sind, zu sagen, dass wir als Gesellschaft eine große Gemeinschaft sind, die füreinander da ist und dass niemand alleine mit seinen Problemen dastehen muss, dass man sich immer an andere wenden kann, die einen unterstützen werden, egal ob sie selbst schwul sind oder nicht.

Zur Person

Portraitfoto von mitmischen-Autor Tim Oswald
mitmischen-Autor

Tim Oswald

ist Schüler aus Weisenheim am Sand. Seine großen Leidenschaften sind Politik und Engagement. Außerdem liest er gerne, geht joggen und ist fasziniert von fremden Ländern und Sprachen. Seine Freunde machen sich heute noch darüber lustig, dass sein Lieblingsbuch in der Grundschule der Atlas war.

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