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Pro und Contra Pflicht zum Abbiegeassistenten?

Laura Heyer

Sollen in Ortschaften ab sofort nur noch Lkw mit einem Abbiegeassistenten fahren dürfen? Daniel sagt "Ja", Lara "Nein".

Portraits von einem jungen Mann und einer jungen Frau, die in die Kamera lächeln.

Daniel und Lara: Beide eint ein Ziel, doch über den Weg streiten sie.©privat

Pro

Daniel (23): Wir müssen den technischen Fortschritt nutzen

Jeder Unfall weniger zählt. Dieses Ziel sollte für uns alle an oberster Stelle stehen. Darum sage ich, es muss für Lkw in Deutschland verpflichtend sein, Abbiegeassistenten zu nutzen. Und dafür gibt es viele weitere und gute Gründe.

Keine Mutprobe

Ob auf dem Fahrrad oder zu Fuß, wer nicht in einem Kraftfahrzeug sitzt, hat es in deutschen Straßen nicht immer einfach. Wenn ich eine grüne Ampel vor mir habe, gehe ich nicht sofort los. Ich suche bewusst den Augenkontakt mit den Fahrern und Fahrerinnen, weil ich nicht darauf vertrauen kann, dass ich gesehen werde. Ich wohne in Berlin und bekomme es viel zu oft mit, dass Verkehrsunfälle beim Abbiegen geschehen. Ob Radfahren oder zu Fuß, umweltfreundliche Alternativen zum Kraftfahrzeug dürfen keine Mutprobe sein.

Technischer Fortschritt

Und an dieser Stelle kommen die Abbiegeassistenzsysteme ins Spiel. Sie sind sinnvoll, weil sie die Fahrer warnen, wenn Menschen beim Abbiegen im Umkreis des Fahrzeugs sind. Achtsamkeit im Straßenverkehr ist ein Muss für alle, und die Abbiegeassistenzsysteme helfen, wenn die eigene Achtsamkeit nicht weiterkommt. Es gibt tote Winkel, also durch einen Spiegel nicht erkennbare Stellen hinter einem, die nicht ohne Weiteres beseitigt werden können.

Ein Abbiegeassistenzsystem setzt genau da. Wir müssen den technischen Fortschritt nutzen, der menschlichesm Versagen entgegenwirkt. Und wenn am Ende des Tages ein solches System Leben retten kann, dann gehört es zur Grundausstattung eines jeden Fahrzeuges wie ein Blinker oder Airbag.

Was ist ein Menschenleben wert?

Gegen den Nutzen eines solchen Systems gibt es recht wenig einzuwenden, denke ich. Was aber durchaus diskutiert werden muss, sind die Kosten. Wer am Ende die Kosten trägt, sollte aber nicht entscheidend dafür sein, ob ein solcher Schutz verpflichtend ist oder nicht. Denn was ist am Ende ein Menschenleben wert?

Die Frage ist eher, wie hoch dürfen die Gewinnmargen von Unternehmen für Sicherheit sein. Wenn solche Assistenten verpflichtend und damit ein Standard wären, würden sie nicht mehr ein Luxusgut bleiben und würden sich in allen Kraftzeugen wiederfinden – ob günstige oder teure. Am Geld sollte die Frage also nicht scheitern.

Respekt für die Opfer

Wir befinden uns in Zeiten des rasanten und ständigen Fortschrittes. Gleichzeitig müssen sich auch die Mindeststandards im Straßenverkehr verändern. Was gestern als sicher und zuverlässig galt, ist vielleicht heute nicht mehr sicher und zuverlässig.

Ein weiterer Vorteil eines verpflichtenden Assistenten wäre auch die daraus resultierende Nachverfolgung von Umfällen. Je nach Technologie wäre es möglich, die Schuldfrage im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen besser zu klären. Wenn die Technologie mehrmals warnt, gibt es keine Entschuldigung für ein Nicht-Reagieren am Steuer.

Aus Respekt vor den vielen Verkehrsopfern müssen wir es zu unserer Aufgabe machen, konsequent für Sicherheit auf unseren Straßen zu kämpfen. Darum sehe ich die Zukunft in Abbiegeassistenzsystemen und hoffe, dass diese für Lkw und andere Fahrzeuge verpflichtend werden, auch in Ortschaften.

Contra

Lara (20): Ein Gesetz in Deutschland reicht nicht

Allein in Deutschland sterben jährlich knapp 40 Menschen beim Radfahren, weil sie von einem Lastkraftwagen beim Rechtsabbiegen übersehen werden. Für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist diese statistische Größe Anlass, einen Gesetzentwurf im Bundestag einzubringen. Darin fordern die Abgeordneten, dass in geschlossenen Ortschaften nur noch Lkw fahren dürfen, die über einen sogenannten Lkw-Abbiegeassistenten verfügen. Ich finde: Das geht so zu weit!

Technisch wirklich machbar?

Ein großes Problem bei der Realisierung des Gesetzes liegt in den begrenzten technischen Möglichkeiten. Es lässt sich nicht pauschal sagen, dass es bei allen drei Millionen Lkw in Deutschland machbar ist, einen solchen Abbiegeassistenten nachzurüsten. Und dann die Kosten: Im Fuhrpark vieler Speditionen sind ältere Fahrzeuge dabei, die nicht über eine entsprechende technische Ausstattung verfügen, um einen solchen Assistenten nachrüsten zu können.

Speditionen müssten daher in neue Fahrzeuge investieren, um die Vorgaben einhalten zu können. Dies ist jedoch für kleinere Unternehmen finanziell kaum realisierbar. Kleiner Speditionen können dann nicht mehr mit den großen mithalten. Die Kosten für die Nachrüstung eines Lkw werden auf rund 1.500 Euro plus Erfüllungsaufwand geschätzt. Würde man alle drei Millionen Bestandsfahrzeuge in Deutschland nachrüsten, entstehen Kosten in Höhe von knapp 4,5 Milliarden Euro.

Unklarheiten für Lkw-Fahrer

Außerdem kann die im Gesetzentwurf angekündigte Ausnahmeregelung für Härtefälle oder besondere Straßenverläufe zu Verwirrung bei den Fahrern führen. Sie müssen dann ständig prüfen, in welche Straßen sie fahren dürfen und in welche nicht. Zusätzlich kommt noch die Tatsache hinzu, dass die Fahrer der Lastkraftwagen in manchen Fällen keine andere Möglichkeit haben, als den Weg durch die geschlossenen Ortschaften zu wählen. Transitstrecken, die den Weg durch Ortschaften und Städte umgehen sollen, können durch Stau, Sperrungen und vieles mehr unbefahrbar sein.

Will ein Fahrer nicht zum Ende seiner Fahrt kommen, muss er den Weg durch die geschlossene Ortschaft wählen – mit oder ohne Abbiegeassistent. Das geplante schnelle Inkrafttreten des Gesetzes kann außerdem dazu führen, dass viele Lkw von heute auf morgen keine Ortschaften oder Städte mehr befahren dürfen, was wiederrum zu Lieferschwierigkeiten führen würde.

Europa muss ran!

Ein weiterer Punkt, der gegen die Idee spricht, ist die Frage nach der Vereinbarung der Vorschrift mit dem europäischen Binnenmarkt. Es reicht nicht, wenn allein in Deutschland ein derartiges Gesetz beschlossen wird. Auch Lkw aus anderen europäischen Ländern haben deutsche Ortschaften zum Ziel und könnten diese dann nicht mehr befahren.

Aufgrund des übergreifenden Handels in Europa muss daher eine gesamteuropäische Vorschrift für den Straßenverkehr gefunden werden. Dies ist auch zum Vorteil der heimischen Speditionen, die sonst einen höheren Mehraufwand für ihre Arbeit erbringen müssten, während für Lkw anderer europäischer Länder eventuell Ausnahmen geschaffen werden könnten.

Zur Person

mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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