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ESA-Expertin „Sonnenstürme können unserer Technik schaden“

Carolina Pfau

Melanie Heil forscht bei der European Space Agency zum Weltraumwetter. Wie es unser Leben auf der Erde beeinträchtigen kann und wie wir vorsorgen sollten, erklärt sie im Interview.

Porträt von Melanie Heil (ESA)

"Unsere Experten können einen 'Weltraumwetterbericht' erstellen, um die Wahrscheinlichkeit von Sonnenstürmen etwa eine Woche im Voraus vorhersagen zu können", sagt Melanie Heil. © ESA

Die Erde ist unter anderem durch ihr Magnetfeld vor einem Großteil des Weltraumwetters geschützt. Aber was genau passiert im Weltraum und wie extrem ist das "Wetter" dort?

Was wir Weltraumwetter nennen, beschreibt die veränderten Zustände im Sonnensystem. Für uns ist natürlich das erdnahe Umfeld und die Aktivität unserer Sonne von besonderem Interesse. Tatsächlich ändert sich das Weltraumwetter nicht so oft wie das Wetter bei uns auf der Erde. Wir haben eher Langzeitveränderungen, die sich nach der Sonnenaktivität richten. Die Sonne hat einen Zyklus von stärkerer und schwächerer Aktivität – so ein Zyklus dauert elf Jahre.

Wie wird das Weltraumwetter erforscht?

Das geschieht mit verschiedenen Messstationen im erdnahen Umfeld, für die wir Satelliten nutzen. Gewisse Informationen über die Sonnenaktivität bekommt man auch auf der Erde. Zum Beispiel kann man Teilchenstrahlung auf der Erde mit Neutronenmonitoren messen. Aber da es sich um Weltraumwetter handelt, lässt sich einiges nur im Weltraum messen.

Durch Teleskope können wir Veränderungen sehen und Sonnenflecken beobachten. Das sind dunkle Flecken auf der Sonne, Bereiche, in denen eine niedrigere Temperatur herrscht. Diese Sonnenflecken hängen mit dem Zyklus der Sonne zusammen: Mal gibt es mehr, mal weniger Flecken. Wir wissen, dass Sonnenstürme in Regionen mit Sonnenflecken entstehen. Während einer besonders hohen Sonnenaktivität haben wir viele Sonnenflecken und damit eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Sonnenstürme.

Was genau sind Sonnenstürme und wie entstehen sie?

Das Sonnenplasma, das geladene Teilchen enthält, bewegt sich entlang den inneren Magnetfeldlinien der Sonne. Diese können durch unterschiedliche schnelle Rotationen verzerren und so Bögen bilden. Teilweise ragen sie aus der Sonne heraus, was wir als Sonnneflecken beobachten. Manchmal werden sie so stark, dass sie ausbrechen. Dann tritt das Sonnenplasma aus und entweicht ins All. Das bezeichnen wir als Sonnensturm. Während eines solchen Sonnensturms ist die austretende hochenergetische Strahlung um bis zu einem Tausendfachen höher als beim normalen Ausfluss von Energie aus der Sonne.

Satelliten-Aufnahme der Sonne

Dieses Bild von der Sonne hat der Satellit Solar Orbiter aufgenommen, der dieses Jahr gestartet ist. Man kann darauf die Magnetfeldbögen erkennen. © ESA

Die AfD-Fraktion hat kürzlich zu Sonnenstürmen eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Sie nennt Situationen, in denen solche Stürme bereits Probleme im Flugverkehr ausgelöst hätten. Wie genau können die Sonnenstürme uns schaden?

Sonnenstürme haben verschiedene Einflüsse auf uns Menschen. Astronauten können durch die geladene Teilchenstrahlung zum Beispiel Schäden an den Organen und der Haut davontragen. Auf der ISS ist die Strahlung meist erträglich, weil die Astronauten noch in unserem Magnetfeld sind.
Stärkere Sonnenstürme können aber in unser Magnetfeld eindringen, sodass es auch im Flugverkehr zu erhöhter Strahlung kommt. Das betrifft dann die Passagiere und vor allem das Bordpersonal.

Sollten Flugzeuge also im Fall eines Sonnensturms nicht abheben?

Auch das wäre denkbar. Zumindest könnte man polarnahe Routen meiden, da dort aufgrund des Erdmagnetfeldes immer höhere Strahlungsdosen auftreten. Auch könnten Piloten sich mit dem Wissen eventuell besser auf Störungen des Navigationssystems einstellen.

Können Sonnenstürme auch unserer Technik schaden?

Das Weltraumwetter kann tatsächlich schädlich für Satelliten sein. Sonnenstürme können die Elektronik dauerhaft schädigen oder können die Lebensdauer von Satelliten verkürzen. Es kann auch zu temporären Ausfällen kommen. So könnte es zu Problemen mit unseren Navigationssystemen kommen, welche größtenteils von Satelliten abhängig sind. Wenn die Atmosphäre durch die erhöhte eintreffende Strahlung stärker geladen ist, ist außerdem die Signalübermittlung gestört. Auch Technik auf der Erde kann beeinträchtigt werden, es können zum Beispiel Transformatoren ausfallen, wodurch das ganze Stromnetz in Gefahr ist, weil andere Transformatoren überlastet sein und ebenfalls ausfallen können. In Kanada ist so etwas passiert, dort hatte eine ganze Provinz wegen eines Sonnensturms keinen Strom mehr. Durch all diese Effekte kann ein Sonnensturm durchaus ökonomische Folgen haben.

Infografik: Erde und Sonne und die Einflüsse von Sonnenstürmen auf unsere Infrastruktur

Diese Grafik zeigt die verschiedenen Einflüsse von Sonnenstürmen auf unsere Infrastruktur. © ESA

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass wir in Zukunft ernsthafte Probleme mit Sonnenstürmen bekommen werden?

Statistisch gesehen liegt die Wahrscheinlichkeit eines extrem starken Sonnensturms innerhalb der nächsten zehn Jahre bei zehn Prozent. Glücklicherweise haben nicht alle auftretenden Sonnenstürme direkten Einfluss auf die Erde, da viele Sonnenstürme sich auf der Seite der Sonne abspielen, die nicht zur Erde hin ausgerichtet ist. Allerdings werden wir immer abhängiger von Technik, unser alltägliches Leben stützt sich auf Satelliten, und unsere Elektronik wird immer empfindlicher. Dadurch könnten Sonnenstürme in Zukunft einen größeren Einfluss auf uns haben.

In einer Studie schätzt die ESA den Schaden einer Katastrophe aufgrund des Weltraumwetters für Europa auf 15 Milliarden Euro. Wie gut sind wir auf so etwas vorbereitet und wo gibt es Verbesserungsbedarf?

Wir können die Sonne nicht aufhalten. Aber wir können unser Bewusstsein für Sonnenstürme schärfen. In Europa und auch in Deutschland wird die Gefahr zum Glück ernstgenommen, aber wir müssen uns auch als Gesellschaft auf diese Ereignisse vorbereiten. Denn es ist so: Als Erstes erreicht uns immer die elektromagnetische Strahlung. Die sehen wir sehr schnell. Aber wir haben im Durchschnitt nur zwischen zwei und 15 Stunden Zeit, bis uns die energiereiche Teilchenstrahlung trifft. Deswegen sollte man wissen, was man tun muss, noch bevor man den Sonnensturm beobachtet. Um die Folgen von Sonnenstürmen zu minimieren, kann man zum Beispiel Astronauten in besonders abgeschirmte Bereiche der Raumstation schicken und wichtige Satelliten in Stand-by schalten, wodurch die Wahrscheinlichkeit für dauerhafte Strahlungsschäden reduziert wird oder Stromnetzbetreiber können die Auslastung von Transformatoren vorsorglich reduzieren um die Toleranz von induzierten Spannungen zu erhöhen.

Für eine verbesserte Vorhersage planen wir unter anderem eine Mission zu einem Punkt im All, der ungefähr so weit auf der Erdumlaufbahn hinter uns liegt, wie die Erde von der Sonne entfernt ist. Von dort aus können wir den Teil der Sonne sehen, der sich erst in den nächsten Tagen zur Erde hin dreht. Außerdem können wir von dort die Ausstöße der Sonne von der Seite beobachten, um vorherzusagen, wann die Strahlung bei der Erde ankommt. Zusammen mit anderen Messungen können unsere Experten einen „Weltraumwetterbericht“ erstellen, um die Wahrscheinlichkeit von Sonnenstürmen etwa eine Woche im Voraus vorhersagen zu können. Beim Weltraumwetter gibt es aber keinen lokalen Wetterbericht, sondern einen globalen, denn es betrifft uns alle. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir uns international vernetzen. Daran arbeiten wir stetig.

Über Melanie Heil

Dr. Melanie Heil ist 34 Jahre alt und hat in Karlsruhe Physik studiert. In ihrem Studium beschäftigte sie sich unter anderem mit kosmischer Strahlung und Sonnenaktivität. Dadurch kam sie vor etwas mehr als einem Jahr zur European Space Agency (ESA). Heute arbeitet sie als Koordinatorin der Weltraummissionen und Instrumentenentwicklung mit Bezug zum Weltraumwetter am europäischen Raumflugkontrollzentrum ESOC in Darmstadt

Zur Person

Portraitbild von mitmischen-Autorin Carolina Pfau
Mitmischen-Autorin

Carolina Pfau

ist 24, lebt in Nienburg (Weser) und arbeitet derzeit als freie Journalistin und Radio-Moderatorin.

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