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Inside Bundestag Welche Geschichte erzählt dieser Altar?

Julia Karnahl

Was ist das? Und wozu braucht man das im parlamentarischen Alltag? Wir zeigen euch Detail-Aufnahmen von Gegenständen aus dem Bundestag. Heute: Der Altar im Andachtsraum, den der Künstler Günther Uecker gestaltet hat.

Ein weißer Raum. Im Zentrum steht Altar in Würfelform, auf diesem ein Holzkreuz. An den Wänden lehnen drei Holzbildtafeln, die mit goldener und weißer Farbe sowie Nägeln verziert sind.

Der Raum ist bewusst überkonfessionell gestaltet. Das Holzkreuz ist deshalb zum Beispiel nicht fest auf dem Altar installiert, sondern kann leicht heruntergenommen werden. © mitmischen/Julia Karnahl

Die „mystische Aura einer frühmittelalterlichen Krypta“ wollte der Künstler Günther Uecker im Andachtsraum im Reichstagsgebäude erzeugen. Deshalb hat er das Licht durch eine offene Zwischenwand indirekt in den Raum geleitet. Uecker hat den gesamten Raum samt Interieur entworfen. Und dabei nichts dem Zufall überlassen.

Raum der Spiritualität, offen für alle Konfessionen

Der Raum ist bewusst als überkonfessioneller Ort der Besinnung und Meditation gestaltet. Es sind deshalb architektonische und künstlerische Anspielungen auf verschiedene Weltreligionen zu finden. Eine Kante im Boden zeigt die Ostrichtung an, die für christliche Feiern bedeutsam ist. Im rechten Winkel zu ihr schaut man nach Süden in Richtung Jerusalem und Mekka.

Der Altar aus sandgestrahltem Granit ist sehr schlicht gehalten. Das Holzkreuz ist darauf nicht fest installiert, sondern portabel: Es kann auf den Altar gestellt, aber auch heruntergenommen werden.

In einer beleuchteten Wandvitrine im Vorraum sind liturgische Gegenstände der einzelnen Religionen ausgestellt, unter anderem eine historische Torarolle und ein aramäisches Evangeliar, eine 494 Seiten lange Handschrift mit Lesungen der vier Evangelisten nach dem Kirchenkalender der Syrisch-Orthodoxen Kirche.

Interpretationsoffene Bilder

Neben dem Altar und den 24 Holzstühlen davor gibt es im Andachtsraum sieben Holzbildtafeln, die deutlich Günther Ueckers Handschrift tragen. Der Künstler ist berühmt für seine Bilder, die aus bemalten Nägeln geformt sind. Auch die sieben Bilder im Andachtsraum sind mit Nägeln und Steinen behauen, bemalt mit Farbe, Sand und Asche. In den Motiven kann man vieles erkennen: Kreuze, fließende Bewegungen und Übergangszustände, eine aufsteigende Figur ohne spezifische Form.

Die Bilder lehnen an den Wänden, „wie Gesetzestafeln auf den Boden gestellt, auch in ihrer Vorläufigkeit“, so beschreibt Uecker selbst es. „Man kann sagen, abgehängt oder noch nicht aufgehängt; sie befinden sich sozusagen in einem Zwischenstadium bezogen auf den Gedanken, dass Bildhaftigkeit ein Gebot oder Verbot sein kann.“ Die Aufstellung der Bilder im Raum deutet ein Kreuz an, dessen Mitte der Altar bildet.

Raum zum Innehalten im hektischen Parlamentsalltag

In Sitzungswochen findet im Andachtsraum immer donnerstags und freitags um 8.40 Uhr eine christliche Andacht statt, bevor um 9 Uhr der Sitzungstag beginnt. Für Abgeordnete ist der Raum eine Möglichkeit, in der Hektik des politischen Alltags innezuhalten und zur Ruhe zu kommen.

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sagte darüber: „An einem solchen Ort ist auch der Politiker ganz er selbst, nicht eingebunden in Funktionen, nicht Mandatsträger […] Das Gebundensein an Partei und Fraktion tritt zurück, und die Begrenztheit und das Wagnis politischen Handelns treten stärker ins Bewusstsein. Wo wäre ein solcher Ort notwendiger als im Herzen unserer Demokratie, im Parlament?“

Neugierig geworden?

Im Flyer zum Andachtsraum gibt es noch mehr Informationen.

Wenn ihr mal in Berlin seid, könnt ihr den Raum auch selbst besichtigen. Infos zu den Führungen durchs Reichstagsgebäude findet ihr auf bundestag.de.

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