Zum Inhalt springen

Soziologin „Diskriminierung gemeinsam bekämpfen“

Mira Knauf

Verschiedene Formen der Diskriminierung treten oft gemeinsam auf: zum Beispiel Rassismus und Sexismus. „Strukturelle Ungerechtigkeiten lassen sich deshalb nur gemeinsam bekämpfen“, sagt die Soziologin Soraya Moket.

Eine Frau lehnt an einer Backsteinmauer und lächelt in die Kamera.

Migrantische Organisationen sind wichtig, um die Sichtbarkeit aller Gruppen in der Gesellschaft zu verstärken, sagt Soraya Moket vom Dachverband der Mirgantinnenorganisationen. © privat

Sie sind stellvertretende Geschäftsführerin des Dachverbandes der Mirgantinnenorganisationen (DaMigra e.V.). Dazu gehören 60 Mitgliedsorganisationen. Was sind das für Organisationen?

Unter unserem Dach kommen bundesweit unterschiedliche Organisationen zusammen, deren Wurzeln zum Teil bis in die 1980er reichen. Uns alle verbindet, dass unsere Arbeit darauf ausgerichtet ist, jegliche Form von Diskriminierung, Sexismus und Rassismus zu beseitigen. So möchten wir eine Gesellschaft gestalten, die divers und inklusiv ist.  

Zu unseren Mitgliedern gehören zum Beispiel der Bundesverband der Migrantinnen e.V., die Koreanische Frauengruppe in Deutschland oder Amnesty for Women e.V.. In einigen Organisationen sind die Frauen zunächst aufgrund von gemeinsamen sprachlichen und kulturellen Hintergründen zusammengekommen und setzen sich jetzt für die Interessen der Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte ein. So übernehmen die Mitgliedsorganisationen heute wichtige gesellschaftspolitische Aufgaben, treten als Expertinnen für soziale und politische Teilhabe auf und bieten sich als Ansprechpartnerinnen für Migrantinnen oder politische Akteurinnen und Akteure an.

Um welche Themen geht es bei Ihrer Arbeit im Kern?

Es geht um antirassistischen Feminismus, Gewaltschutz, Antidiskriminierung, politische Partizipation und Teilhabe an der Gesellschaft. Diese Themen spielen in unserer gesamten Arbeit eine wichtige Rolle. Wenn wir beispielsweise eine Informationsveranstaltung zu Asyl- und Aufenthaltsrecht für Frauen mit Fluchterfahrung planen, beziehen wir diese Werte mit ein. So organisieren wir Dolmetscherinnen oder Kinderbetreuung und schaffen eine angenehme Atmosphäre, um Fragen der Teilnehmerinnen Raum zu geben.

Besonders wichtig ist uns bei unserer Arbeit die sogenannte intersektionale Perspektive. Damit ist gemeint, dass wir uns anschauen, wie es Frauen geht, die beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt von mehr als einer Art der Diskriminierung betroffen sind: weil sie etwa weiblich und Women of Color sind. In unserem Projekt „Gemeinsam Mutig“ unterstützt unser Team Frauen mit Flucht- und Migrationserfahrungen, in allen Fragen rund um den Arbeitsmarkt. Auf diese Weise möchten wir diese Frauen empowern. Das können wir etwa durch die Vernetzung mit wichtigen Akteuren und Akteurinnen auf dem Arbeitsmarkt. Wir bieten in diesem Rahmen zum Beispiel Computer-Workshops oder Konversationskurse für die Frauen an.

Wir wenden uns aber auch an die Dominanzgesellschaft, also an alle Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind. Wir klären über verschiedene rassistische Diskriminierungsformen auf, wie beispielsweise antimuslimischen oder antiasiatischen Rassismus.

Welche Rolle spielen diese Organisationen, die zum Dachverband gehören, für Frauen mit Migrationsgeschichte in Deutschland?

Die Organisationen sind Orte der Vernetzung und des Austausches. Hier finden die Menschen eine Gemeinschaft. Außerdem können sie dazu beitragen, unseren Anliegen mehr Sichtbarkeit und Gehör zu verschaffen. Solche Vereine sind aber auch wichtig, um die Teilhabe verschiedenster Gruppen an der Gesellschaft – und somit Inklusion und Diversität in der Gesellschaft – zu stärken.

Deshalb geht es immer auch um die Bekämpfung von Rassismus, Sexismus und sozialer Ungleichheit. Die migrantische Selbstorganisation fördert für Migrantinnen und Migranten außerdem den Zugang zu gesellschaftlichen Mitteln wie Bildung, Arbeit, Gesundheit, Politik. In der Wissenschaft wird in diesem Zusammenhang von sogenanntem sozialem Kapital gesprochen.

Können Sie uns das erklären: Was ist mit „sozialem Kapital“ gemeint?

Wenn wir den Begriff „soziales Kapital“ verwenden, orientieren wir uns an einer Definition von Pierre Bordieu, einem französischen Soziologen. Er beschreibt soziales Kapital als ein Netz von Beziehungen, die dazu beitragen, dass Karrieren, Macht und Reichtum nicht nur auf individuellen Leistungen, sondern auch auf herkunftsbedingten Gruppenzugehörigkeiten und anderen vorteilhaften Verbindungen basieren. Mit anderen Worten: Soziales Kapital ist eine Form von Macht, die einzelne Personen deshalb haben, weil sie zu einer bestimmten Gruppe gehören. Das bedeutet auch, dass Gruppen, die keinen Zugang zu dieser Macht und entsprechenden Ressourcen haben, ausgegrenzt werden. Und dagegen kämpfen wir als DaMigra e.V. an.

Bei Ihrer Arbeit geht es um Ausgrenzung aufgrund verschiedener Diskriminierungsformen, die zusammen auftreten. Ist es schwierig, diese Themen gleichzeitig anzugehen?

Oft ist es gar nicht sinnvoll oder möglich, eine Form der Diskriminierung isoliert zu betrachten. Es ist wichtig, diese Themen gemeinsam anzugehen, da sie miteinander verbunden sind. Nur mit einer ganzheitlichen Sichtweise auf diese Probleme kann es gelingen, ein wirklich inklusives Verständnis von Gerechtigkeit zu schaffen.

Uns geht es immer darum, um die intersektionale Perspektive und Ausgrenzungsmechanismen sichtbar zu machen und die Politik für antirassistische feministische Anliegen zu sensibilisieren. Schwierigkeiten bei unserer Arbeit entstehen eher im Zusammenhang mit der Finanzierung. Denn als Dachverband finanzieren wir unsere Arbeit ausschließlich über einzelne Projekte, die gefördert werden. Der Dachverband bekommt als solcher aber keine Fördermittel.

Wie funktioniert denn die Zusammenarbeit mit der Politik? Gibt es Punkte, die aus Ihrer Sicht verbessert werden müssten?

Wir brauchen in Deutschland eine engere Zusammenarbeit zwischen der Politik und Menschen, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind. Hier hat es erste wichtige Schritte gegeben, aber es ist wichtig, dass der Austausch langfristig und regelmäßig stattfindet. Er darf sich nicht in einzelnen Reden oder Imagekampagnen erschöpfen. Es reicht auch nicht, diesen Austausch auf ehrenamtlicher Ebene stattfinden zu lassen, er muss auf Augenhöhe stattfinden. Fast alle unsere Mitgliedsorganisationen arbeiten aber auf ehrenamtlicher Basis. Wir brauchen deshalb dringend eine Professionalisierung der Vereine und Verbände, damit die Arbeit nicht länger hauptsächlich ehrenamtlich stattfindet. Nur so kann eine langfristig angelegte finanzielle Förderung unserer Arbeit gesichert werden.

Es gibt noch sehr viel zu tun, wenn wir die politische Teilhabe von Migranten und Migrantinnen wirklich ermöglichen und die Stimmen derer, die von Rassismus betroffen sind, ernst nehmen möchten. Und ich denke, nur dann kann ein gesamtgesellschaftlicher Kampf gegen jede Form von Diskriminierung und Rassismus gelingen. Davon kann eine Einwanderungsgesellschaft wie die unsere nur profitieren.

Das ist auch im Hinblick auf die neue Einwanderungspolitik wichtig. Willkommenskultur, Wertschätzung und Anerkennung der Leistungen der Zugewanderten müssen einen anderen Stellenwert bekommen. Beispielsweise darf sich die Berichterstattung nicht nur auf Negatives wie die Silvesternacht in Köln oder Prügeleien in Berliner Schwimmbädern beschränken. Es gibt sehr viele positive Geschichten rund um das Thema Migration, die leider in den Medien zu kurz kommen. Wir brauchen aber mehr davon: Beispielsweise könnte über die großartigen, kompetenten und starken Frauen in unseren Mitgliedsorganisationen und ihre wertvolle Arbeit für unsere Gesellschaft berichtet werden.

Abschließend ein Appell an die Politik: Im letzten Jahr haben wir 60 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei gefeiert, in diesem Jahr feiern wir 60 Jahre Anwerbeabkommen mit Marokko, Südkorea und dem ehemaligen Jugoslawien. Bis heute hat es keine nennenswerte Würdigung der Leistungen dieser Menschen der ersten Generation gegeben. Es ist an der Zeit, dass die Politik dies tut. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Das ist unser Wunsch und  unserer Forderung.

Zur Person

Soraya Moket

Soraya Moket ist in Marokko geboren. Nachdem sie die Schule in Marokko beendet hat, kam Moket zum Soziologie-Studium nach Deutschland und promovierte hier. Soraya Moket engagiert sich seit vielen Jahren für die Rechte der Mädchen und Frauen und kämpft gegen jede Form von Diskriminierung geflüchteter Frauen und Migrantinnen in Deutschland. Sie ist Gründungsmitglied des Deutsch-Marokkanischen Kompetenznetzwerkes (DMK). Im Jahr 2016 erhielt sie für ihr gesellschaftspolitisches Engagement das Bundesverdienstkreuz. Seit 2017 ist stellvertretende Geschäftsführerin des Dachverbandes der Mirgantinnenorganisationen (DaMigra e.V.).

Mehr zum Thema