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Interview mit Thomas Röwekamp

„Ich persönlich bin für ein verpflichtendes Dienstjahr."

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Thomas Röwekamp (CDU), hält ein Losverfahren für Musterung und Wehrdienst für ein gerechtes System. Die Bundeswehr brauche ihm zufolge einen Aufwuchs, aber nicht um ganze Jahrgänge.

Ein älterer Mann mit kurzen braunen Haaren und graumeliertem Bart und Brille schaut in die Kamera. Er trägt ein dunkelgraues Sakko, weißes Hemd und eine braun-blau gemusterte Krawatte.

Thomas Röwekamp ist in der 21. Legislaturperiode Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. © IMAGO / photothek

Die erste Lesung des Wehrdienst-Modernisierungsgesetzes wurde zunächst um eine Woche verschoben. Was hat die Unionsfraktion konkret am Gesetzentwurf gestört?

Wir sind der Auffassung, dass es insbesondere hinsichtlich der notwendigen Aufwuchsziele der Bundeswehr einer Konkretisierung bedarf. Wir haben der Nato Fähigkeiten zugesagt, die einen Aufwuchs auf 260.000 Zeit- und Berufssoldaten vorsehen. Das ist kein Wunschkonzert, sondern eine militärische Notwendigkeit. Wir wollen deshalb verbindlich vereinbaren, in welchen Jahresschritten wir diesen Aufwuchs sicherstellen. 

Wie sollen diese Jahresschritte konkret aussehen? 

Das Ziel von 260.000 aktiven Soldaten und Soldatinnen soll spätestens bis 2035 erreicht werden. Das bedeutet, dass pro Jahr mindestens 5.000 bis 10.000 zusätzliche aktive Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr verpflichtet werden müssen. Die Frage ist, auf welchem Weg wir das erreichen können. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir es zunächst über eine Steigerung der Attraktivität des gegenwärtigen freiwilligen Wehrdienstes versuchen wollen. Aber wir müssen uns für den Fall vorbereiten, dass wir die ehrgeizigen Ziele nicht erreichen.

Der Kompromiss mit der SPD sah vor, auf die im Gesetzentwurf vorgesehene Musterung ganzer Geburtsjahrgänge ab Mitte 2027 zu verzichten und nur eine per Los bestimmte Gruppe junger Männer zu mustern. Warum? 

Wir haben die Ausgangssituation, dass wir zwar einen Aufwuchs bei der Bundeswehr brauchen, aber eben nicht um ganze Jahrgänge. Und deshalb erfordert es die Wehrgerechtigkeit, dass man Kriterien für die entsprechende Personalauswahl bestimmt. Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, sollten wir die Auswertung der ab kommenden Jahr für Männer verpflichtenden und Frauen freiwilligen Fragebögen abwarten. Das einzig zuverlässige und am Ende auch gerechteste Verfahren ist es, nicht alle zur Musterung zu verpflichten, sondern nur eine gewisse per Zufallsprinzip ermittelte Anzahl. Dies gilt auch für den Fall, dass wir nicht genügend Menschen von einem freiwilligen Wehrdienst überzeugen können und aus dieser Gruppe zum Wehrdienst verpflichten müssen. Wir haben uns zu der Frage, ob und inwieweit unseren verpflichtenden Elementen verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen, ein Gutachten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo Di Fabio eingeholt. Hinzu kommt, dass für die Musterung auch die Ressourcen zur Verfügung stehen müssen und für die Musterung eines ganzen Jahrganges ab 2027 sehen wir das als nicht gegeben an.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hält dagegen und sagt, dass die Musterung gesamter Jahrgänge nötig sei, um sich ein Bild von der Wehrdiensttauglichkeit der Bevölkerung zu verschaffen. Ist das kein überzeugendes Argument? 

Wir erhalten ja durch die Selbstauskunft in den Fragebögen schon erste Informationen über die gesundheitlichen Zustände und die Bereitschaft für einen Wehrdienst. Deshalb glauben wir nicht, dass wir einen kompletten Jahrgang zur Musterung laden müssen. Aber das ist ein Detail, über das im weiteren Gesetzgebungsverfahren sicherlich nochmal gesprochen wird. Der Verteidigungsminister führt gute Argumente an. Es gibt aber auch gute Argumente – Wehrgerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit –, die wir als Union anführen. Es ist ja der Sinn des Gesetzgebungsverfahrens, in dem es am 10. November auch noch eine öffentliche Anhörung geben wird, dass diese Argumente nochmal abgewogen werden und am Ende ein Kompromiss gefunden wird. 

Glauben Sie, dass ein Losverfahren bei der Musterung und gegebenenfalls bei einem verpflichtenden Wehrdienst die nötige Akzeptanz in der Gesellschaft findet? 

Ich würde mich freuen, wenn wir eine Akzeptanz in der Gesellschaft dafür finden, dass die Verteidigung von Frieden, Freiheit, Demokratie und auch unseres Wohlstandes nur dann gelingen wird, wenn sich mehr Menschen freiwillig für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden. Das ist keine Lappalie, sondern das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Und ich würde mir wünschen, dass es uns gelänge, dies über eine gesamtgesellschaftliche Debatte zu erreichen. Wir können ja nicht an Russland und Putin die Botschaft richten: Bitte greift uns nicht an, wir haben nicht genügend Soldaten. Wir müssen darauf vorbereitet sein für den Fall, dass wir nicht genug Freiwillige finden und deshalb auch zum Wehrdienst verpflichten müssen. 

Folgt man den Umfragen, dann sieht das auch eine Mehrheit der Deutschen so. Trotzdem werden es viele junge Männer als ungerecht empfinden, wenn sie per Zufallsprinzip gezogen werden sollten.

Es gibt kein System, das am Ende eine vollständige Gleichbehandlung gewährleistet. Aber wir müssen aus einer großen Menge von prinzipiell wehrfähigen Menschen, jungen Männern in diesem Fall, eine geringere Anzahl auswählen. Egal, welches Verfahren Sie nehmen, es wird am Ende immer jemanden geben, der sich ungerecht behandelt fühlt. Und deswegen glaube ich, dass das Zufallssystem noch das wehrgerechteste System ist. Alles andere ist immer an der Grenze zur Willkür und genau das wollen wir vermeiden. Am Ende können wir nur mit den Instrumenten handeln, die uns das Grundgesetz an die Hand gibt. Langfristig werden wir meiner Ansicht nach ohnehin über eine Veränderung auch dieser Voraussetzungen sprechen müssen. Ich persönlich bin für ein allgemeines verpflichtendes Dienstjahr. Das würde die endgültige Gerechtigkeit herstellen zwischen allen Menschen eines Jahrgangs und nicht nur den jungen Männern. Es wäre geschlechtergerecht, es wäre gerecht gegenüber Deutschen und Nicht-Deutschen. Und es wäre auch gerecht gegenüber den unterschiedlichen gesellschaftlichen Aufgaben, die wir haben. Wir haben ja nicht nur die Herausforderungen bei der Bundeswehr. Wir haben sie beim Katastrophenschutz, bei der Feuerwehr, in den Pflegeheimen, in den Kindertagesstätten.

Ein allgemeiner Pflichtdienst ist verfassungsrechtlich aktuell aber wohl nicht machbar. 

Deshalb sage ich ja, dass wir über eine langfristige Lösung für eine Verfassungsänderung nachdenken müssen. Und deswegen bin ich sehr dafür, dass wir diese Debatte mit den jungen Menschen schon jetzt führen.

Der Bundestag hat gerade mit den Stimmen der Koalition die beschleunigte Einbürgerung von Ausländern nach drei Jahren gekippt. Und jetzt wollen Sie diesen Menschen sagen, sie sollen für die Gesellschaft ein Pflichtjahr leisten? 

Für eine Gesellschaft, in der sie sich entschlossen haben, zu leben. Und die ihnen, beispielsweise wenn sie vor Krieg oder Verfolgung geflohen sind, Schutz gewährt und sie an ihrem Wohlstand teilhaben lässt. Ja, ich will von jedem, der hier lebt, erwarten können, dass er einen Beitrag zu den Bedingungen unseres Zusammenlebens in Frieden und Freiheit leistet.

Das Interview ist aus der Wochenzeitung Das Parlament übernommen.

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