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Kontrolleure Experte: „Viel mehr als ein Palaver-Club“

Sie arbeiten im Geheimen: die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Warum das so ist, wen sie kontrollieren und wie sie Druck machen können, erklärt Überwachungsexperte Thorsten Wetzling.

Porträtfoto Dr. Thorsten Wetzling

„Man spricht bei der Spionage übrigens vom zweitältesten Gewerbe der Welt“, erklärt Geheimdienst-Experte Wetzling. Fotograf: Sebastian Heise

BND, MAD und der Verfassungsschutz – welche Bedeutung haben die drei Nachrichtendienste in Deutschland?

Die Nachrichtendienste sind für die Sicherheitspolitik von entscheidender Bedeutung. Schließlich haben die Bürger einen Anspruch darauf, dass die Bundesregierung alles tut, um sie vor Gefahren zu schützen. Dazu gehört natürlich auch zu ermitteln, ob es bestimmte Entwicklungen im Ausland oder im Inland gibt, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung gefährden. Darüber informieren die Nachrichtendienste die Bundesregierung.

Was sind das genau für Informationen?

Teilweise geht es um Informationen, die Leben schützen können, teilweise um solche, mit denen man eine politische Lage einschätzen kann. Um im Vorfeld an Informationen zu kommen und Trends zu erkennen, Vorhersagen zu machen, zu gucken, wenn sich bestimmte Personen radikalisieren und dergleichen mehr – dafür braucht es die Nachrichtendienste.

Man muss wissen: Einerseits wollen Staaten Wissen für sich behalten – sei es in Sachen Sicherheitspolitik, Informationen zu bestimmten Akteursgruppen, neueste Erfindungen oder Forschungsergebnisse. Andererseits wollen sie dieses Wissen von anderen Staaten in Erfahrung bringen. Man spricht bei der Spionage übrigens vom zweitältesten Gewerbe der Welt.

Wem unterstehen die drei Bundesnachrichtendienste?

In Deutschland haben wir drei Nachrichtendienste des Bundes: den Bundesnachrichtendienst, kurz BND, den MAD, also den Militärischen Abschirmdienst, und das BfV, das Bundesamt für Verfassungsschutz. Das Bundeskanzleramt hat die Fachaufsicht über den BND. Es kann also jederzeit sagen, welche Informationen es braucht. Beim Bundesverfassungsschutz macht das das Innenministerium und der MAD untersteht dem Verteidigungsministerium. Die Regierungsinstitutionen kontrollieren auch die Nachrichtendienste, mehr noch aber steuern sie sie und erteilen Aufträge.

Im Bundestag ist eine Gruppe von Politikern für die Geheimdienste zuständig, das sogenannte Parlamentarische Kontrollgremium. Welche Rolle spielt es?

Das Parlamentarische Kontrollgremium, kurz PKGr, kontrolliert die Nachrichtendienste nicht direkt. In Paragraf 1, Absatz 1 des PKGr-Gesetzes steht: „Die Bundesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium.“

Da steht also nicht drin, der BND unterliegt direkt der parlamentarischen Kontrolle. Nein, die Bundesregierung wird kontrolliert, und zwar hinsichtlich der Tätigkeiten der Dienste.

Was macht das konkret für einen Unterschied?

Der Unterschied liegt darin, wer die Verantwortung trägt. Und die liegt eben nicht bei den Diensten selbst, sondern erst mal beim Kanzleramt oder den Ministerien. Das schützt auch die Dienste. Häufig wird vergessen, dass mitunter brisante Aufträge, die etwa der BND abarbeitet, von der Bundesregierung angeordnet werden. An erster Stelle steht die Bundesregierung dafür in der Rechenschaftspflicht.

Warum sind die Sitzungen im Bundestag geheim?

Nehmen wir das Beispiel Afghanistan, wo die islamistischen Taliban nach Abzug der westlichen Truppen kürzlich wieder die Kontrolle übernommen haben. Da stellt sich die Frage „Hätte man das nicht vorhersehen können?“ Das ist natürlich das Paradebeispiel für das PKGr: Es beruft eine Sitzung ein, lädt in diese geheimen Räume die Vertreter der Dienste, aber auch der Bundesregierung, ein und kann in einem geschützten Raum erst einmal versuchen, die Lage zu sichten. Geheim sind die Sitzungen, weil die Bundesregierung natürlich nicht will, dass sensible Informationen der Öffentlichkeit preisgegeben werden, die Rückschlüsse über Quellen und Mittel zulassen würden.

Wie kann dann Kontrolle funktionieren, wenn alles geheim bleibt?

Natürlich ist das ein ständiges Spannungsfeld. Ich finde aber schon, dass man hier von Kontrolle der Nachrichtendienste reden kann. Zum einen ist das PKGr ein Forum, vor dem sich Vertreter der Dienste und der Regierung Fragen gefallen lassen müssen. Zum anderen ist es demokratisch legitimiert. Das heißt, die Kontrolle geht wirklich von den gewählten Repräsentanten des Volkes aus.

Das PKGr wird teilweise als „zahnlos“ beschrieben. Ist das so?

Ja und nein. Das PKGr kann zum Beispiel nicht wirklich Sanktionen erteilen. Wenn es nun etwas herausfindet, was gar nicht geht – was ist dann die Konsequenz daraus? Das Gremium kann an die Öffentlichkeit gehen oder den gesamten Bundestag informieren. Aber da werden keine direkten Konsequenzen für die Dienste beschlossen. Auf der anderen Seite ist es inzwischen sehr viel mehr als ein Palaver-Club.

In Ihrer Arbeit entwickeln Sie Ideen für effiziente und demokratische Nachrichtendienstführung in Deutschland. Welche Baustellen müssten Ihrer Meinung nach angegangen werden?

Erstens sollten viel mehr Experten aus der Zivilgesellschaft und den Universitäten in die Sicherheitspolitik mit einbezogen werden. Zweitens sollte man die Vernetzung und den Austausch der Kontrollgremien untereinander, im In- und Ausland, intensiver vorantreiben. Die Kontrollgremien haben noch deutlich Innovationspotential bei der Kontrolltechnik, etwa wenn es um Konzeption und Umsetzung von Kontrollprogrammen zur Analyse von Protokolldaten geht.

Es braucht mehr internationale Kooperation: Wenn die Nachrichtendienste direkt miteinander im Austausch sind und Daten tauschen, dann entstehen Kontrolllücken, wenn beispielsweise das Mandat des PKGr mit den deutschen Grenzen aufhört. Man muss über multilaterale Kontrolle nachdenken, über Kooperationen der europäischen Mitgliedsstaaten. Da passiert noch zu wenig.

Und zuletzt braucht es neben der parlamentarischen Kontrolle die Professionalisierung der juristische Kontrolle, die beispielsweise darauf schaut, ob die Datenerhebung und –speicherung durch die Nachrichtendienste rechtskonform sind. Das kann die parlamentarische Kontrolle nicht leisten. Diese Aufgabe übernimmt ab 2022 der Unabhängige Kontrollrat (UKR).

Über Dr. Thorsten Wetzling

Thorsten Wetzling ist bei der Berliner „Stiftung Neue Verantwortung“ Leiter des Themenfeldes „Digitale Grundrechte, Überwachung & Demokratie“. Dort entwickelt er Ideen für eine effiziente und demokratische Nachrichtendienstführung in Deutschland und Europa. Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Cyber & Data Security Lab an der Vrije Universiteit Brussel (VUB). Promoviert hat er am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung mit einer vergleichenden Studie zur Performanz und Reform der Nachrichtendienstkontrolle in Europa.

(loh)

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