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Interview „Der Staat ist auch ohne einen Haushalt vertragstreu“

Jasmin Nimmrich

Wenn es um die Einnahmen und Ausgaben des Staates geht, geht nichts am Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vorbei. Doch wie behält man die Finanzen eines ganzen Landes im Blick? Und was macht der Haushaltsausschuss, wenn gar kein Haushalt existiert? Helge Braun (CDU/CSU), der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, klärt auf.

Der Bundestagsabgeordnete Helge Braun lächelt in die Kamera.

Helge Braun (CDU/CSU) ist Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Bundestages. © Tobias Koch

Wie behält man den Überblick über den Haushalt eines ganzen Landes? 

Eine einfache Aufgabe ist das keineswegs, aber wir als Haushaltsausschuss erhalten in dieser Arbeit Unterstützung von unseren fachlich hervorragenden Mitarbeitern im Ausschusssekretariat, und viele Vorarbeiten erledigt das Finanzministerium. Besonders arbeitsaufwändig ist immer die Bereinigungssitzung, die Schlussberatung, in der wir den ganzen Haushalt in einer Sitzung bis tief in die Nacht noch einmal durchgehen. Da müssen wir teilweise mehrere tausend Änderungen an den Haushaltsentwürfen vornehmen, die Vertreterinnen vom Finanzministerium zeitgleich in einen Computer einpflegen. Und ganz am Schluss der Sitzung muss der Computer einmal rechnen, wie viele Schulden und Ausgaben wir mit allen Änderungen verursacht haben. Um den Überblick über die Finanzen eines ganzen Landes zu behalten, brauchen wir natürlich auch viele helfende Hände – im Haushaltsausschuss selbst sind das 18 Menschen plus die 10.000 Mitarbeiter des Finanzministeriums. 

Wie bleiben Sie während der nächtlichen Sitzungen konzentriert?

Um taufrisch zu sein, sollte man am Vorabend wirklich früh ins Bett gehen. Aber eigentlich hält einen das Adrenalin wach, das auftritt, wenn man so gespannt arbeitet und hitzig diskutiert. Sobald die Entscheidungen dann aber gefallen sind und die Sitzung beendet ist, merkt man erst, wie müde man eigentlich ist. 

Inwieweit hat Ihre Arbeit im Haushaltsausschuss einen Einfluss auf die Bundesregierung? 

Der Bundestag ist in Deutschland der Haushaltsgesetzgeber. Das bedeutet, dass die Regierung für den Haushalt einen Entwurf anfertigt, an dem anschließend der Bundestag vertreten durch uns als Haushaltsausschuss Veränderungen vornehmen kann. Wir können die geplante Ausgabe von Geldern streichen oder auch neue Ausgaben hinzufügen. Wenn wir anzweifeln, ob die verfügbaren Gelder für die richtigen Anschaffungen oder Investitionen ausgegeben werden, können wir die Finanzmittel auch sperren. Dann kann nichts ausgegeben werden, bis uns die Bundesregierung vom Gegenteil überzeugt hat. Zusätzlich können wir auch Auflagen, also Bedingungen formulieren, die von der Bundesregierung erfüllt werden müssen. 

Also hat der Haushaltsausschuss die Zügel in der Hand. 

So könnte man es sagen. Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir viel Einfluss. So darf der Haushaltsausschuss in England den Vorschlägen der Regierung nur in Gänze zustimmen oder sie in Gänze ablehnen. Kleinere Veränderungen und Anpassungen wie durch den Haushaltsausschuss in Deutschland sind nicht vorgesehen. Und eine Ablehnung würde dort in einer Regierungskrise enden. 

Die Haushaltssperren, die immer mal wieder in den Vereinigten Staaten von Amerika passieren, wären also in Deutschland nicht möglich? 

Die Governmental Shutdowns in den USA, bei denen auch den Beamten keine Gehälter mehr gezahlt werden können, werden durch unser Haushaltsrecht ausgeschlossen. Anstatt, dass gar kein Geld für gar nichts mehr ausgegeben werden darf, erlaubt in Deutschland die sogenannte vorläufige Haushaltsführung das Begleichen aller finanziellen Verpflichtungen. Das heißt also, dass Gehälter weiterhin beglichen, Verträge weiter erfüllt und beispielweise Zuwendungsberechtigte weiter gefördert werden. Denn der Staat ist auch ohne einen Haushalt vertragstreu. Daher muss sich niemand Sorgen machen, der staatliche Leistungen bezieht. Aber keinen Haushalt zu haben, das bedeutet auch, dass man nichts Neues anfangen kann. 

Bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte die Bundesregierung einen Haushalt. Nun muss sie sich um die Aufstellung eines Nachtragshaushalts bemühen. Inwiefern war der Haushaltsausschuss auf die Entscheidung aus Karlsruhe vorbereitet?

An dem Tag, an dem uns das Urteil erreicht hat, war sehr schnell klar, dass da jetzt viel Arbeit auf uns zukommen wird. Denn die juristische Entscheidung hat ja bedeutet, dass wir alle existierenden Schattenhaushalte und deren Kreditstrukturen überprüfen müssen. Die zusätzlich entstandene Haushaltslücke bedeutet zudem, dass die Bundesregierung sich alles nochmal ansehen muss, um uns Vorschläge zu unterbreiten, wo Einsparungen vorgenommen werden können. Unsere Aufgabe ist danach, zügig aber gründlich zu beraten, um die Unsicherheit zu beseitigen und für finanzieller Sicherheit für Investitionswillige zu sorgen. 

Der erste Entwurf eines Nachtragshaushaltes wurde am 1. Dezember 2023 vorgestellt. Was für Empfehlungen haben Sie für die Finanzplanung der Bundesregierung?  

Der Nachtragshaushalt für das Jahr 2023 dient dazu, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes den verfassungswidrigen aktuellen Haushalt so umzustellen, dass er den Vorgaben des Urteils entspricht. Dadurch, dass das Urteil ja erst am 15. November ausgesprochen wurde, war aber schon klar, dass sich für dieses Jahr nicht mehr so viel sachlich verändern lässt, weil viel Geld bereits ausgegeben wurde. Deutlich spannender ist also eigentlich der Haushalt für das Jahr 2024, mit dem wir zum aktuellen Zeitpunkt gerne schon fertig gewesen wären. Aber jetzt stellt sich allem voran die Frage, an welcher Stelle man spart.  

Zu sparen bedeutet dann auch, keine neuen Schulden aufzunehmen. Was sind Ihre Argumente für die Schuldenbremse? 

Der Schuldenbremse liegt die Idee zu Grunde, dass man in jedem Jahr nicht mehr Geld ausgibt, als man einnimmt. Das Ziel ist dann, dass man keine neuen Schulden aufbaut, damit diejenigen, die in Zukunft Verantwortung tragen, auch noch die Möglichkeit haben, Geld auszugeben und nicht nur die Schulden ihrer Vorgänger begleichen müssen. Wie sich Schulden nämlich entwickeln können, verdeutlicht die Zinsentwicklung. Aktuell steigen die Zinsen wieder. Wenn wir vor fünf Jahren, als die Zinsen schön niedrig waren, noch vier Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt gezahlt haben, müssen wir heute, bei anwachsenden Schulden und steigenden Zinsen, schon vierzig Milliarden Euro bezahlen. Dieses Geld, das für die Begleichung der Zinsen nötig ist, wäre an anderer Stelle deutlich besser angelegt, beispielsweise um gegenwärtigen und zukünftigen Krisen entgegenzuwirken. 

In Zukunft betroffen, sind vor allem diejenigen, die heute jung sind. Warum sollten sich besonders junge Menschen für Haushaltspolitik interessieren?   

Die zukünftige Lebensqualität der heutigen jungen Generationen ist maßgeblich davon abhängig, wie wir heute haushalten. Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Unsere Schulen, Krankenhäuser, Straßen und Schienen müssen gepflegt und erhalten werden. Der Klimawandel muss aufgehalten werden. Das alles kostet Geld. Aber auch kommende Generationen werden selbst große Aufgaben bewältigen müssen. Anpassung an den Klimawandel, vielleicht neue geopolitische Krisen, hoffentlich keine weiteren Pandemien? Also brauchen sie auch die Finanzkraft, die Herausforderungen ihrer Zeit zu bewältigen, und nicht unsere Problemlösungen abzustottern.

Haben Sie manchmal Finanzsorgen, was den deutschen Staat angeht? 

Ja, auf jeden Fall. Wir haben zwar die Schuldenbremse, die dafür sorgen soll, dass wir uns dauerhaft nicht überschulden. Aber vor dem Urteil hatte ich trotzdem die Sorge, dass die Schuldenbremse einfach umgangen wird und weitere Schulden aufgenommen werden, die wie auch immer nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Da war das Urteil aus meiner Sicht ein großes Glück, da jetzt deutlich geworden ist, dass die Schuldenbremse nicht umgangen werden darf. Und meine zweite Sorge gilt immer wieder den finanziellen Verpflichtungen, die der Staat hat, die gar nicht im Haushalt stehen und somit auch nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Ich spreche hier von der sogenannten impliziten Staatsverschuldung, zu der zum Beispiel die Pensionslasten, also die Zahlungen an alle pensionierten Beamten, gehören. Je mehr Verpflichtungen wir heute schon eingehen, desto weniger Geld bleibt später übrig, nachdem wir diese einlösen müssen. Und deshalb ist solides Haushalten so wichtig! 

Zur Person

Helge Braun

ist seit 2021 Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. Von 2018 bis 2021 war er unter Bundeskanzlerin Angela Merkel Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes.

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