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Besucherführer „Ich will keine Monologe halten“

Julia Karnahl

Über den Sommer stellen wir Menschen vor, die den Bundestag im Hintergrund am Laufen halten. Heute: Rainer Hartmeier führt Besuchergruppen durchs Parlament.

Ein älterer Mann mit dunklem Haar und grauem Bart lehnt gegen eine Abgrenzung aus Glas. Hinter ihm der Plenarsaal des Deutschen Bundestages mit blauen Sitzen und einem großen Bundesadler an der Wand.

„Wenn die Besucher politische Abläufe besser verstehen und einordnen können nach ihrem Besuch, wenn dadurch auch die Akzeptanz wächst, dann sage ich mir: Das macht wirklich Sinn, was du hier machst.“ Rainer Hartmeier im Plenarsaal. © privat

Hunderte Besucher führt Rainer Hartmeier jede Woche durchs Parlament. Den unterschiedlichsten Menschen aus ganz Deutschland und der Welt zu begegnen, ihnen näherzubringen, was der Deutsche Bundestag macht und wie das genau funktioniert, das macht ihm auch nach 30 Jahren in diesem Job noch Spaß.

Vom Plenarsaal im Bonner Wasserwerk nach Berlin

Als er als Besucherführer anfing, hatte der Bundestag seinen Sitz noch in Bonn.Hartmeier studierte dort Politikwissenschaft, Soziologie, Erziehungswissenschaften und öffentliches Recht. Eine Bekannte von ihm führte Besucher durchs Parlament. „Das klang spannend und so habe ich mich auch beworben“, erzählt er.

Der Plenarsaal war damals vorübergehend im Pumpenhaus des Alten Wasserwerks in Bonn beheimatet. „Das war eine ganz andere Atmosphäre als heute“, erinnert sich Hartmeier. „Alles war beengter, man war den Besuchern viel näher.“ 1992 wurde dann in Bonn der neue Plenarsaal des Architekten Günter Behnisch eingeweiht. „Der Behnisch-Saal war für mich der schönste Plenarsaal“, resümiert Hartmeier. 

1999 zog der Bundestag von Bonn nach Berlin. Rainer Hartmeier ging mit. Was er den Besuchern über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Bundestages erzählte, blieb gleich. Das Wissen über das Reichstagsgebäude und die anderen Berliner Liegenschaften musste er sich erst aneignen.  

250 Besucher pro Stunde

Es gibt verschiedene Formate, in denen Besucher den Bundestag kennenlernen können. „In Sitzungswochen begleiten wir Besucher bei Plenarsitzungen“, erklärt Hartmeier. „Wir erklären, wer wo sitzt im Plenarsaal, was zum Beispiel die Stenografen machen oder was die Aufgaben des Sitzungsvorstands sind, wie eine Sitzung abläuft und welche Regeln für die Debatten gelten.“

Auch in sitzungsfreien Wochen sind die Besuchertribünen des Plenarsaals gefüllt. Dann hält Hartmeier – zusammen mit etwa 30 Kollegen – Vorträge über die Aufgaben des Bundestages, über die Architektur und die Geschichte des Hauses. Von 9 bis 18 Uhr finden diese Vorträge im Stundenrhythmus statt. Pro Stunde sitzen bis zu 250 Besucher vor ihm.

Zusätzlich führt der Besucherdienst auch kleinere Gruppen von etwa 25 Leuten durchs Haus. Mal sind das Schulklassen, mal Gäste von Abgeordneten, mal gemischte Gruppen. „Wir bieten verschiedene Führungen an“, so Hartmeier. „Es gibt Führungen mit inhaltlichen Schwerpunkten wie Geschichte oder Kunst und Architektur, es gibt Führungen für Familien, für Kinder, für ausländische Gäste.“ Zudem betreut der Besucherdienst internationale Gäste, die von der Bundestagspräsidentin oder von der Bundesregierung eingeladen worden sind.  

Ein spannendes Format, das Hartmeier besonders mag, sind die Planspiele „Parlamentarische Demokratie spielerisch erfahren“ für Schülerinnen und Schüler: „Die Teilnehmer simulieren in etwa sechs Stunden einen Gesetzgebungsprozess und lernen so, wie schwierig es sein kann, mit Koalitionspartnern einen Kompromiss zu finden.“ Wenn man so etwas einmal selbst durchspiele, begreife man die Arbeit des Bundestages danach wesentlich besser als wenn man nur einen Vortrag darüber gehört habe, meint Hartmeier.

Auch außerhalb des Reichstagsgebäudes ist der Besucherdienst tätig: Im Deutschen Dom auf dem Berliner Gendarmenmarkt gibt es eine parlamentshistorische Ausstellung und auch dort werden Führungen  angeboten. Dort wird in einem Nachbau des Plenarsaals das interaktive Rollenspiel „Plenarsitzung“ angeboten. In 60 Minuten werden dabei Kenntnisse über die Arbeit von Abgeordneten und den Gang der Gesetzgebung erläutert.

Von typischen und kritischen Fragen

Rainer Hartmeier sagt, ihm sei es bei den Führungen besonders wichtig, die Fragen der Besucher zu beantworten. „Ich will keine ewigen Monologe halten, sondern die Leute da abholen, wo sie stehen.“ Das ist nicht immer einfach, denn die Gruppen sind oft sehr heterogen, was das Vorwissen und die Erwartungen angeht. „Man bekommt eine Liste mit Namen, aber man weiß nie wirklich, wer kommt.“

Typische Fragen drehen sich oft um den Plenarsaal, die Abstimmungen und die Kuppel auf dem Reichstagsgebäude – „für viele das Sahnehäubchen“, wie Hartmeier sagt. Faszinierend finden viele auch die Aufgabe der Stenografen, die alle Plenardebatten Wort für Wort mitschreiben. „Gerade junge Leute fragen dann oft: Habt ihr hier noch nichts von Spracherkennungsprogrammen gehört? Die Digitalisierung hat den Bundestag wohl noch nicht erreicht? Ihnen erkläre ich dann, warum das Protokollieren rein digital nie funktionieren würde. Welches Spracherkennungsprogramm könnte denn 735 Abgeordnetenstimmen zuordnen, auch bei Zwischenrufen?“

Kritische Fragen gibt es durchaus. Rainer Hartmeier nimmt es gelassen: „Der Grundkonsens muss aus meiner Sicht sein, dass wir politische Parteien und ein Parlament brauchen, das demokratisch gewählt wurde. Wie die Dinge hier konkret laufen, darüber kann man dann kontrovers diskutieren.“ Immer wieder kommt zum Beispiel die Frage, warum der Plenarsaal so leer ist, warum nicht mehr Abgeordnete bei einer Debatte anwesend sind. „Dann erklärte ich sehr offensiv, dass es keinen Sinn machen würde, wenn viele oder gar alle Abgeordneten da sitzen würden. Jeder konzentriert sich auf seine Sachthemen, mit denen er sich besonders gut auskennt und die er deshalb am besten beurteilen kann, auch Abgeordnete arbeiten im Team, vergleichbar mit Lehrern, die ja auch nicht zwölf verschiedene Fächer unterrichten.“ 

Eine Veranstaltung – ob Vortrag oder Führung – sei dann gelungen, sagt Hartmeier, wenn von den Teilnehmern die Rückmeldung kommt: Das war sehr informativ und auch unterhaltsam.  Oder: Das waren Aspekte, die ich so noch nicht kannte. „Wenn die Besucher etwas mitnehmen, wenn sie nach ihrem Besuch politische Abläufe besser verstehen und einordnen können, wenn dadurch auch die Akzeptanz wächst, dann sage ich mir: Das macht wirklich Sinn, was du hier machst.“

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