Zum Inhalt springen

Stenografin „Da fliegt der Kopf hin und her“

Julia Karnahl

Über den Sommer stellen wir Menschen vor, die den Bundestag im Hintergrund am Laufen halten. Heute: Alexandra Sauer protokolliert alles, was im Plenarsaal gesagt wird – und auch alles, was nicht gesagt wird.

Eine Frau mit hellbraunen Haaren und dunkler Brille steht vor einem Bücherregal gefüllt mit schwatzen Lexika.

Alexandra Sauer in der Referatsbibliothek, wo alle Stenografischen Berichte in gebundener Ausgabe stehen. © privat 

„Der Kopf fliegt hin und her“

Sie sitzen im Plenarsaal im wahrsten Sinne mitten im Geschehen, nämlich ganz zentral zwischen dem Präsidium und den Abgeordnetenrängen. Und dort sitzen sie genau richtig, denn die Stenografinnen und Stenografen des Bundestages müssen bei den Plenardebatten alles ganz genau mitbekommen.

Ihre Aufgabe ist es, alles zu protokollieren, was gesagt wird – nicht nur die Reden selbst, sondern auch Zwischenfragen, Ordnungsrufe aus dem Präsidium, Zwischenrufe. „Da fliegt der Kopf hin und her“, so beschreibt Stenografin Alexandra Sauer die Situation. „Man muss alles gleitzeitig sehen, hören und aufschreiben – schnell aufschreiben.“ 

Damit es schnell genug geht, benutzen die Stenografen die „Deutsche Einheitskurzschrift“. Die gibt es in drei Stufen: Die einfachste Form der Verkürzung ist die sogenannte „Verkehrsschrift“, bei der sehr häufige Wörter durch Zeichen ersetzt, Vokale durch Abstände angezeigt werden. Etwas komplexer ist die „Eilschrift“, bei der schon Teile von Wörtern weggelassen werden. Im Bundestag aber wird die dritte Stufe angewandt: die „Redeschrift“. Wörter werden hier nur noch durch Kürzel dargestellt, und wer die „hohe Praxis“ beherrscht, hat sogar die Freiheit, sich eigene auszudenken.

„Ich wusste sofort: Das will ich lernen“

Alexandra Sauer ist auf Umwegen zur Stenografie gekommen. Sie hat Musikwissenschaften, Kommunikationswissenschaften und Neuere Geschichte studiert. Danach arbeitete sie jahrelang in der Redaktion von Publikationen der Berliner Philharmonie. Vor zehn Jahren dann war sie als Besucherin im Bundestag und machte eine Führung mit. „Da habe ich vom faszinierenden Phänomen der Bundestagsstenografen erfahren“, erinnert sie sich. „Ich wusste sofort: Das will ich lernen, das will ich können!“ 

Sie habe sich nicht gleich getraut, sich direkt an den Bundestag zu wenden, und deshalb erst mal im Berliner Abgeordnetenhaus nachgefragt, erzählt Sauer weiter. Dort habe man keinen Bedarf gehabt, sie aber ermuntert, beim Bundestag anzurufen. So lernte sie Dr. Bärbel Heising kennen, die heute das Referat leitet. Damals war sie für die Gewinnung und Ausbildung von Nachwuchskräften zuständig. Ein Quereinstieg sei prinzipiell möglich, sagte Heising Alexandra Sauer und verwies sie an eine Stenografie-Lehrerin. Sauer besuchte erst einen Volkhochschulkurs und nahm dann Privatunterricht bei dieser Lehrerin. Als sie sich sattelfest fühlte, bewarb sie sich beim Bundestag und wurde genommen.

Protokolle in Zehn-Minuten-Abschnitten

14 Stenografinnen und Stenografen sind in der Regel pro Sitzungstag im Dienst. Sie protokollieren jeweils zehn Minuten des Plenargeschehens. Anschließend gehen sie in ihr Büro, um diese zehn Minuten Protokoll fertig auszuarbeiten. „Ich prüfe dann alles noch mal genau nach: Zitate, Fachbegriffe, Gesetzesbezeichnungen“, erklärt Alexandra Sauer. Sie hat etwa zwei Stunden Zeit, das Protokoll fertigzustellen, denn zwei Stunden und 20 Minuten später beginnt ihre nächste Zehn-Minuten-Schicht im Plenarsaal. „Wenn man das Wettkampf-Gen in sich trägt, macht es große Freude, so zu arbeiten“, so Sauer. „Man ist dann jedes Mal wieder stolz, es geschafft zu haben.“

Warum dieser straffe Zeitplan? Weil das Protokoll schnell fertig werden soll. Wenn Alexandra Sauer ihre Passage geschrieben hat, wird der Text im Referat von Revisoren geprüft. Das sind erfahrene Kolleginnen und Kollegen, die auch im Plenum dabei sind. Sie begleiten dort jeweils eine halbe Stunde einer Debatte. Wenn die Revisoren fertig sind, geht das Protokoll noch mal an die betreffenden Abgeordneten. Am Morgen steht das fertige Plenarprotokoll des Vortages dann auf bundestag.de, für jeden einsehbar. „An Donnerstagen, die ja im Plenum besonders lang sind, arbeiten wir sogar mit tagesaktuellen Protokollen – gegen 14 Uhr wird das Protokoll vom Morgen sukzessive zum Herunterladen bereitgestellt“, erzählt Sauer. „Das wird auch von der Presse immer wieder nachgefragt.“ 

Aus dem mitmischen-Lexikon

Was nicht gesagt wird

Das Besondere an den Bundestagsprotokollen ist, dass sogar festgehalten wird, was nicht gesagt wird: das „nonverbale Geschehen“, wie Alexandra Sauer sagt. Wenn geklatscht wird, wenn gelacht wird, wenn jemand während einer Rede einen Gegenstand hochhebt, um das Gesagte zu unterstreichen: „Das muss man alles mitbekommen. Deshalb muss man wirklich alle Sinne scharf stellen, alle Kanäle öffnen.“ Dieser „360-Grad-Blick“ sei ein Stück weit Übungssache, erklärt die Stenografin. Deshalb liefen neue Kollegen auch erst mal eine Zeit lang mit, um sich auf diese Situation vorzubereiten, bevor sie selbst Protokolle übernähmen.

Und in sitzungsfreien Wochen: Üben, üben, üben – und intensive Medienlektüre

Man könnte meinen, dass die Stenografinnen und Stenografen in sitzungsfreien Wochen nichts zu tun hätten. Weit gefehlt. Zum einen protokollieren sie neben den Plenardebatten auch die Sitzungen der Untersuchungsausschüsse – und diese Protokolle werden in der Regel erst in der Woche darauf ausgearbeitet.

Zum anderen muss das Stenografieren trainiert werden, damit man nicht aus der Übung kommt. Und auch andere Dinge üben die Stenografinnen und Stenografen, etwa, Abgeordnete zu erkennen: „Die wenigsten haben ja feste Sitzplätze“, erklärt Sauer. „Wir können uns also nicht an Sitzordnungen orientieren, sondern müssen tatsächlich alle 735 Abgeordneten erkennen.“ Ein Kollege habe extra ein Software-Programm geschrieben, das dabei hilft, das zu üben.

Was auch zu Alexandra Sauers Arbeit gehört: „Medien studieren, um bei allen Themen, die im Plenum verhandelt werden, auf dem aktuellen Stand zu sein.“ Sie bereite sich zudem auf jeden Einsatz vor, indem sie in den entsprechenden Gesetzentwürfen, Anträgen und Beschlussempfehlungen lese. 

„Ich darf helfen, Demokratie sichtbar zu machen“

Dass sie jeden Sitzungstag etwas Neues lernt, gehört zu den Dingen, die Alexandra Sauer an ihrem Beruf liebt. „Für mich ist das wirklich der Traumberuf“, sagt sie. „Ich war schon immer politisch interessiert. Jetzt darf ich dabei helfen, Demokratie sichtbar zu machen – eine wundervolle Aufgabe. Ich bin genau an der richtigen Stelle angekommen.“

Mehr zum Thema