Zum Inhalt springen

Christiane Schenderlein (CDU) „Mehr Schnelligkeit als Inhalt“

Was ist guter Journalismus? Werden wir durch die neue Medienwelt zunehmend manipuliert? Haben wir verzerrte Weltbilder? Ein Interview mit Christiane Schenderlein (CDU/CSU).

Porträt von Christiane Schenderlein

„Es ist ein großes Problem, dass viele Menschen nicht gut zwischen Fakten, Meinungen und Werbung unterscheiden können“, sagt Christiane Schenderlein. © Tobias Koch

Im Medien- und Kommunikationsbericht 2021 der Bundesregierung wird thematisiert, dass die Menschen sich heutzutage anders informieren als früher. Wie beschaffen sich Menschen denn heute Informationen?

Wir beobachten schon seit langem, dass der Medienkonsum sich immer mehr ins Internet und in die digitale Welt verlagert – für die meisten Leser von mitmischen.de ist das sicherlich schon immer so gewesen, aber früher hat der Medienkonsum doch sehr anders ausgesehen. Vor dem Internet hat man sich klassischerweise über Zeitungen, das Radio und Fernsehen informiert.

Heute greift man vor allem auf große Plattformen und soziale Medien im Internet zu. Das ist eine schnellere und direktere Form der Informationsbeschaffung. Man kann dadurch unheimlich viele Nachrichten ungefiltert konsumieren. Was zu lesen ist, wurde oft nicht nach journalistischen Qualitätskriterien hergestellt und damit beispielsweise auch nicht überprüft. Außerdem geraten wir oft in sehr individuelle Filterblasen und bekommen dann nur auf uns zugeschnittene Inhalte zu sehen.

Was ist denn eine Filterblase?

Im Internet spielen Algorithmen eine wichtige Rolle: Sprich Mechanismen, die uns immer wieder Inhalte ausspielen, die zu den anderen Dingen, die wir angesehen haben, passen. Wenn man zum Beispiel auf Youtube unterwegs ist und bestimmte Nachrichten konsumiert, bekommen wir anschließend immer wieder Nachrichten aus der gleichen Kategorie angezeigt. Das kann dazu führen, dass man Teil einer Community – oder eben Blase – wird, die Interessen und Einstellungen teilt. Mit anderen Meinungen wird man dann kaum noch konfrontiert.

Welche Probleme entstehen dadurch?

Es entsteht ein einseitiger Blick auf bestimmte Dinge und Sachverhalte, der dadurch auch leichter manipuliert werden kann. Es fehlt ein Korrektiv, das zum Nach- und Überdenken anregen kann. Dadurch kann ein verzerrtes Weltbild entstehen.

Die traditionellen Mediensysteme funktionieren also nicht mehr. Was bedeutet das für die Branche und die Nutzer?

Die journalistische Arbeit steht unter großem Zeitdruck. Denn jeder möchte der erste sein, der über etwas berichtet. Der Konkurrenzdruck, insbesondere in den sozialen Medien, ist sehr hoch. Dieser Druck verkürzt die Zeit, sorgfältig zu recherchieren, wodurch mitunter auch viel voneinander abgeschrieben wird. Das kann dazu führen, dass die journalistische Qualität leidet, weil es mehr um Schnelligkeit als um Inhalte geht.

Außerdem brechen alte Systeme der Finanzierung weg. Wir sehen zum Beispiel, dass Printmedien, also klassische gedruckte Informationsquellen wie Zeitschriften und Zeitungen, es schwer haben, über die Runden zu kommen – besonders die Lokalredaktionen.

Müssten die Printmedien sich vielleicht neu erfinden – oder gilt das womöglich für den Journalismus insgesamt?

Nein, der Journalismus sollte sich nicht grundsätzlich neu erfinden, er muss sich aber darauf besinnen, was ihn ausmacht und auf die eigenen Stärken konzentrieren: Ein guter Journalist macht mehr, als einfach nur eine Information weiterzugeben. Er prüft eine Nachricht auf den Wahrheitsgehalt, er versucht objektiv zu sein und entsprechend qualitativ zu berichten. Das sind wichtige Standards des Journalismus und daran hat sich nichts geändert.

Die großen Onlineplattformen dominieren zunehmend den digitalen Markt. Sind journalistische Standards und Onlineplattformen ein Widerspruch?

Nicht unbedingt. Journalistische Standards auf Plattformen wären schon möglich, zum Beispiel mit einer Selbstverpflichtung der Plattformbetreiber. Das wäre sicherlich gut und hilfreich, damit man als Nutzer eine verbindliche Auskunft darüber bekommt, dass es sich um saubere und gut recherchierte Nachrichten handelt.

Denn es ist vor allem die Flut an Informationen, die ein Problem darstellt und die Tatsache, dass auf diesen Plattformen einfach alles hochgeladen werden kann, ohne dass vorher Inhalte auf Richtigkeit überprüft werden. Denkbar wäre es auch, an dieser Stelle auf Künstliche Intelligenz (KI) zurückzugreifen, also Programme, die die Inhalte automatisch prüfen.

Im Bericht ist die Rede von einem „Plattformisierungsprozess“? Was ist das?

Damit ist gemeint, dass immer mehr und größere Plattformen im Internet existieren und dass das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sich dorthin verlagert. Im Netz gibt es jedoch Phänomene wie Cybermobbing, Hassrede und gezielte Desinformations-Kampagnen. Die sind eine Gefahr für die Demokratie.

Was sind Cybermobbing, Hassrede und gezielte Desinformation?

Unter Cybermobbing versteht man die Beleidigung, Bedrohung oder Belästigung von Personen in Foren, Chats oder Online-Communities. Manchmal werden Fotos oder Videos online gestellt, die das Opfer bloßstellen oder es werden Gruppen gegründet, um gezielt über einer Person zu lästern.

„Hatespeech“ oder Hassrede meint menschenverachtende durch Hass motivierte Aussagen, die sich gegen einzelne Personen oder Gruppen richten, die auch außerhalb des Internets Diskriminierung erfahren. Oft sind die Kommentare rassistisch, antisemitisch oder sexistisch. Manchmal wird auch zur Gewalt gegen Personen und Gruppen aufgerufen, z.B. gegen Politikerinnen und Politiker.

Mit gezielter Desinformation ist die Verbreitung von Informationen gemeint, die nicht auf Fakten basieren oder absichtlich in die Irre führen sollen. Verbreiter von Desinformationen können einzelne Personen oder Gruppierungen sein. Teilweise werden sogenannte „social bots“ eingesetzt, automatisierte Nutzer, die die Informationen streuen.

Auf den digitalen Plattformen finden sich Information, Werbung und Meinung oft nicht klar voneinander getrennt. Denken Sie, die Nutzer können das gut unterscheiden?

Nein, ich glaube, es ist ein großes Problem, dass viele Menschen nicht gut zwischen Fakten, Meinungen und Werbung unterscheiden können.

Deswegen sind zweierlei Dinge wichtig. Zum einen müssen Inhalte ganz klar gekennzeichnet werden: „Das hier ist Werbung“ oder „Das ist ein Kommentar, das heißt, es ist eine persönliche Meinung“. Das ist die Pflicht der Journalisten und der Medienplattformen.

Auf der anderen Seite müssen auch die Nutzer lernen, die Inhalte zu unterscheiden. Hier ist das Stichwort: Medienkompetenz besonders wichtig. Da sehe ich einen klaren Bildungsauftrag für die Schulen. Die sollten den Schülerinnen und Schülern genau diese Fähigkeit vermitteln.

Auch Eltern sollten ihre kleinen Kinder nicht allein Videos schauen lassen, sondern gemeinsam mit ihnen Inhalte anschauen und andere Formen von Jugendmedienschutz betreiben, zum Beispiel gibt es in diesem Bereich inzwischen richtig gute Apps.

In welchem medialen Bereich werden weitere große Veränderungen auf uns zukommen?

Die digitale Medienwelt ist sehr dynamisch. Ich denke, das Thema KI wird zunehmend eine Rolle spielen – auch im Journalismus. Hier könnte KI bei der Texterstellung zum Einsatz kommen. Teilweise wird das in der Sportberichterstattung schon gemacht.

Und auch in Kunst und Kultur wird es Veränderungen geben: Digitalisierung spielt auch hier eine große Rolle. Virtual Reality, also die computergenerierte Wirklichkeit, die man sich mit 3D-Brillen ansehen kann, ist ein großes Thema und wird auch Kunst- und Kulturangebote prägen. Die Grenzen zwischen Offline- und Online-Realität werden somit auch hier zunehmend verschwimmen.

Dennoch: Zeitung, klassisches Fernsehen und Radio wird es weiterhin geben. Aber diese traditionellen Medien haben große Konkurrenz und werden sich weiter und immer wieder in dieser digitalen Welt behaupten müssen.

Über Christiane Schenderlein

Christiane Schenderlein ist 1981 in Weißenfels in Sachsen-Anhalt geboren. Nach dem Abitur studierte sie Politikwissenschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaft und Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Universität Leipzig. Anschließend promovierte sie im Fach Politikwissenschaft. Seit 1998 ist sie Mitglied in der CDU. Von 2019 bis 2021 war sie Mitglied des sächsischen Landtages, seit 2021 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages.

(Mira Knauf)

Mehr zum Thema