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Inklusives Schulsystem Zugang oft verwehrt

Wie inklusiv ist das Schulsystem in Deutschland? Dieser Frage ist das Deutsche Institut für Menschenrechte in seinem aktuellen Bericht nachgegangen. Ein Ergebnis: Die Politik hat noch eine Menge zu tun.

Ein Schüler im Rollstuhl an der inklusiven Schule in Berlin.

Ein inklusives Schulsystem für alle schaffen: Dazu hat Deutschland sich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet. © Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Oft denken wir beim Thema Menschenrechtsverletzungen an Länder, über die vielfach in den Medien berichtet wird wie Afghanistan, Iran, China und aktuell natürlich die Ukraine. In der Bundesrepublik Deutschland sind Menschenrechte fest im Grundgesetz verankert. Das heißt aber nicht, dass es hier keinen Handlungsbedarf gibt. Wie es um die Menschenrechte in Deutschland steht, ist eine Frage, mit der sich der Bundestag regelmäßig befassen muss. Nämlich dann, wenn das Deutsche Institut für Menschenrechte seinen Bericht vorlegt.

Jährlicher Bericht

Das Institut ist die unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands. Es setzt sich dafür ein, dass Deutschland die Menschenrechte im In- und Ausland einhält und fördert. Jährlich legt das Institut einen Bericht vor, dabei ist der Schwerpunkt in jedem Jahr anders. Im aktuellen Bericht geht es besonders um das Thema inklusive Bildung.

Gesetz verpflichtet zu Bericht

Seit 2015 gibt es sogar ein eigenes Gesetz, dass die Arbeit des Instituts festlegt, das „Gesetz über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMRG)“. Zu den Aufgaben des DIMR gehören somit etwa die Information der Öffentlichkeit über die Lage der Menschenrechte im In- und Ausland oder auch Politikberatung und Bildungsarbeit in Deutschland. Außerdem steht in dem Gesetz geschrieben, dass das Institut dem Bundestag regelmäßig einen Bericht vorlegen und der Bundestag dazu Stellung nehmen muss.

Das Institut exisitert übrigens bereits seit 2001. Im Jahr 2000 hatte sich der Deutsche Bundestag einstimmig für die Gründung eines unabhängigen Instituts für Menschenrechte ausgesprochen.

Inklusion im aktuellen Jahresbericht

Im aktuellen Jahresbericht haben sich die Menschenrechtsexperten vor allem mit dem Recht auf Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung befasst. Der Bericht bezieht sich auf den Zeitraum von Juli 2021 bis Juni 2022. Das Institut hat analysiert, wie es um das inklusive Schulsystem in Deutschland steht und mit welchen Mitteln Deutschland ein inklusives Schulsystem schaffen kann. Denn bereits 2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und sich somit verpflichtet, ein inklusives Schulsystem für alle zu schaffen und „Aussonderung zu verhindern“.

Der Konvention zufolge dürfen Menschen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Schulsystem ausgeschlossen werden. Stattdessen müsse es ein entsprechendes Unterstützungsangebot geben, dass dem Angebot an Förderschulen entspreche, heißt es im Bericht. Förderschulen müssten schrittweise abgebaut werden.

Zugang zu inklusiver Bildung oft verwehrt

Die Autoren des Berichts kommen zu dem Schluss, dass der Zugang zu einem inklusiven Schulangebot für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung immer noch oft verwehrt bleibt. So würden aktuell noch mehr als die Hälfte der Schüler mit sonderpädagogischer Förderung an einer Förderschule unterrichtet. Daraus ergäben sich auch später Schwierigkeiten im Hinblick auf selbstbestimmte Lebensgestaltung und gesellschaftliche Teilhabe.

Bund und Ländern gemeinsam in der Pflicht

Die Menschenrechtsexperten sehen Bund und Länder gemeinsam in der Pflicht, etwas an dieser Situation zu ändern. Bisher hätten die Bundesländer nur unzureichende und ungleiche Fortschritte erzielen können. Deshalb brauche es beispielsweise einen gemeinsamen Planungsrahmen, der die richtigen materiellen, räumlichen, personellen und finanziellen Voraussetzungen schaffe.

Die Ressourcen, die bisher im Schulsystem vorhanden seien – an allgemeinen und den Förderschulen – müssten so umgeschichtet werden, dass eine individuelle Unterstützung von Kindern mit Behinderung im allgemeinen Schulsystem gewährleistet werde. Mehr dazu hat uns auch Susann Kroworsch vom DIMR im Interview erklärt.

Grundgesetzänderung denkbar?

Sogar eine Grundgesetzänderung halten die Experten für denkbar. Diese könne dem Bund zusätzliche Kompetenzen in Bezug auf das Schulsystem geben, die sich aber auf die Grundsätze eines inklusiven Schulsystems beschränkten. Denn in Deutschland gibt es das sogenannte Kooperationsverbot. Danach ist die Bildungspolitik in Deutschland allein Ländersache.

Einfach erklärt: Das Kooperationsverbot

Der Begriff „Kooperationsverbot“ bezeichnet den Umstand, dass Bund und Länder in Deutschland per Grundgesetz nur in Ausnahmefällen zusammenarbeiten, also kooperieren, dürfen. So heißt es in Artikel 30 der Verfassung: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt.“

So kommt es, dass Bildungspolitik in Deutschland auf Landesebene stattfindet und der Bund grundsätzlich keinen Einfluss auf die Schulpolitik der Länder ausüben kann. In den vergangenen Jahren wurde das Kooperationsverbot mehrfach gelockert, zuletzt 2018/2019 im Rahmen des „Digitalpakts Schule“: Der Bund stellte mehrere Milliarden Euro für die Schulen zur Verfügung, damit dort die Digitalisierung vorangebracht werden konnte.

Andere Themen im Bericht

Andere Themenbereiche, die im Bericht analysiert werden, sind die Klimapolitik im Zusammenhang mit Menschenrechten, der Umgang mit Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen sowie die Rechte älterer Menschen, kindgerechte Justiz und die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen.

Neben dem Plenum wird sich auch der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe mit dem Bericht des DIMR befassen.

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